Matthäus 25,14-30

Talente

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Matthäus
Es ist wie mit einem Mann, der auf Reisen ging: Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab. (Mt 25,14-15)

Jesus erzählt ein Gleichnis. Darin geht es um einen Mann, der auf Reisen geht, und zuvor sein Geld seinen Dienern anvertraut. Wir befinden uns im Zusammenhang des Matthäusevangeliums immer noch in der Rede über die Endzeit, in der Jesus über seine Wiederkunft am Ende der Zeiten spricht und die Gläubigen dazu ermahnt, stets auf den Tag seines Kommens vorbereitet zu sein. Der Mann, der auf Reisen geht, ist also Jesus selbst und die Diener sind die Gläubigen.
Der Mann ist sehr reich, denn das Vermögen, das er unter seine Diener aufteilt, ist sehr groß. Das Talent war in der Antike die Bezeichnung für eine große Geldsumme. Die genaue Umrechnung ist schwierig, aber nach heutigen Maßstäben könnte es sich um mehrere Millionen Euro gehandelt haben, die der Herr großzügig verteilt. Heute meint das Wort Talent auch die besondere Begabung eines Menschen. Diese Wortbedeutung hat sich im Laufe der Zeit aus diesem Gleichnis heraus entwickelt, weil man schon immer verstanden hat, dass es Jesus hier nicht um Geld geht, sondern um die Fähigkeiten, die Gott jedem Menschen schenkt.
Zur Zeit Jesu war das Reisen riskanter als heute und daher war es nicht gewiss, ob der reiche Mann jemals wiederkommen wird. Der Herr vertraut seinen Dienern. Er vertraut ihnen, dass sie sich nicht mit dem Geld einfach aus dem Staub machen, sondern dass sie es in seiner Abwesenheit gewinnbringend anlegen. Den Dienern war klar, dass ihr Herr möglicherweise nicht mehr zurückkommen wird oder seine Ankunft sich verzögert. Trotzdem vertraut er darauf, dass sie so mit dem Geld umgehen, als würde er jederzeit wiederkommen, um über den Verbleib des Geldes Rechenschaft zu verlangen.

Sofort begann der Diener, der fünf Talente erhalten hatte, mit ihnen zu wirtschaften, und er gewann noch fünf dazu. Ebenso gewann der, der zwei erhalten hatte, noch zwei dazu. Der aber, der das eine Talent erhalten hatte, ging und grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn. (Mt 25,16-18)

Was würden sie tun, wenn sie plötzlich mehrere Millionen Euro geschenkt bekommen oder, was sehr unwahrscheinlich, aber dennoch nicht unrealistisch ist, falls sie Lotto spielen, sechs Richtige haben, vielleicht sogar noch mit Zusatzzahl und auch den Jackpot knacken? Manch einer würde vielleicht seinen Job hinschmeißen und erst einmal in Saus und Braus leben, bis er merkt, dass das Geld doch langsam knapp wird. Eine Million erscheint groß, wenn man sie nicht hat, aber sie ist schnell ausgegeben, wenn man sie hat und nicht sorgsam damit umgeht.
Die Diener haben das Geld eigentlich nicht geschenkt bekommen. Sie sollten vielmehr das Vermögen ihres Herrn während seiner Abwesenheit gewinnbringend verwalten. Das steht so nicht im Text, wird aber vorausgesetzt. Alles, was wir haben, sei es Geld oder Fähigkeiten, ist letztlich ein Geschenk, und wir müssen damit verantwortungsvoll umgehen. Was wir haben, ist nicht nur für uns, sondern wir sollen damit wirtschaften, indem wir unser Geld und unsere Fähigkeiten gewinnbringend für unser und das Wohl anderer einsetzen.
Gewinn machen wird leider oft dahingehend missverstanden, dass man möglichst viel für sich selbst herausholt. Es gibt zu allen Zeiten Gewinn, der auf Ausbeutung beruht. Dieser Gewinn verschafft einigen wenigen Wohlstand, ist aber für alle als Verlust anzusehen, weil der Schaden, den er anrichtet, immens ist, sei es für andere Menschen, sei es für die Umwelt, was wiederum bedeutet, dass der Schaden letztlich auch irgendwann auf Menschen zurückfällt.
Doch Gewinn muss nicht auf Ausbeutung beruhen. Wo Ressourcen verantwortungsvoll eingesetzt werden, kann auch ein Gewinn erwirtschaftet werden, der allen nützt. Jesus will mit diesem Gleichnis nicht eine Gewinnmaximierung um jeden Preis forcieren, sondern er will zeigen, dass jeder Mensch mit dem, was ihm zur Verfügung steht, einen Gewinn erzielen kann. Aber dazu braucht es den Mut, das Leben anzupacken, und nicht angstvoll seine Fähigkeiten zu verstecken. Auch wenn die Fähigkeiten noch so klein sein mögen, sie reichen immer dazu aus, den Gewinn zu erzielen, der den Herrn erfreut.

Nach langer Zeit kehrte der Herr zurück, um von den Dienern Rechenschaft zu verlangen. Da kam der, der die fünf Talente erhalten hatte, brachte fünf weitere und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen. Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!
Dann kam der Diener, der zwei Talente erhalten hatte, und sagte: Herr, du hast mir zwei Talente gegeben; sieh her, ich habe noch zwei dazugewonnen. Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!
Zuletzt kam auch der Diener, der das eine Talent erhalten hatte, und sagte: Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mann bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Hier hast du es wieder. Sein Herr antwortete ihm: Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du hast doch gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe. Hättest du mein Geld wenigstens auf die Bank gebracht, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten.
Darum nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen. (Mt 25,19-30)

Als der Herr nach langer Zeit zurückkommt, freut er sich über das, was die Diener geleistet haben, egal ob es viel oder wenig ist. Er freut sich darüber, dass er nicht umsonst sein Vertrauen in sie gesetzt hat. Nur über einen freut er sich nicht, über den, der aus Angst das Talent vergraben hat. Warum wird dieser so hart bestraft? Zunächst denken wir vielleicht, der Herr ist ja selber schuld, wenn er dem einen nur ein Talent gegeben hat. Hätte er ihm mehr gegeben, dann hätte er auch mehr daraus gemacht. Aber stimmt diese Denkweise? Ein Talent ist eine ungeheure Summe. Würden bei uns drei Leute Geld bekommen, einer fünf, einer zwei und einer "nur" eine Million, so würden wir doch nicht sagen, dass eine Million zu wenig wäre, um etwas Vernünftiges daraus zu machen.
Jeder bekommt nach seinen Fähigkeiten, alle drei haben etwas bekommen. Der letzte Diener aber wird bestraft, weil er nicht an sich und an die Fähigkeiten, die ihm sein Herr zugetraut hat geglaubt hat. Stattdessen erfindet er alle möglichen Ausreden, warum er sein Leben nicht anpacken wollte. Er hatte Angst vor seinen Herrn, der in seinen Augen so streng ist. Letztlich gesteht er nicht seine eigene Schwachheit ein, sondern macht dem Herrn Vorwürfe. Aber ist der Herr wirklich so streng und angsteinflößend, wenn er ein solches Vertrauen in den Diener setzt, dass er ihm zwar nicht den größten Teil, aber doch einen großen Anteil an seinem Vermögen zuteilt? Er hat Vertrauen in den Diener, aber dieses wird bitter enttäuscht, weil dieser in seinem Herrn nicht den großzügigen Geber, sondern nur den strengen Richter sieht.
Der Herr traut jedem zu, aus dem, was er hat, etwas zu machen. Das ist das Tröstliche an diesem Evangelium. Ich denke, jeder Mensch, der in die Welt kommt, ist ein auf ungeheure Weise beschenkter. Schon allein das Geschenk, leben zu dürfen, ist unbezahlbar. Doch wir erfahren auch, dass das Leben schwer ist. Manche scheinen begünstigt, sind gesund, glücklich und vielleicht auch noch reich, andere sind krank, arm, depressiv ... Ist es da nicht ein Hohn zu sagen: Mach etwas aus deinem Leben?
Wir hören aber auch immer wieder, dass es Menschen gibt, die am Boden waren, am Ende, die aber wieder aufgestanden sind, die es geschafft haben zu leben, dass selbst Menschen in schwerer Krankheit durch die Annahme ihres Leids im tiefsten Elend doch etwas vom Glück spüren durften. Das ist die Hoffnung, die uns Gott gibt. Gott will, dass wir bewusst leben. Gott will nicht, dass wir alles einfach so hinnehmen, wie es ist, dass wir im Alltagstrott erstarren. Das hieße das Talent vergraben, wenn alles so bleiben soll, wie es ist, ohne jede Veränderung. Wie traurig ist es zu sehen, dass viele Menschen so leben. Die Hoffnung aber besteht darin, dass von Gott jeder Mensch so viel bekommen hat, um etwas aus seinem Leben zu machen, und dass Gott in jeden Menschen das Vertrauen setzt, dass er das nötige dafür tut. Es muss nicht das Große sein. Freilich, manchen wurde viel gegeben und von ihnen wird auch viel erwartet. Aber auch der "einfache" Mensch hat sein Talent bekommen. Schon wenn der dritte Diener das Geld auf die Bank gebracht hätte, wäre sein Herr damit zufrieden gewesen.

Gott verlangt von uns nichts Unmögliches, aber doch soviel, wie uns möglich ist.

Jesus will uns dazu ermutigen, unsere Ängste zu überwinden und unser Leben zu wagen, die Welt zu entdecken, die er uns geschenkt hat und die Menschen, die in dieser Welt leben. Das heißt auch, nicht in der Vergangenheit leben, sondern die Zukunft wagen. Jesus Christus ist derselbe, gestern, heute und morgen. Ihn gilt es als den Bleibenden in unsere Zeit zu tragen, die sich ständig verändert, mit neuen Worten, die die Menschen heute ansprechen, mit Taten, die heute nötig sind.
Jeder hat seine ganz persönliche Berufung, jeder hat sein ganz eigenes Talent bekommen, das es zu entdecken und einzusetzen gilt. Wer wagt gewinnt, so heißt es. Sicher, ein Risiko bleibt immer und man kann einmal einen Fehler machen, doch schlimmer, als einen Fehler zu machen, ist es, aus Angst vor Fehlern gar nichts zu machen. Fehler kann man wieder gut machen, aus Fehlern kann man lernen, wer aber nichts tut, kann nur verlieren.

Herr, lass mich die Talente erkennen, die du mir gegeben hast, und gib mir den Mut, sie in meinem Leben einzusetzen - zu deiner Ehre und zum Wohl der Menschen.

In dem Gleichnis, das Jesus seinen Jüngern erzählt, geht es nicht um Gewinnmaximierung und Erfolg im wirtschaftlichen Sinn. In seinen Gleichnissen gebraucht Jesus immer ein Bild aus der materiellen Welt, das den Menschen vertraut ist, um eine tiefergehende Wirklichkeit, die unseren Augen verborgen ist, auszudrücken.
Ein Talent war für die Menschen damals der Inbegriff einer riesigen Geldsumme. Keiner der Menschen, zu denen Jesus sprach, hatte wohl jemals so viel Geld gesehen und selbst die Reichen, denen Jesus begegnet ist, gehörten nicht zu den Superreichen, die ein so großes Vermögen hatten. Jeder seiner Zuhörer verstand sofort, dass das, was der Mann im Evangelium seinen Dienern anvertraute, alles übertraf, was sie sich vorstellen konnten.
Jesus will damit zeigen, wie sehr Gott jedem einzelnen Menschen vertraut und wie reich er jeden einzelnen beschenkt. Auch wenn es Unterschiede gibt und manche mehr bekommen als andere, so hat doch jeder sehr viel bekommen. Der Herr traut jedem seiner Diener etwas zu, so traut auch Gott jedem Menschen zu, aus dem, was er hat, etwas zu machen.
Wir sollen das, was wir bekommen haben, einsetzen zur Freude des Herrn. Gott freut sich über unseren Mut und Einfallsreichtum, auch wenn diese nicht immer von Erfolg gekennzeichnet sind. Gott will, dass wir mutig ins Leben gehen und uns an der Stelle, an der wir stehen, zu seiner Ehre und zum Wohl der Menschen einbringen. Das ist unsere Berufung. Das können ganz kleine und unscheinbare Dinge sein. Wir brauchen keine großen Prediger oder Wunderheiler zu werden. Es genügt schon, wenn sich Menschen in unserer Nähe wohl fühlen, weil wir freundlich und hilfsbereit sind.
Wer sich aber ängstlich versteckt und noch dazu sagt, dass er aus Angst vor Gottes Strafe nichts gewagt hat, der hat Gott nicht verstanden. Er zweifelt an Gott und seiner Güte und lehnt Gottes Geschenk ab. Solche Menschen will Jesus mit diesem Gleichnis wachrütteln. Sie sollen die Augen aufmachen und erkennen, wie sehr Gott auch sie beschenkt hat. Jesus will ihnen Mut machen, auch etwas zu wagen, nicht aus Furcht vor der Strafe, sondern weil sie erfahren haben, dass Gott jeden Menschen unfassbar liebt und immer, wirklich immer einen Weg öffnen kann zu einem befreiten und glücklichen Leben.