Matthäus 18,12-20

Verantwortung

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Mt 18
Was meint ihr? Wenn jemand hundert Schafe hat und eines von ihnen sich verirrt, lässt er dann nicht die neunundneunzig auf den Bergen zurück und sucht das verirrte? Und wenn er es findet - amen, ich sage euch: er freut sich über dieses eine mehr als über die neunundneunzig, die sich nicht verirrt haben. So will auch euer himmlischer Vater nicht, dass einer von diesen Kleinen verloren geht. (Mt 18,12-14)
Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen. Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei Männer mit, denn jede Sache muss durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werden. Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde. Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner. (Mt 18,15-17)

Von Oscar Wilde stammt das folgende Zitat:

Ich gebe Ratschläge immer weiter. Es ist das einzige, was man damit anfangen kann.

Oscar Wilde hat recht. Auf manch gut gemeinte Ratschläge kann man verzichten. Oft ist es so, dass andere Menschen meinen, alle müssten das tun, was sie selbst gerade als besonders gut und hilfreich für sich herausgefunden haben. Sie machen sich nicht die Mühe, darauf zu achten, wie es dem anderen wirklich geht und was er wirklich brauchen könnte.

Guter Rat ist teuer.

Es gibt aber auch immer wieder Situationen, in denen Menschen nicht mehr weiter wissen und Rat suchen. Manche Entscheidungen zu treffen, fällt schwer. Da ist es gut, Freunde zu haben, mit denen man sich besprechen kann, doch auch dann kommt es vor, dass ein Mensch den falschen Weg einschlägt. Es ist anders gekommen als erwartet, er hat hoch gespielt und alles verloren, hatte mehr den eigenen Vorteil im Auge als die Gerechtigkeit ... Menschen machen Fehler und Menschen fallen in Sünde. Jede Sünde aber betrifft stets die ganze Gemeinschaft. Was also sollen wir tun, wenn wir sehen, dass ein Mensch dabei ist, den falschen Weg einzuschlagen?

Wenn du mit dem Finger auf einen anderen zeigst, zeigen drei Finger auf dich selbst.

Wie leicht ist es da doch, über andere zu reden. Schau mal, der da, was der wieder ausgefressen hat. So entstehen Gerüchte und Getuschel und schnell wird der andere ins soziale Abseits manövriert. Ist ihm damit geholfen? Sicher nicht.
Und ich selbst und die Menschen, die mit mir so sicher über den anderen geurteilt haben, sind wir wirklich so gut und machen alles richtig? In den Augen Jesu werden wir sicher als Heuchler dastehen. Was also tun?

Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen. (Mt 18,15)

Es kostet Mut, direkt auf einen Menschen zuzugehen und ihm unter vier Augen zu sagen, wie ich über sein Verhalten denke. Genau das erwartet Jesus von mir, ein offenes und ehrliches Gespräch mit dem anderen, in dem ich nicht als besserwisserischer Ratgeber erscheine. Vielleicht hat der andere gar nicht gemerkt, wie sein Verhalten auf andere wirkt und ist nun selbst erschüttert darüber und will sich ändern. Vielleicht hatte er bisher nicht den Mut, es anders zu machen und bekommt so den Anstoß, sich zu ändern. Vielleicht kommt er ohne fremde Hilfe nicht aus einer Situation heraus und wir können zusammen nach einem Weg für ihn suchen. Wie es im Einzelfall auch sein mag, sicher ist ein offenes und ehrliches Gespräch in vielen Fällen hilfreich.

Wer mehr, als gut ist, schweigt, soll bedenken, dass er, wenn er den Nächsten liebt wie sich selbst, durchaus nicht schweigen soll gegenüber einem Unrecht, das er an einem anderen zurecht missbilligt. Das gesprochene Wort wird zum Medikament und leistet einen heilsamen Dienst. Diejenigen aber, die das heilende Wort zurückhalten und schweigen, verhalten sich gerade so wie Leute, die Krankheiten erkennen, aber sich heimlich dem Gebrauch der Heilmittel entziehen und so schließlich den Tod dadurch verursachen, weil sie die Heilmittel verweigern, die Heilung bringen konnten. (Gregor der Große)

Wir stehen also sogar in der Pflicht, einem anderen Menschen auf sein Fehlverhalten hinzuweisen. Im kirchlichen Bereich hat sich dafür der Begriff der Correctio Fraterna herausgebildet, zu Deutsch brüderliche (oder besser: geschwisterliche) Zurechtweisung. Ausgehend von der Weisung Jesu in Mt 18,15-18 erlangte er über die Regel des Hl. Benedikt vor allem auch in den Klöstern große Bedeutung. Das Gespräch unter vier Augen soll der erste Schritt zur Ermahnung dessen sein, der einen offensichtlichen Fehler oder einen Verstoß gegen die Ordnung der Gemeinschaft begeht. Falls keine Anzeichen der Besserung erkennbar sind, wird die Angelegenheit unter Zeugen behandelt, dann vor der ganzen Gemeinschaft.
Es gibt aber auch Menschen, die nicht bereit sind, ihr Verhalten zu ändern und sich so immer tiefer in Schuld verstricken. Damit für die Gemeinschaft kein noch größerer Schaden entsteht, ist es dann gerechtfertigt, die Angelegenheiten unter Zeugen und dann vor der ganzen Gemeinde zu besprechen. Der andere soll aber stets die Möglichkeit haben, ohne das Gesicht zu verlieren wieder Teil der Gemeinschaft zu werden, wenn er das wirklich möchte.

Herr, gib mir zur rechten Zeit einen Menschen, der mir die Wahrheit in Liebe sagt.

Es ist stets etwas Wunderbares, wenn ein Mensch wieder auf den richtigen Weg zurück findet. Das ist wichtig für den einzelnen, aber auch für die Gemeinschaft als Ganzes. Wenn einer uneinsichtig ist und nicht mit sich reden lässt, hilft aber immer noch das Gebet für ihn. Das Gebet ist stärker als alle Worte.

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Wo zwei oder drei
Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein.
Weiter sage ich euch: Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. (Mt 18,18-20)

Jesus macht die Erfahrbarkeit seiner Gegenwart unter den Menschen und die Erhörung unserer Bitten davon abhängig, wie wir selbst miteinander umgehen. Nichts fällt Menschen so schwer, wie untereinander einig zu sein. Das zeigt in bitterer Weise auch die Geschichte der Kirche. Aber nichts ist für eine Gemeinschaft so wichtig wie diese Einigkeit. Wo sie fehlt, zerfällt die Gemeinschaft und verliert ihre Kraft. Dazu eine kurze Geschichte:

Die Schüler fragten ihren Meister: "Der Herr hat doch gesagt: 'Bittet, und ihr werdet empfangen!' - warum erhalten wir so wenig im Gebet?" Dieser antwortete: "Der einzelne ist ein Abgrund, und wenn Gott die schönsten Gaben in den Abgrund wirft, so verschwinden sie, wir nehmen sie nicht wahr. Wir müssen ein Netz spannen, um Gottes Gaben aufzufangen. Es ist das Netz der Eintracht und der Liebe. Wenn wir einmütig um etwas bitten, wenn die Fäden des Netzes fest zwischen uns gespannt sind, dann werden wir erhalten."

Um diese Einheit untereinander sollen wir auch immer beten. Ganz besonders gilt unser Gebet auch jenen Menschen, die auf dem falschen Weg sind. Wenn unsere Mahnungen auch fruchtlos sind, so kann Gott doch die Herzen anrühren und Menschen auf den rechten Weg zurückführen, auch über manch unergründliche Umwege.

Herr Jesus, führe uns auf den rechten Weg und hilf uns, die Einheit in der Liebe zu leben, damit deine Gegenwart unter uns sichtbar wird!