Jesaja 50,4-11

3.Lied vom Gottesknecht

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Jesaja
Gott, der Herr, gab mir die Zunge von Schülern, damit ich verstehe, die Müden zu stärken durch ein aufmunterndes Wort. Jeden Morgen weckt er mein Ohr, damit ich höre, wie Schüler hören. (Jes 50,4)

Das Buch Deuterojesaja schildert die Heimkehr Israels aus dem Exil in Babylon. Diese Heimkehr geschieht aber nicht deshalb, damit Israel ein Leben wie vor dem Exil führen kann. Mit dem Auszug aus Babel beginnt eine neue Epoche für das Volk, so wie auch mit dem Auszug aus Ägypten eine neue Epoche begonnen hat. Damals hat Gott mit dem Volk Israel einen Bund geschlossen und das Volk in das verheißene Land geführt. Was nun geschieht übersteigt diesen Bund, denn nun ist Gott nicht nur für Israel da, sondern will durch Israel zu allen Völkern der Erde sprechen. Die neue Epoche, die mit dem Ende des Babylonischen Exils für Israel beginnt, findet mit dem Kommen Jesu Christi ihren Abschluss. Dann wird das umfassende Heil für alle Völker Wirklichkeit.
Gott bereitet Israel darauf vor, zum Licht der Völker zu werden. Der Gottesknecht, der nur in Deuterojesaja auftritt, wird zum Symbol für das neue Israel. Er steht für jeden einzelnen, der Gottes Ruf hört und ihn befolgt. Was Gott von Israel verlangt, übersteigt jedoch die Vorstellungskraft vieler. Viele sehnen sich zurück nach den alten Zeiten und wollen so leben, wie sie meinen, dass es früher gewesen ist. Aber die alten Zeiten sind vorbei, die Welt hat sich verändert. Gott braucht Zeugen, die in dieser neuen Welt seine Botschaft verkünden.
Der leidende Gottesknecht in diesem Lied zeigt uns, dass jeder, der Gottes Ruf ernst nimmt, anecken wird, er wird ausgegrenzt und geschlagen von denen, die sich selbst zu Hütern eines neuen Gesetzes gemacht haben, das sie für das Gesetz Gottes ausgeben. Sie haben Gottes Licht eingesperrt und wollen verhindern, dass es leuchtet, sie wollen selbst groß sein und machen daher Gott klein. Zwar preisen sie Gott mit großen Worten und errichten ihm einen strahlenden Tempel, aber sie wollen verhindern, dass Gott selbst wirkt und sich so zeigt, wie er wirklich ist. Sie vermitteln den Menschen ein falsches Bild von Gott, das seiner wahren Größe nicht entspricht.
Daher wird Gott selbst Mensch in Jesus Christus und zeigt sein wahres Gesicht. Er kommt in aller Einfachheit, er übt Barmherzigkeit und ruft die Menschen dazu auf, in grenzenloser Liebe zusammenzuleben. Gott nimmt sich der Menschen an und will jeden einzelnen in sein Reich aufnehmen. Doch auch Jesus Christus erleidet das Schicksal des Gottesknechtes und wird geschlagen und getötet. Doch Gott kann niemand töten und die Auferstehung ist der Garant dafür, dass ein Leben als Gottesknecht nicht vergebens ist.
Die wichtigste Eigenschaft des Gottesknechts ist die Bereitschaft zum Hören und Lernen. Der Gottesknecht ist Schüler Gottes. Aber er lernt nicht das, was Menschen über Gott sagen, sondern lernt, auf Gott selbst zu hören. Gott selbst ist es, der ruft. Am Morgen, in der Nacht, während des Tages, Gottes Ruf kann immer ergehen. Aber es fällt uns schwer, ihn zu hören. Wie kann ich Gottes Stimme von den vielen anderen Stimmen unterscheiden? Das bedarf entweder langer Übung oder geschieht in einem Augenblick der Gnade. Wir sollten uns aber nicht lange damit aufhalten, darüber nachzugrübeln wie schwer es ist, Gottes Stimme zu hören, sondern einfach damit anfangen, nach ihr zu lauschen. Dann findet Gott schon den Weg in unser Ohr.

Gott, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet. Ich aber wehrte mich nicht und wich nicht zurück. (Jes 50,5)

Gott selbst öffnet unser Ohr für seine Stimme. Auf uns kommt es dann an, das zu tun, was er sagt. Gottes Wille ist nicht immer leicht zu befolgen. Er besteht nicht darin, dass wir ein bequemes Leben führen. Oft ist es ein Einsatz, der an den Rand unserer Kräfte geht, den Gott von uns fordert. Wenn wir gelernt haben, Gottes Stimme zu hören, besteht der nächste Lernschritt darin, seinen Willen anzunehmen und zu befolgen.

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Jesaja
Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen, und meine Wange denen, die mir den Bart ausrissen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel. Und Gott, der Herr, wird mir helfen; darum werde ich nicht in Schande enden. Deshalb mache ich mein Gesicht hart wie einen Kiesel; ich weiß, dass ich nicht in Schande gerate. Er, der mich freispricht, ist nahe. Wer will mit mir streiten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer ist mein Gegner im Rechtsstreit? Er trete zu mir heran. Siehe, Gott, der Herr, wird mir helfen. Wer kann mich für schuldig erklären? Siehe, sie alle zerfallen wie ein Gewand, das die Motten zerfressen. Wer von euch den Herrn fürchtet, der höre auf die Stimme seines Knechtes. Wer im Dunkel lebt und wem kein Licht leuchtet, der vertraue auf den Namen des Herrn und verlasse sich auf seinen Gott. Ihr alle aber, die ihr Feuer legt und Brandpfeile entzündet, lauft in die Glut eures eigenen Feuers und in die Brandpfeile, die ihr entflammt habt. Durch meine Hand kommt das über euch; am Ort der Qualen werdet ihr liegen. (Jes 50,6-11)

Die vier Gottesknechtslieder schildern in poetischen Worten das Schicksal des Knechtes Gottes. Gerade die Leiden des Knechtes im Dienst Gottes für das Volk erfüllte Christus auf einzigartige Weise durch seinen Kreuzestod zum Heil der Menschen. Daher haben das dritte und vierte Gottesknechtslied einen festen Platz in der Liturgie der Passionszeit, das dritte Gottesknechtslied wird am Palmsonntag, das vierte am Karfreitag gelesen.
Knecht Gottes meint den von Gott in besonderer Weise in Dienst Gerufenen. Durch das Hören auf Gottes Botschaft gleicht dieser einem Schüler oder Jünger, der die Worte des Meisters hört, diese betrachtend verinnerlicht und in der Tat erfüllt. Wenn auch Christus in seiner göttlichen Natur weit mehr war als ein Schüler Gottes, so hat er doch als Mensch immer wieder die betende Zwiesprache mit seinem Vater im Himmel gesucht. Wenn wir Christus nachfolgen, bekommen die Worte des Propheten auch für uns eine drängende Aktualität.
Gottes Wort ist Zuspruch für die Menschen. Es dient nicht der inneren Erbauung des Jüngers, sondern er soll es verkünden zur Stärkung des Volkes. Der Knecht Gottes, auch wenn er selbst geschlagen wird, übt keinerlei Unterdrückung aus, sondern stärkt und baut seine Mitmenschen auf. Woher nimmt er aber die Kraft? Allein aus seiner Verbindung zu Gott.
Der Diener Gottes muss immer wieder in lebendige Zwiesprache mit Gott treten. Das ist das unerschütterliche Fundament seines Lebens. Am Beginn jedes Tages, vor jedem Tun und auch am Ende des Tages versetzt er sich in die Gegenwart Gottes. Was will Gott heute von mir? Was will er jetzt in dieser konkreten Situation von mir? Er verliert sich nicht in falschem Aktionismus und richtungslosen Irrwegen. Die Konzentration auf Gott gibt ihm Richtung und Entschiedenheit.
Gott ist es, der ihm das Ohr geöffnet hat. Gott hat ihn gerufen. Ein interessantes Bild. Wenn Gott ruft, dann öffnet er die Verbindung zwischen sich und uns. Gott ergreift die Initiative, der Mensch aber entscheidet, ob er Gottes Ruf zu sich dringen lässt oder ignoriert. Gott ruft, aber er zwingt nicht. Er wartet, ob wir bereit sind, die Verbindung aufrecht zu erhalten. Wer aber als von Gott Gerufener das verkündet, was Gott zu ihm gesprochen hat, tritt mit einer unüberbietbaren Autorität auf.
Immer aber sind es nur wenige, die auf den Knecht Gottes hören. Etliche mögen gleichgültig sein, manche aber treten in Opposition zum ihm. Gerade die Mächtigen sind oft nicht bereit, sich der Autorität seines Auftretens unterzuordnen. So ergeht es den Boten Gottes zu allen Zeiten. Auch Christus führte sein Auftreten in göttlicher Vollmacht zur Anklage wegen Gotteslästerung und Hochverrat.
Christus ist das perfekte Abbild des leidenden Gottesknechts. Die Evangelien schildern die Verspottung und Folter, die Jesus angetan wurden. Er wurde verhöhnt, bespuckt und gegeißelt. Dabei blieb er stumm, wie ein Lamm angesichts des Scheerers, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Er wehrte sich nicht vor den Schlägen, gab keine Beleidigung zurück. Wer selbst einmal zu Unrecht beschuldigt und verhöhnt wurde, der weiß, dass es viel mehr Kraft erfordert, hier ruhig zu bleiben, als sich zu wehren. Das Schweigen Jesu ist also nicht Zeichen von Schwäche, sondern von innerer Größe.
Und doch wahrt er sein Gesicht. Wir sehen es auch bei den Märtyrern. Erhobenen Hauptes gehen sie stolz in den Tod. Der Gerechte lässt sich nicht unterkriegen. Er weiß, dass er für die Gerechtigkeit einsteht und dass diese letztlich siegen wird, auch wenn er für sie in den Tod geht. Gott wird für seine Sache eintreten. Wenn es hart auf hart kommt, können wir die Gerechtigkeit nicht mehr mit Worten verteidigen, sondern nur noch durch Standhaftigkeit bis in den Tod. Doch die Gerechtigkeit wird nicht untergehen, sondern Gott wird immer neu seine Knechte rufen.