Jeremia 11,18-12,6

Erste Klage

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Jeremia
Der Herr ließ es mich wissen und so wusste ich es; damals ließest du mich ihr Treiben durchschauen. Ich selbst war wie ein zutrauliches Lamm, das zum Schlachten geführt wird, und ahnte nicht, dass sie gegen mich Böses planten: Wir wollen den Baum im Saft verderben; wir wollen ihn ausrotten aus dem Land der Lebenden, sodass man seinen Namen nicht mehr erwähnt.
Aber der Herr der Heere richtet gerecht, er prüft Herz und Nieren. Ich werde sehen, wie du Rache an ihnen nimmst; denn dir habe ich meine Sache anvertraut. Darum - so spricht der Herr gegen die Leute von Anatot, die mir nach dem Leben trachten und sagen: Du darfst nicht als Prophet im Namen des Herrn auftreten, wenn du nicht durch unsere Hand sterben willst.
Darum - so spricht der Herr der Heere: Seht, ich werde sie zur Rechenschaft ziehen. Die jungen Männer sterben durchs Schwert, ihre Söhne und Töchter sterben vor Hunger. So wird den Leuten von Anatot kein Rest mehr bleiben, wenn ich Unheil über sie bringe, das Jahr ihrer Bestrafung. (Jer 11,18-23)

Wie bei keinem anderen Propheten hängen Verkündigung und Lebensschicksal so eng zusammen, wie bei Jeremia, und kein anderer Prophet lässt uns so intensiv an seinem Schicksal teilhaben wie er. In insgesamt fünf Klagen bringt Gott sein Schicksal vor Gott. Der Prophet droht zu zerbrechen unter der Last, die Gott ihm auferlegt hat. Er wird von allen Seiten angefeindet, muss in Einsamkeit leben, wird gefangen gehalten, ja man will ihn sogar töten.
Doch in allem weiß er sich von Gott getragen. Er vertraut auf Gott, ihm hat er sein Geschick anvertraut und Gott lässt seinen Propheten nicht im Stich. Er wird die Feinde des Jeremia zur Rechenschaft ziehen.
Jeremia streitet mit Gott, doch immer wieder muss er erfahren, dass Gott im Recht ist. Immer mehr durchschaut er Hinterlist und Betrug der Bewohner Jerusalems, immer deutlicher erkennt er, was hinter den schönen Worten steckt und wie verdorben die Herzen der Menschen sind.

Du bleibst im Recht, Herr, wenn ich mit dir streite; dennoch muss ich mit dir rechten. Warum haben die Frevler Erfolg, weshalb können alle Abtrünnigen sorglos sein? Du hast sie eingepflanzt und sie schlagen Wurzel, sie wachsen heran und bringen auch Frucht. Nur ihrem Mund bist du nah, ihrem Herzen aber fern.
Du jedoch, Herr, kennst und durchschaust mich; du hast mein Herz erprobt und weißt, dass es an dir hängt. Raff sie weg wie Schafe zum Schlachten, sondere sie aus für den Tag des Mordens! Wie lange noch soll das Land vertrocknen, das Grün auf allen Feldern verdorren? Weil seine Bewohner Böses tun, schwinden Vieh und Vögel dahin. Denn sie denken: Er sieht unsre Zukunft nicht. - Wenn schon der Wettlauf mit Fußgängern dich ermüdet, wie willst du mit Pferden um die Wette laufen? Wenn du nur im friedlichen Land dich sicher fühlst, wie wirst du dich verhalten im Dickicht des Jordan? Selbst deine Brüder und das Haus deines Vaters handeln treulos an dir; auch sie schreien laut hinter dir her. Trau ihnen nicht, selbst wenn sie freundlich mit dir reden. (Jer 12,1-6)

Gott hat Jeremia gezeigt, dass selbst seine engsten Verwandten gegen ihn sind. Das offenbart seine totale Einsamkeit. Denn ohne die Bindung an seine Familie ist ein Mensch des Orients letztlich wie ein Fremder. Wenn seine Familie nicht mehr hinter ihm steht, hat er letztlich niemand mehr, der ihm Schutz bietet. Doch Gott kümmert sich um ihn. Er verlässt ihn nicht. Diese Erfahrung macht der Prophet immer wieder in der größten Not.
Ein Wort lohnt es noch näher zu betrachten:

Wie lange noch soll das Land vertrocknen, das Grün auf allen Feldern verdorren? Weil seine Bewohner Böses tun, schwinden Vieh und Vögel dahin. (Jer 12,4)

Ist es nicht auch heute so? Leben wir nicht auch heute in ähnlichen Zeiten wie Jeremia? Nach außen hin scheint alles toll zu sein. Die Wirtschaft boomt, wir haben zumindest hier bei uns alles im Überfluss. Aber an Gott denkt kaum jemand mehr. Und die Schöpfung leidet, weil nur noch wenige an ihren Schöpfer denken. Stattdessen meinen viele, dass sich der Mensch selbst zum Schöpfer machen kann. Sie wollen die Schöpfung so gestalten, wie es ihren Vorstellungen entspricht. Aber wo führt das hin? Wir erleben es, wie immer mehr Land vertrocknet, unfruchtbar wird, Tiere und Vögel aussterben. Ein ganz natürliches Phänomen? Oder vielleicht doch die Folge der maßlosen Gier des Menschen? Was wird Gott heute tun, um der Maßlosigkeit des Menschen Einhalt zu gebieten?