Markus 7,24-8,9

Jesus im Heidenland

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Jesus brach auf und zog von dort in das Gebiet von Tyrus. Er ging in ein Haus, wollte aber, dass niemand davon erfuhr; doch es konnte nicht verborgen bleiben. Eine Frau, deren Tochter von einem unreinen Geist besessen war, hörte von ihm; sie kam sogleich herbei und fiel ihm zu Füßen. Die Frau, von Geburt Syrophönizierin, war eine Heidin. Sie bat ihn, aus ihrer Tochter den Dämon auszutreiben.
Da sagte er zu ihr: Lasst zuerst die Kinder satt werden; denn es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen. Sie erwiderte ihm: Ja, du hast recht, Herr! Aber auch für die Hunde unter dem Tisch fällt etwas von dem Brot ab, das die Kinder essen.
Er antwortete ihr: Weil du das gesagt hast, sage ich dir: Geh nach Hause, der Dämon hat deine Tochter verlassen. Und als sie nach Hause kam, fand sie das Kind auf dem Bett liegen und sah, dass der Dämon es verlassen hatte. (Mk 7,24-30)

Nach der langen Belehrung über Reinheit und Unreinheit, mit der Jesus sicher auch seinen Jüngern die Berührungsängste, die sie Heiden gegenüber hatten, nehmen wollte, machen sie sich auf und kommen über einen Umweg über Land dorthin, wo es ihnen über den See bisher nicht gelungen ist, hinzukommen: in das am anderen Ufer gelegene heidnische Gebiet.
Der Ablauf der Geschehnisse im Heidenland gleicht denen in der vertrauten jüdischen Heimat. Jesus kommt zu einem Ort und geht dort in ein Haus. Wir erinnern uns an die Aussendungsrede Jesu, wo er den Jüngern sagt, sie sollten auf ihren Missionsreisen dort einkehren, wo man sie aufnimmt. Auch im Heidenland stoßen sie auf Menschen, die Jesus mit seinen Jüngern gastfreundlich in ihr Haus aufnehmen. Wie in der Heimat bleibt auch dort die Ankunft Jesu nicht verborgen, es kommen Menschen, die Jesu Worte hören möchten und Hilfe und Heilung bei ihm suchen.
Es kommt auch eine syrophönizische Frau. Ihre Tochter wird von einem unreinen Geist geplagt. Den soll Jesus hinauswerfen. Es entsteht ein kleiner Disput zwischen Jesus und der Frau, der einzige Disput, bei dem Jesus als unterlegener erscheint.
Jesus sieht sich zunächst nur zum Haus Israel gesandt. Wir können hier an die Worte des Apostels Paulus im Römerbrief denken, dass erst die Ablehnung Jesu durch Israel den Heiden den Zugang zum Heil in Jesus Christus eröffnet hat. Jesus ist nicht gekommen, um auf der ganzen Erde zu predigen. An dem, was in Israel geschieht, entscheidet sich das Geschick der Welt. Zwar sieht Jesus die Ablehnung schon voraus und bereitet seine Jünger darauf vor, dann zu den Heiden zu gehen, er selbst aber muss sich auf Israel beschränken.
Und doch gibt Jesus der Bitte der heidnischen Frau nach. Auf den Satz Jesu, dass zuerst die Kinder satt werden müssen, bevor man die Hunde füttert, kontert sie schlagfertig, dass ja auch schon während die Kinder essen, die Hunde die Krümel abbekommen, die die Kinder unter den Tisch fallen lassen. Einem solch demütigen Glauben, der selbst über die ja einer Beschimpfung gleichkommende Bezeichnung der Heiden als Hunde hinwegsieht, kann Jesus sich nicht verschießen. Er gibt sich geschlagen und befreit die Tochter der Frau von dem Dämon der sie plagt.

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Effata
Jesus verließ das Gebiet von Tyrus wieder und kam über Sidon an den See von Galiläa, mitten in das Gebiet der Dekapolis. (Mk 7,31)

Über einen langen Bogen erreicht Jesus nun endlich das andere Ufer des Sees, das heidnische Gebiet der Dekapolis. Auch dort bleibt er nicht verborgen. Wir sehen, wie sehr sich auch dort die Menschen nach Rettung und Heilung sehnen.
Jesus zeigt mit seinem Tun, was das bedeutet, was er gesagt hat: "Nichts, was von außen in den Menschen hinein kommt, kann ihn unrein machen." Jesus hat - im Gegensatz zu den Juden seiner Zeit - keine Berührungsängste, wenn es darum geht, mit Heiden in Kontakt zu kommen.

Da brachte man einen Taubstummen zu Jesus und bat ihn, er möge ihn berühren. Er nahm ihn beiseite, von der Menge weg, legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel; danach blickte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu dem Taubstummen: Effata!, das heißt: Öffne dich! Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden.
Jesus verbot ihnen, jemand davon zu erzählen. Doch je mehr er es ihnen verbot, desto mehr machten sie es bekannt. Außer sich vor Staunen sagten sie: Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen. (Mk 7,32-37)

Jesus heilt den Taubstummen, den man zu ihm bringt, durch Gesten und Worte, er legt ihm die Finger in die Ohren und berührt seine Zunge mit Speichel. Was uns als ekelerregend erscheinen mag, wird verständlich, wenn man bedenkt, dass in der damaligen Volksmedizin dem Speichel besondere Heilkraft zugeschrieben wurde. Auch die heutige Medizin bestätigt die antibakterielle Schutzfunktion und heilende Wirkung des Speichels. Das zeigt sich, wenn wir heute noch Kindern bei leichten Wunden sagen: "Tu Spucke drauf."
Dieses Mittel der "Hausapotheke" wendet Jesus zu einer ganz besonderen Heilung an. Jesus kann damit die Fessel der Zunge lösen und sie sprechfähig machen. Dazu kommt sein Wort "Effata" - "Öffne Dich". Der Mensch wird von seiner Fessel befreit, die ihn an der Kommunikation mit seiner Außenwelt gehindert hat. Nun kann er hören und sprechen und so uneingeschränkt mit seinen Mitmenschen in Kontakt treten.
Aus dem folgenden Dankruf der Menge wird noch etwas anderes deutlich. "Er hat alles gut gemacht!" Das lässt uns an den Schöpfungsbericht der Bibel denken, wo Gott von seinem Werk sagt: "Es war sehr gut." Indem Jesus Krankheit und Leiden heilt, wird dieses anfanghafte Gutsein der Schöpfung wieder hergestellt. Der Mensch wird durch Jesus zugleich fähig zu einer ganz neuen Beziehung zu Gott und kann in das vertraute Verhältnis zu Gott einzutreten, das am Anfang der Schöpfung war.

Jesus lässt das Wirklichkeit werden, was Jesaja in seiner Vision verheißen hat: Taube hören und Stumme sprechen. Gottes Heil wird konkret erfahrbar. Spüren wir davon auch heute etwas? Wie viele Menschen sehen wir, die innerlich vertrocknet, ausgebrannt sind - Burnout sagen wir heute. Vielleicht gehören wir selbst dazu.
Wer geht heute auf einen Menschen zu und öffnet sich für ihn, so dass auch der andere seine Ängste überwinden kann und sich öffnen kann? Wer heilt mit zärtlicher Berührung die Verletzungen des Herzens?
Bitten wir Gott darum, dass er unsere Fesseln löse, wo sie uns hindern, mit unseren Mitmenschen und mit Gott in Beziehung zu treten. Bitten wir Jesus um dieses Wort "Effata" für uns, dass es die Fesseln unserer Verschlossenheit sprenge und uns zu Menschen der neuen Welt des Reiches Gottes mache.

Eines Tages bin ich in London eine Straße hinunter gegangen und habe einem Mann auf einer Bank sitzen gesehen. Er sah schlecht aus. Ich bin zu ihm gegangen und habe seine Hand geschüttelt. Er sagte: ,Nach langer, langer Zeit spüre ich zum ersten Mal wieder die Wärme einer menschlichen Hand.' Und er saß auf der Bank und hatte ein sehr schönes Lächeln auf seinem Gesicht. (Mutter Teresa)
In jenen Tagen waren wieder einmal viele Menschen um Jesus versammelt. Da sie nichts zu essen hatten, rief er die Jünger zu sich und sagte: Ich habe Mitleid mit diesen Menschen; sie sind schon drei Tage bei mir und haben nichts mehr zu essen. Wenn ich sie hungrig nach Hause schicke, werden sie unterwegs zusammenbrechen; denn einige von ihnen sind von weither gekommen.
Seine Jünger antworteten ihm: Woher soll man in dieser unbewohnten Gegend Brot bekommen, um sie alle satt zu machen? Er fragte sie: Wie viele Brote habt ihr? Sie antworteten: Sieben.
Da forderte er die Leute auf, sich auf den Boden zu setzen. Dann nahm er die sieben Brote, sprach das Dankgebet, brach die Brote und gab sie seinen Jüngern zum Verteilen; und die Jünger teilten sie an die Leute aus. Sie hatten auch noch ein paar Fische bei sich. Jesus segnete sie und ließ auch sie austeilen.
Die Leute aßen und wurden satt. Dann sammelte man die übrig gebliebenen Brotstücke ein, sieben Körbe voll. Es waren etwa viertausend Menschen beisammen. Danach schickte er sie nach Hause. (Mk 8,1-9)

Nun folgt ein zweites Speisungswunder, das uns Markus überliefert. Fand die erste Speisung unter den Juden statt, so nun unter den Heiden. Markus weist damit vielleicht darauf hin, dass es zu seiner Zeit noch zwei christliche Versammlungen gab, dass sich jene, die noch nicht ganz von den jüdischen Reinheitsgeboten lassen konnten, noch immer von denen absonderten, die sich nicht daran hielten. Jesus jedenfalls hat keine Scheu davor, mit Heiden Mahl zu halten.