Jona 3,1-4,11

Ninives Umkehr

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Jona
Das Wort des Herrn erging zum zweiten Mal an Jona: Mach dich auf den Weg und geh nach Ninive, in die große Stadt, und droh ihr all das an, was ich dir sagen werde. (Jona 3,1-2)

Noch einmal ergeht das Wort Gottes an Jona und zwar mit identischen Worten wie beim ersten Mal. Gott meint es ernst. Er kann sein Heil nur dann wirken, wenn es auch Menschen gibt, die Gottes Botschaft verkünden. Gottes Boten haben es nicht leicht auf der Welt, sie werden verkannt, angefeindet, ja sogar getötet.
Als Gottes Bote berufen zu sein, das ist eine ehrenvolle, aber harte Aufgabe. Es reißt den Menschen aus seinem gewohnten Alltag heraus. Nichts bleibt, wie es vorher war. Gottes Boten haben kein gemütliches Leben voller Annehmlichkeiten, sondern müssen alle möglichen Entbehrungen ertragen.
Kein Wunder, dass Jona davor geflohen ist. Wer weiß, wie viele Menschen Gott zu seinen Boten beruft und wie viele an diesem Auftrag scheitern, weil sie Gott zu wenig vertrauen. Wer weiß, wie viele Menschen gerettet werden könnten, wenn alle Boten Gottes sprechen würden, wie Gott es ihnen aufträgt.
Nun geht Jona nach Ninive. Er tut, was Gott ihm aufgetragen hat. Drei Tage durchwandert er die Stadt und ruft aus voller Kehle. Und das Wunder geschieht: Ninive bekehrt sich und Gott führt das angedrohte Strafgericht nicht aus.

Jona machte sich auf den Weg und ging nach Ninive, wie der Herr es ihm befohlen hatte. Ninive war eine große Stadt vor Gott; man brauchte drei Tage, um sie zu durchqueren. Jona begann, in die Stadt hineinzugehen; er ging einen Tag lang und rief: Noch vierzig Tage und Ninive ist zerstört!
Und die Leute von Ninive glaubten Gott. Sie riefen ein Fasten aus und alle, Groß und Klein, zogen Bußgewänder an. Als die Nachricht davon den König von Ninive erreichte, stand er von seinem Thron auf, legte seinen Königsmantel ab, hüllte sich in ein Bußgewand und setzte sich in die Asche. Er ließ in Ninive ausrufen: Befehl des Königs und seiner Großen: Alle Menschen und Tiere, Rinder, Schafe und Ziegen, sollen nichts essen, nicht weiden und kein Wasser trinken. Sie sollen sich in Bußgewänder hüllen, Menschen und Tiere. Sie sollen laut zu Gott rufen und jeder soll umkehren und sich von seinen bösen Taten abwenden und von dem Unrecht, das an seinen Händen klebt. Wer weiß, vielleicht reut es Gott wieder und er lässt ab von seinem glühenden Zorn, sodass wir nicht zugrunde gehen.
Und Gott sah ihr Verhalten; er sah, dass sie umkehrten und sich von ihren bösen Taten abwandten. Da reute Gott das Unheil, das er ihnen angedroht hatte, und er führte die Drohung nicht aus. (Jona 3,3-10)

Die Leute von Ninive glauben Gott. Sie halten Jona nicht für einen Verrückten. Sie nehmen seine Botschaft ernst. Sogar der König steigt von seinem Thron. Was hier geschildert wird, ist das Idealbild eines gläubigen Volkes, das auf Gott und seine Boten hört. Es ist das Gegenbild des störrischen Israel, das uns die Bibel so oft zeigt, in dem die Könige dem Götzendienst verfallen und das Volk mit sich ins Verderben reißen.
Gott ist Barmherzigkeit. Gott vergibt. Durch den Propheten Jona können wir immer wieder neu lernen, was Gottes Treue bedeutet: Gottes Treue erweist sich nicht in der Unumstößlichkeit seiner Urteile, sondern in der immer größeren Fülle seiner Barmherzigkeit.
Ninive ist gerettet, weil sich die Leute auf das Wort des Jona hin bekehrt haben. Doch das passt Jona nicht. Sollte er nicht Gottes Strafgericht verkünden? Jetzt aber geschieht nichts dergleichen. Jona ist ein widerspenstiger Prophet, der scheinbar nichts von Gott versteht. Als solchen zeigt ihn uns auch das letzte Kapitel des Buches.

Das missfiel Jona ganz und gar und er wurde zornig. Er betete zum Herrn und sagte: Ach Herr, habe ich das nicht schon gesagt, als ich noch daheim war? Eben darum wollte ich ja nach Tarschisch fliehen; denn ich wusste, dass du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, langmütig und reich an Huld und dass deine Drohungen dich reuen. Darum nimm mir jetzt lieber das Leben, Herr! Denn es ist für mich besser zu sterben als zu leben. Da erwiderte der Herr: Ist es recht von dir, zornig zu sein? (Jona 4,1-4)

Ist der Zorn des Jona gerechtfertigt? Darf er sich über Gottes Barmherzigkeit ärgern? Die Bewohner von Ninive waren Heiden. Wir werden noch im Neuen Testament sehen, wie schwer sich selbst die engsten Anhänger Jesu damit getan haben, dass das Heil nicht auf Israel begrenzt blieb, sondern auch den Heiden zuteilwerden sollte.
Gottes Barmherzigkeit ist größer als die in seinem Namen erlassenen Gesetze. Das müssen wir uns auch heute vor Augen stellen. Das Buch Jona ist eines der beliebtesten Bücher der Bibel. Kindern lässt sich die schöne Geschichte mit dem Fisch gut erzählen. Aber betrachten wir das Buch nicht als ein schönes Märchen. Wenn wir es wirklich auf uns wirken lassen, werden wir die Sprengkraft entdecken, die auch heute noch darin steckt.
Jona war ja durchaus ein frommer Mann. Sicher hielt er sich an Gottes Gebote. Aber dass Gott Barmherzig ist und den Menschen vergibt, obwohl sie es nach menschlichen Maßstäben gar nicht verdient haben, diese Seite Gottes blendet er aus. Nicht die Furcht vor Gottes Strafe, sondern die Furcht vor Gottes Barmherzigkeit hat ihn vor Gott fliehen lassen. Lieber will er sterben, als mit der Erfahrung eines solchen barmherzigen Gottes zu leben.
Doch Gott zeigt Jona, wie kleinkariert er ist und anmaßend und eigentlich lächerlich:

Da verließ Jona die Stadt und setzte sich östlich vor der Stadt nieder. Er machte sich dort ein Laubdach und setzte sich in seinen Schatten, um abzuwarten, was mit der Stadt geschah. Da ließ Gott, der Herr, einen Rizinusstrauch über Jona emporwachsen, der seinem Kopf Schatten geben und seinen Ärger vertreiben sollte. Jona freute sich sehr über den Rizinusstrauch. Als aber am nächsten Tag die Morgenröte heraufzog, schickte Gott einen Wurm, der den Rizinusstrauch annagte, sodass er verdorrte. Und als die Sonne aufging, schickte Gott einen heißen Ostwind. Die Sonne stach Jona auf den Kopf, sodass er fast ohnmächtig wurde. Da wünschte er sich den Tod und sagte: Es ist besser für mich zu sterben als zu leben.
Gott aber fragte Jona: Ist es recht von dir, wegen des Rizinusstrauches zornig zu sein? Er antwortete: Ja, es ist recht, dass ich zornig bin und mir den Tod wünsche. Darauf sagte der Herr: Dir ist es leid um den Rizinusstrauch, für den du nicht gearbeitet und den du nicht großgezogen hast. Über Nacht war er da, über Nacht ist er eingegangen. Mir aber sollte es nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können - und außerdem so viel Vieh? (Jona 4,5-11)

Jona setzt sich missmutig auf einen Hügel östlich der Stadt. Er will beobachten, ob vielleicht nicht doch noch Gottes Strafgericht über die Stadt kommt. Aber nichts dergleichen geschieht. Da lässt Gott einen Strauch wachsen, der ihm Schutz vor der Sonne geben soll. Das gefällt Jona und hebt seine Stimmung ein wenig. Als aber am nächsten Tag ein Wurm den Strauch zerfrisst, da ist er wieder voller Zorn und wünscht sich erneut den Tod.
Wie verbohrt scheint dieser Mensch. So voller Trotz. Wir kennen das ja und nicht nur von Kindern. Die können mich alle mal. Ich bleibe hier sitzen. Auch wenn die Sonne noch so stark scheint. Nein, ich suche mir keinen Platz im Schatten. Wenn Gott so vielen Menschen gnädig ist, was bedeute ich ihm? Ja, ich will Gott wehtun, weil ich weiß, dass Gott traurig sein wird, wenn ich hier verrecke.
Trotz ist die größte Herausforderung der Liebe. Trotz ist eine Bestrafung der Liebe. Nur der Liebe gegenüber kann man trotzig sein. Wenn einem das Schicksal eines anderen gleichgültig ist, was stört es den, wenn dieser vor Trotz sich quält? Es wird ihm egal sein. Wer aber liebt, den treffen die selbstzugefügten Qualen des Trotzigen ins Herz. Er wird alles versuchen, um mit seiner Liebe wieder an ihn heran zu kommen.
So tritt auch Gott in seiner Liebe erneut an Jona heran. Schau, sagt er, dir ist es Leid um diesen Strauch, der gerade mal einen Tag da gestanden hat. Aber was ist mit all den vielen Menschen und auch Tieren in der Stadt? Sollte es einem nicht leid sein, wenn sie zugrunde gehen?
Das Buch Jona endet mit dieser Frage Gottes. Der Untergang jedes Menschen, der sich gegen Gott stellt, trifft Gott mitten in dessen liebendes Herz. Gott will allen Menschen sein Heil schenken. Aber so viele stellen sich gegen ihn. Und es gibt so viele scheinbar fromme Menschen, die sich über den Untergang dieser Menschen freuen, anstatt mit Gott darüber zu trauern.