Matthäus 9,9-17

Berufung d. Matthäus

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Berufung Matthäus
Als Jesus weiterging, sah er einen Mann namens Matthäus am Zoll sitzen und sagte zu ihm: Folge mir nach! Da stand Matthäus auf und folgte ihm. (Mt 9,9)

Knapp wird hier die Berufung des Matthäus geschildert. Jesus ruft und Matthäus folgt sofort. Wie die Fischer am See Gennesaret ihre Netze lässt auch er sein früheres Leben zurück, den profitablen Platz an der Zollstelle. Beda Venerabilis schreibt, dass Jesus ihn angeschaut hat mit einem Blick der "Barmherzigkeit und Erwählung". Dieser Blick Jesu zeigt die Bedeutung des folgenden Jesuswortes. Kein Mensch kann sich selbst zu einem Gerechten machen, Gott aber schenkt seine Gerechtigkeit jedem, der sie annimmt.
Vielleicht hat Matthäus schon länger darüber nachgedacht, dass ihn ein Leben als Zöllner nicht glücklich macht und war so innerlich bereits auf die Begegnung mit Jesus vorbereitet. Vielleicht hat er erkannt, dass all das viele Geld nichts nützt, wenn man von seinen eigenen Landsleuten gemieden wird und dass ein prunkvolles Haus zum Gefängnis werden kann, wenn man keine wirklichen Freunde hat, die man dorthin einladen kann. Wir wissen es nicht. Jedenfalls überlegt er nicht lange. Sofort verlässt er seinen Zollstand und folgt Jesus nach. Soll doch ein anderer diese Arbeit machen und Geld einkassieren. Er hat erkannt, worauf es im Leben wirklich ankommt und dass Jesus mehr wert ist als aller Reichtum, den er an seiner Zollstelle hätte anhäufen können. Diesen Jesus kann ihn nun niemand mehr nehmen. Vor allem hat er gelernt, was Gottes Barmherzigkeit bedeutet. Gott umwirbt mit seiner Liebe jeden Menschen und wartet auf die Antwort. Matthäus hat die einzig mögliche Antwort auf den Ruf Gottes gegeben: Nachfolge.
Ist doch nichts Besonderes, werden wir vielleicht denken, wenn wir diese Geschichte nach zweitausend Jahren lesen. Er hat ja Jesus gesehen, ja mehr noch, wurde von Jesus angesehen mit diesem alles durchdringenden Blick der Barmherzigkeit und Erwählung. Aber wir sehen heute Jesus nicht mehr vor uns. Dennoch gilt: Jesus ist uns heute genauso gegenwärtig wie den Menschen damals. Doch wie schwer fällt es heute den Menschen, auf die Liebe Gottes zu antworten, indem sie Jesus folgen. So vieles scheint attraktiver zu sein, spannender, erfolgversprechender, als sich von einem unsichtbaren Gott lieben zu lassen. Das Irdische scheint so konkret den Menschen glücklich zu machen, auch wenn er immer wieder erfahren muss, dass irdisches Glück oft nicht von langer Dauer ist. Doch viele Menschen werden dadurch nicht klüger. Sie bleiben lieber an ihrer mehr oder weniger einträglichen Stelle sitzen und geben sich mit dem kleinen Glück zufrieden, anstatt nach dem wahren Glück Ausschau zu halten.
Der Zöllner, den Jesus zum Jünger beruft, wird nur hier mit Namen Matthäus genannt. In den Parallelstellen bei Markus und Lukas heißt er Levi, ein Apostel mit Namen Matthäus wird aber auch in den Apostellisten dieser Evangelien aufgeführt. Die Tradition geht daher von einem Doppelnamen Levi Matthäus aus. Dazu schreibt Hieronymus:

Die übrigen Evangelisten wollten aus Ehrfurcht gegenüber Matthäus ihn nicht mit dem bekannten Namen bezeichnen, sondern nannten ihn Levi; er hatte nämlich einen Doppelnamen. Matthäus selbst aber nennt sich Matthäus und Zöllner, um seinen Lesern zu zeigen, dass niemand verzweifeln muss, wenn er sich zum Besseren bekehrt hat, da er selbst in einem Moment von einem Zöllner zu einem Apostel verwandelt wurde.

Wir können heute nicht mehr nachvollziehen, warum es zu diesem Namenswechsel in den Evangelien gekommen ist und ob Hieronymus mit seiner Erklärung richtig liegt. Wir wissen auch nicht exakt, ob dieser Matthäus auch der Verfasser des ersten Evangeliums ist, wie es die Tradition sieht. In allen Evangelien wird kein Verfasser genannt, die bis heute gebräuchliche Zuschreibung erfolgte erst im 2. Jahrhundert. Das Matthäus-Evangelium war aber bis ins Mittelalter hinein das beliebteste Evangelium und wurde am ausführlichsten kommentiert. Daher steht es in der Bibel auch an erster Stelle, obwohl man heute annimmt, dass das Markus-Evangelium älter ist und der Verfasser des Matthäus-Evangeliums dieses als Vorlage benutzt hat.

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Berufung Matthäus
Und als Jesus in seinem Haus beim Essen war, kamen viele Zöllner und Sünder und aßen zusammen mit ihm und seinen Jüngern. Als die Pharisäer das sahen, sagten sie zu seinen Jüngern: Wie kann euer Meister zusammen mit Zöllnern und Sündern essen? Er hörte es und sagte: Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. (Mt 9,10-12)

Matthäus gibt ein Essen für seine Freunde und nun ehemaligen Kollegen. Er hat den Sinn seines Lebens gefunden. Die Freude darüber will er mit anderen teilen. Auch wenn die meisten seiner ehemaligen Kollegen seine Begeisterung für Jesus nicht verstehen konnten, war es für sie ein interessantes Zusammentreffen mit diesem Jesus und seinen Jüngern. Johannes Chrysostomus schreibt dazu:

Da kamen sie nun zu unserem Erlöser, und zwar nicht nur zum Sprechen, sondern sie wurden auch aufgenommen zum gemeinsamen Mahl; denn nicht nur durch Gespräch und Heilung oder indem er seine Feinde überführte, sondern auch indem er mit ihnen zu Tische saß, besserte er oftmals die, welche sich in einem sündhaften Zustand befanden; dadurch belehrt er uns, dass jede Zeit und jede Aufgabe uns Nutzen bringen kann.

Die Pharisäer aber empören sich über dieses Festmahl. Zum einen sollte ein Prophet gar nicht an Festmählern teilnehmen, sondern asketisch leben, ganz tabu aber sollten für ihn Festmähler mit Sündern sein. Wie kann sich Jesus nur mit den verhassten Zöllnern einlassen? Zöllner waren damals wohl der am meisten verachtete Menschentyp, noch schlimmer als Dirnen. Sie ließen sich mit der römischen Besatzungsmacht ein und profitierten von deren ungerechtem Zollsystem. Sie zogen den Juden das Geld aus der Tasche, nicht nur, um es an die Römer abzuliefern, sondern auch, um einen großen Teil davon ungestraft in ihre eigene Tasche zu stecken. Zöllner standen außerhalb der jüdischen Religionsgemeinschaft, denn ihr Beruf wurde nicht nur als Verrat gegenüber dem Volk, sondern auch als Verrat gegenüber Gott angesehen, weil sie mit den Heiden gemeinsame Sache machten.
Doch Gott schaut anders auf die Menschen, als viele es von ihm erwarten. Gott will auch denen seine Barmherzigkeit schenken, die diese aus Sicht der Menschen nicht verdient haben. Gottes Gerechtigkeit ist so ganz anders als die Gerechtigkeit der Menschen. Das müssen die Menschen lernen, vor allem jene, die sich selbst für gerecht halten.

Darum lernt! (Mt 9,13a)

So lautet die Aufforderung Jesu an die Pharisäer. Wer meint, er brauche nichts mehr zu lernen, bei dem läuft etwas falsch. Glaube erschöpft sich nicht im Festhalten an überlieferten Traditionen, sondern bedeutet auch die Fähigkeit, sich mit den Herausforderungen der Gegenwart auseinanderzusetzen und Neues zu lernen. Gerade die Frommen müssen immer wieder neu lernen, was die Barmherzigkeit Gottes bedeutet, auch die Gerechten kennen sie oft nicht. Sie müssen lernen, dass Gottes Liebe größer ist, als ihre Gerechtigkeit. Die Liebe Gottes ist ein Geschenk, das Gott allen Menschen machen möchte. Gott glaubt an das Gute im Menschen. Jeder - auch der schlimmste Sünder - kann sich bekehren. Daran zweifeln die Pharisäer. Einmal Sünder, immer Sünder. Ein Verräter kommt uns nicht mit an den Tisch - die ewige Strafe ist ihm sicher. So will es das Gesetz, das haben wir schließlich von früher Jugend an auswendig gelernt und befolgen es bis auf den letzten Buchstaben - uns kann keiner mehr etwas vormachen, wir wissen Bescheid - wir brauchen nichts mehr lernen.
Lernt! sagt Jesus. Lernt euer ganzes Leben! Auch wenn ihr von eurer Jugend an das Gesetz Gottes kennt - was ja sehr gut ist - seid ihr nicht davon befreit, weiter zu lernen. Gottes Barmherzigkeit ist unbegrenzt. Jeder Mensch ist einmalig und so ist auch der Weg, den Gott mit jedem Menschen geht, einmalig. Es gibt immer Neues, neue Menschen, neue Herausforderungen. Das Alte ist hilfreich, wenn man bereit ist, Neues dazuzulernen. Und: Es besteht eine reale Möglichkeit, dass Menschen sich ändern - umkehren - können.
Lernen bedeutet aber auch, dass diejenigen, die Gottes Liebe noch nicht kennen, bereit sind, diese in ihrem Leben anzunehmen. Warum lernt der Mensch so schwer? Warum erkennt er nicht, dass es allein Gott ist, der ihn wirklich glücklich machen kann? Warum sucht der Mensch nach jedem Misserfolg doch da wieder sein Glück, wo er es schon vorher nicht finden konnte? Das Leben wird zur Sucht, wenn die Sehnsucht nicht gestillt wird. Es ist wie bei einem Spieler, der immer hofft, doch noch den großen Gewinn zu machen, obwohl er nur immer mehr verliert - aber beim nächsten Mal habe ich Glück ... Warum fällt es den Menschen so schwer zu lernen? Warum ist es so schwer, den Weg zu erkennen, der aus allen Süchten befreit und die Sehnsucht wirklich stillen kann?

Lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Denn ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten. (Mt 9,13)

Jesus zitiert hier den Propheten Hosea (Hos 6,6). Durch die Verwendung von Schriftzitaten zeigt der Evangelist, dass Jesus nichts Neues lehrt, sondern mit allem was er sagt und tut auf dem Fundament der Tora und der Propheten steht. Wie Jesus, so hält auch der Prophet Hosea dem Volk und dessen Führern den Spiegel vor Augen. Sie gehen ihre eigenen Wege und haben ihren Gott vergessen, sie leben nach ihrem eigenen Sinn und nicht nach dem Willen Gottes. Aber ihr Weg führt ins Verderben.
Für den Propheten Hosea ist das Volk Israel die Braut Gottes. Gott ist der Bräutigam, dem sein Volk angetraut ist. Doch anstatt die Liebe, die Gott seinem Volk erweist, zu erwidern, wenden sich die Menschen von Gott ab und nutzlosen Götzen zu. So wird die geliebte Braut zur Dirne. Dies muss der Prophet im Auftrag Gottes ganz konkret zeigen, indem er sich eine Dirne zur Frau nimmt. Gott aber erweist sein Erbarmen dadurch, dass er bereit ist, die treulose Frau, das Volk, das durch seinen Götzendienst zur Dirne geworden ist, wieder als geliebte Ehefrau anzunehmen, wenn sie nur umkehren und vom Götzendienst ablassen, wenn sie lernen, dass Gott es ist, der sein Volk wirklich liebt. Gott wirbt um sein Volk wie ein Liebhaber um seine Geliebte.
In ihrer Not denken die Menschen tatsächlich an Gott und wenden sich ihm wieder zu. Sie erinnern sich an seine Barmherzigkeit und seine Gegenwart in seinem Volk, die Gott so zuverlässig erweist, wie er jeden Morgen die Sonne aufgehen lässt und Regen schenkt, der die Erde tränkt. Aber ist das die Liebe, die Gott erwartet?

Eure Liebe ist wie eine Wolke am Morgen und wie der Tau, der bald vergeht. (Hos 6,4)

Kraftvolles Morgenrot und ergiebiger Frühjahrsregen stehen für die beständige Treue, die Gott schenkt und bilden einen starken Kontrast zu der flüchtigen Liebe, die Menschen Gott erweisen. Eine Wolke am Morgen ist in einem Land wie Israel kein Zeichen für den lange ersehnten Regen in der Hitze des Sommers. Die Wolke am Morgen ist sogleich verschwunden, wenn die Sonne am Himmel emporsteigt, ebenso wie der Tau, der sich über Nacht auf die Pflanzen gelegt hat. Ein kleiner Anflug von Liebe zu Gott, der bei der ersten Verlockung durch die Welt wieder verfliegt, das nützt nichts. Wer nicht an die Macht der Liebe Gottes glaubt und ihr ungeteilt folgt, hat keinen Bestand vor Gott. Diese Liebe kann durch nichts ersetzt werden, nicht durch Opfer und sonstige fromme Übungen. Wo die Liebe fehlt, wird alles wertlos, die Liebe aber lässt jedes noch so kleine Werk und Opfer vor Gott glänzen.
Gottes Liebe hat die Kraft sein Volk zu retten, sie hat die Kraft, einen Sünder, selbst einen, der seinen Gott und sein Volk verraten hat - wie es der Zöllner Matthäus getan hat - als vollgültigen Mitbürger des Reiches Gottes einzusetzen, ja mehr als das. Jesus beruft Matthäus unter die zwölf Apostel und der Heilige Geist schenkt ihm später die Gnade, eines der vier Evangelien zu schreiben.
Die Wege Gottes sind unergründlich. Wir können ihnen nur folgen, wenn wir immer wieder bereit sind, Neues zu lernen, vor allem in Bezug auf Gottes Liebe und Barmherzigkeit, die wir nie ganz begreifen können. Wer dieser Liebe folgen will, muss bereit sein, das aufzugeben, was dieser Liebe entgegensteht. Das kann ein sündiges Leben sein, aber auch das Vertrauen in die eigene Gerechtigkeit. Alle müssen sich von Gott mit seiner Liebe und Barmherzigkeit beschenken lassen, egal ob Sünder oder Gerechter. Das zu lernen, ist für beide schwer.
Herr, hilf uns immer wieder dabei, zu lernen, wie groß die Macht deiner Liebe ist, und hilf uns, deiner Liebe zu folgen.

Da kamen die Jünger des Johannes zu ihm und sagten: Warum fasten deine Jünger nicht, während wir und die Pharisäer fasten? (Mt 9,14)

Unmittelbar nach der Berufung des Matthäus berichtet uns der Evangelist von der Begegnung Jesu mit Johannesjüngern. Die junge Kirche musste sich in ihrer Frühzeit mit ihnen auseinandersetzen. Sie hielten die Ideale Johannes des Täufers lebendig und lebten wie er streng asketisch. Doch fehlte ihnen das Befreiende, das Jesus Christus durch seine Erlösung den Menschen geschenkt hat. Daher verstehen sie auch nicht, wie Jesus zusammen mit Zöllnern und Sündern essen kann, ja wie er überhaupt an einem so freudigen Mal teilnehmen kann. Jesus macht ihnen deutlich, dass die Begegnung mit ihm einer Hochzeit gleicht, einem Fest des Lebens, das freudig gefeiert werden muss.

Jesus antwortete ihnen: Können denn die Hochzeitsgäste trauern, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Es werden aber Tage kommen, da wird ihnen der Bräutigam genommen sein; dann werden sie fasten. (Mt 9,15)

Es gibt für alles seine Zeit. Jetzt ist Jesus mit seinen Jüngern unterwegs und die Begegnung mit ihm ist ein Fest, das gefeiert werden muss. Aber er hat seine Jünger auch schon auf die Tage seines Leidens hingewiesen. Auch für sie wird Tage des Trauerns und Fastens geben. Es gibt keine für alle Situationen gültige Handlungsweise. Jede Zeit und jede Situation erfordert das ihr gemäße Handeln. Das zeigt Jesus auch in dem folgenden Bildwort.

Niemand setzt ein Stück neuen Stoff auf ein altes Kleid; denn der neue Stoff reißt doch wieder ab und es entsteht ein noch größerer Riss. Auch füllt man nicht neuen Wein in alte Schläuche. Sonst reißen die Schläuche, der Wein läuft aus und die Schläuche sind unbrauchbar. Neuen Wein füllt man in neue Schläuche, dann bleibt beides erhalten. (Mt 9,16-17)

Das Wort Jesu vom neuen Wein, der in neue Schläuche gefüllt werden muss, passt zu seiner Aufforderung, stets bereit zu sein, Neues zu lernen. Die Pharisäer fühlen sich wohl in ihren alten Gewändern, in ihren überlieferten Lehren. Da passt nichts Neues dazu. Jesu Lehre ist kein Flickwerk. Will man sie mit der alten Lehre kombinieren, zerreißt alles, das alte Kleid wird ganz kaputt, ebenso wie die alten Schläuche. Auch wenn Jesu Lehre auf dem Fundament von Tora und Propheten steht, so unterscheidet sich seine Auslegung von Tora und Propheten doch gänzlich von dem, wie es die Menschen zur Zeit Jesu gewohnt waren. Nur wer für das Neue bereit ist, wir die belebende Frische des neuen Weins genießen können, den Jesus an uns alle verteilen will.