Jesaja 49,1-6

2.Lied vom Gottesknecht

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Jesaja
Hört auf mich, ihr Inseln, merkt auf, ihr Völker in der Ferne! Der Herr hat mich schon im Mutterleib berufen; als ich noch im Schoß meiner Mutter war, hat er meinen Namen genannt. Er machte meinen Mund zu einem scharfen Schwert, er verbarg mich im Schatten seiner Hand. Er machte mich zum spitzen Pfeil und steckte mich in seinen Köcher. Er sagte zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, an dem ich meine Herrlichkeit zeigen will.
Ich aber sagte: Vergeblich habe ich mich bemüht, habe meine Kraft umsonst und nutzlos vertan. Aber mein Recht liegt beim Herrn und mein Lohn bei meinem Gott.
Jetzt aber hat der Herr gesprochen, der mich schon im Mutterleib zu seinem Knecht gemacht hat, damit ich Jakob zu ihm heimführe und Israel bei ihm versammle. So wurde ich in den Augen des Herrn geehrt und mein Gott war meine Stärke. Und er sagte: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs wieder aufzurichten und die Verschonten Israels heimzuführen. Ich mache dich zum Licht für die Völker; damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht. (Jes 49,1-6)

Das zweite Lied vom Gottesknecht betont den universalen Anspruch Gottes, der sich an alle Völker richtet. Anders als im ersten Gottesknechtslied, das einen legitimierenden Ausspruch Gottes über seinen Knecht darstellt, spricht hier der Knecht selbst von seiner Berufung. Er weiß um seine Erwählung und Sendung. Gott hat zu ihm gesprochen. Sein Auftrag ist es zunächst, Israel zu sammeln und heimzuführen. Aber das ist zu wenig. Er soll das Licht aller Völker sein, damit Gottes Heil bis an die Enden der Erde reicht.
Das Volk Israel hat sich stets mit dem Gottesknecht identifiziert und sah sich als Zeichen Gottes unter den Völkern, als Sakrament der Gegenwart Gottes. Bei seiner Befreiung aus dem babylonischen Exil durch den Perserkönig Kyros stand Israel plötzlich im Mittelpunkt der Weltgeschichte. Dieses kleine Volk hatte es zu internationaler Bedeutung gebracht. Zudem gab es nun nicht mehr nur in Israel Juden, sondern sie waren infolge der damals immer globaler werdenden Welt in allen Ländern der Welt präsent.
Mit Jesus Christus ist dieser Anspruch, Zeichen der Gegenwart Gottes in der Welt zu sein, auf die Kirche übergegangen. Dies macht das Zweite Vatikanische Konzil in der dogmatischen Konstitution über die Kirche, die nach ihren Anfangsworten den bezeichnenden Titel "Lumen gentium" (Licht der Völker) trägt, deutlich:

Christus ist das Licht der Völker. Darum ist es der dringende Wunsch dieser im Heiligen Geist versammelten Heiligen Synode, alle Menschen durch seine Herrlichkeit, die auf dem Antlitz der Kirche widerscheint, zu erleuchten, indem sie das Evangelium allen Geschöpfen verkündet (vgl. Mk 16,15). Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit. Deshalb möchte sie das Thema der vorausgehenden Konzilien fortführen, ihr Wesen und ihre universale Sendung ihren Gläubigen und aller Welt eingehender erklären. Die gegenwärtigen Zeitverhältnisse geben dieser Aufgabe der Kirche eine besondere Dringlichkeit, dass nämlich alle Menschen, die heute durch vielfältige soziale, technische und kulturelle Bande enger miteinander verbunden sind, auch die volle Einheit in Christus erlangen.

Wie kann diese Einheit aussehen? Die Kirche kann heute nicht mehr mit dem Absolutheitsanspruch früherer Zeiten auftreten, wenn sie unter allen Menschen ein glaubhaftes Zeugnis für Gottes Gegenwart geben will. Es muss eine Einheit in der Vielfalt sein, die Raum gibt für die Eigenständigkeit unterschiedlicher Kulturen, aber dennoch am Kern des Evangeliums festhält.
Ziel der Sendung des Gottesknechtes ist es, Gottes Heil den Menschen bis an das Ende der Erde zu bringen, Friede, wo Krieg herrscht, Versöhnung, wo Streit die Menschen entzweit, Heilung, wo Krankheit quält. Bitten wir Gott darum, dass wir zu Boten seines Heils werden, zu Zeugen der Liebe Gottes.