1[Ein Psalm Davids.] So spricht der Herr zu meinem Herrn: Setze dich mir zur Rechten und ich lege dir deine Feinde als Schemel unter die Füße.
Viele Psalmen werden König David zugeschrieben. In ihnen drückt sich eine tiefe Gottesbeziehung aus. Höhen und Tiefen menschlichen Lebens finden sich darin, Dank, Lobpreis und Bitte, aber auch das zweifelnde Fragen nach einem Gott, der dem Menschen so fern und unverständlich erscheint. Psalm 110, der der Überschrift nach ebenfalls von David stammt, spricht von der Einsetzung eines Priesterkönigs auf dem Zion. Aus christlicher Sicht wird hier mehr als in anderen alttestamentlichen Texten der Bezug zwischen König David und Christus deutlich.
In poetischen Worten wird hier die Inthronisation eines Königs besungen. Der König thront aber nicht nur vor den Menschen, sondern auch zur Rechten Gottes. Er wird so zum Erfüller Göttlichen Willens. Gott beruft sich seinen König. Die mysteriös anmutende Gottesrede kann als innergöttlicher Dialog verstanden werden, wie beispielsweise das ebenso mysteriöse Wort aus Psalm 42,8 "Flut ruft der Flut zu beim Tosen deiner Wasser" oder die Wendung "ich habe bei mir geschworen" in Gen 22,16 und Jes 45,23. Gott steht mit sich selbst im Dialog und trifft und festigt so seine Entscheidungen.
Der innergöttliche Dialog ist kein Selbstgespräch. Als Christen glauben wir, dass Gott dreifaltig ist, Vater, Sohn und Heiliger Geist, ein Gott in drei Personen. Gott ruft den Menschen in seine Gemeinschaft. Allen Menschen voran hat der König das Vorrecht, in diese Gemeinschaft einzutreten. Er, der auf Erden über allen Menschen steht, sitzt im Himmel zur Rechten Gottes. Hier werden orientalische Königsbilder verwendet, die den König weitgehend der menschlichen Welt entrücken und in die Sphäre des Göttlichen erheben.
Doch kein menschlicher König ist wirklich Gott. Er bleibt ein Mensch und handelt menschlich mit allen menschlichen Fehlern und Schwächen, was uns auch der letzte Vers des Psalms deutlich zeigen wird. Diese Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit war den Gelehrten Israels bewusst. Daher richteten sie ihre Hoffnung auf den Messias-König, der von Gott eingesetzt ist. Dann geschah das Unerhörte, aus jüdischer Sicht unglaubliche, dass Gottes Sohn selbst Mensch wird. Jesus Christus ist der König, den der Vater an seine rechte Seite erhebt, um mit ihm zu herrschen über Himmel und Erde.
2Vom Zion strecke der Herr das Zepter deiner Macht aus: "Herrsche inmitten deiner Feinde!"
Die Evangelien berichten uns vom Königtum des Gottessohnes. Ein König, der mitten unter den Menschen ist, der die Menschen heilt, der die Hungrigen speist und den Nackten Kleidung gibt, der die Kranken und Ausgestoßenen besucht und das Volk eint in der Liebe zu Gott und untereinander. So sieht es aus, wenn Gott sein Zepter erhebt, um in der Welt zu herrschen. Jesus Christus ist ein König, der für sein Volk stirbt, um alle zu befreien von der Macht der Finsternis und des Todes. Sein irdischer Thron ist das Kreuz, aber gerade durch seine Erniedrigung ist er würdig geworden, zur Rechten Gottes erhöht zu werden.
Nicht mit weltlicher Macht gebietet er über seine Feinde. Er hat den Satan besiegt, der ihm zu Füßen liegt und mit diesem Sieg hat er jeder widergöttlichen Macht endgültig die Herrschaft genommen. Auch wenn die Bösen weiter toben, werden sie nie mehr die Oberhand gewinnen. Und Gott herrscht in allen Menschen, die sich zu ihm bekehren, in den Geretteten, die seiner Liebe glauben. Hieronymus sagt:
Es heißt nicht: Töte deine Feinde, sondern: Herrsche inmitten deiner Feinde. Mach, dass deine Feinde, die dir fern waren, anfangen, zu dir zu gehören. ... Diejenigen sind Feinde, die unter einer fremden Herrschaft stehen, jetzt also erbittet der Psalmist, dass Gott seine Feinde beherrscht und sich gnädig herablässt, ihr Herr zu sein.
3Dein ist die Herrschaft am Tage deiner Macht (wenn du erscheinst) in heiligem Schmuck; ich habe dich gezeugt noch vor dem Morgenstern, wie den Tau in der Frühe.
Psalm 110 ist im Neuen Testament der meistzitierte alttestamentliche Text. Kein anderer Psalm macht so deutlich, was die Menschen von Jesus Christus glauben. Auch in diesem Vers bekommen die Bilder aus dem altorientalischen Königsritual im Licht Christi eine ganz neue Bedeutung. Die orientalischen Könige waren prächtig gekleidet als Zeichen ihrer Erhabenheit und ihrer Entrücktheit in den Bereich des Göttlichen. Kein gewöhnlicher Mensch durfte ihr Gesicht sehen, der Thron war durch eine Reihe von Schleiern verhüllt, hinter denen der König hervortrat, wenn er sich offenbarte, das heißt dem Volk zeigte.
Doch die Erwähnung prächtiger Kleider allein reicht nicht aus, um die Majestät des Königs ausreichend zu schildern. Es werden Bilder aus der Schöpfung bemüht. Prächtig wie der Morgenstern, der nach der Nacht am Himmel glänzt und der niemals untergeht und der Tau in der Frühe, der sich auf wundersame Weise über die trockene Erde legt und eine wohltuende Erfrischung spendet, ein glitzernd prächtiges Kleid, das sie Schöpfung über Nacht anlegt.
Die frühe Kirche, der anders als uns heute die Pracht orientalischer Könige lebendig vor Augen stand, wusste um die enge Verbindung des Psalms mit Jesus Christus. Am Hochfest Epiphanie, dem ursprünglichen Weihnachtsfest der orientalischen Kirche, verwendet die erste Antiphon der Laudes das Bild dieses Psalms und besingt so Christus den Herrn, der vor aller Zeit vom Vater gezeugt, sich als göttlicher Heiland im ewigen Heute aller Welt offenbart.
Ante luciferum genitus, et ante saecula, Dominus Salvator noster hodie mundo apparuit.
Gezeugt vor dem Morgenstern und vor aller Zeit, ist der Herr, unser Heiland, heute der Welt erschienen.