Markus 11,12-33

1.Tag in Jerusalem

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Und als sie am folgenden Tag aus Betanien weggingen, hatte er Hunger. Und als er von weitem einen Feigenbaum sah, der Blätter hatte, ging er hin, ob er also etwas an ihm fände und fand nichts außer Blättern. Es war nämlich nicht die Zeit für Feigen. Und er ergriff wieder das Wort und sagte zu ihm: In Ewigkeit soll niemand mehr eine Frucht von dir essen. Und seine Jünger hörten zu. (Mk 11,12-14)

Im Frühjahr, zur Zeit das Paschafestes, gibt es keine Feigen. Erst im Mai werden die ersten Feigen reif, aber schon im März schlägt der Feigenbaum, der im November seine Blätter abwirft, wieder aus. Der Evangelist will uns hier keine Naturkunde des Heiligen Landes liefern. Er will uns nur deutlich sagen, dass Jesus an dem Baum etwas erwartet, was nicht zu erwarten ist. Ist Jesus unvernünftig? Sicher nicht. Jesus geht es nicht ums Essen. Er hat seinen Jüngern deutlich gemacht, dass sie sich um ihre Nahrung keine Sorgen machen müssen. Warum sollte er es jetzt selbst tun?
Einige Zeilen weiter werden wir lesen, dass Jesus mit seinen Jüngern am nächsten Morgen wieder an diesem Feigenbaum vorbei kommt und er wird sie anhand dessen, was mit dem Baum geschehen ist, über die Notwendigkeit des Glaubens belehren. Zwischen den beiden Texten über den Feigenbaum steht die Tempelreinigung. Auf den Tempel sind diese beiden Texte auch zu beziehen und ergeben dadurch einen Sinn.
Jesus kam nach Jerusalem, hat sich den Tempel angesehen, und fand an ihm keine Frucht, weil die offiziellen Vertreter des Tempelkultes die Zeit nicht für reif hielten für den Messias. Sie erkennen Jesus nicht an und bieten ihm daher auch keine Früchte. Deshalb wird es ihnen ebenso ergehen, wie dem Feigenbaum. Er wird am nächsten Tag verdorrt sein. Der Tempel wird im Jahr 70 von den Römern zerstört und im Jahr 135 endgültig vernichtet.

Und sie kommen nach Jerusalem. Und als er in den Tempel hineinging, begann er, die Händler und Käufer im Tempel hinauszutreiben. Und die Tische der Geldwechsler und die Sitze der Taubenhändler stieß er um. Und er ließ nicht zu, dass jemand ein Gerät durch den Tempel trug. Und er lehrte und sagte zu ihnen: Steht nicht geschrieben: Mein Haus wird ein Haus des Gebetes für alle Völker genannt werden? Ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht. (Mk 11,15-17)

Es ist leicht, sich vorzustellen, was für ein Getümmel im äußeren Bezirk des Tempels geherrscht haben mag. Der Tempelmarkt hatte seinen Platz in den Säulenhallen, die den "Vorhof der Völker" umgaben. Vor allem Juden aus der Diaspora mussten ihr Geld in die Tempelwährung, den tyrischen Halbschekel, wechseln, wenn sie die Tempelsteuer bezahlen, Geldspenden machen oder etwas kaufen wollten. Tauben waren das Opfer der armen Leute. Es gab auch Schafe und Rinder zu kaufen für die Opfer der reicheren Leute.
Dieser ganze Tumult und Kommerz, der sich hier abspielt, steht für Jesus in Kontrast zu dem, was der Tempel nach Gottes Willen sein soll: Ein Haus des Gebetes. Markus, der sein Evangelium für Nichtjuden schreibt, zitiert die Stelle aus Jesaja 56,7. Dort wird der Tempel ein Haus des Gebetes für alle Völker, die sich dem Herrn angeschlossen haben, genannt. Auch der Prophet Micha spricht von der Völkerwallfahrt zum Zion. Die Weisheit Gottes, die sich am erwählten Volk zeigt, wird die Menschen aller Völker anziehen.
Doch das Bild, das Markus vom Tempel zeichnet, ist ein ganz anderes. Er ist zu einer Räuberhöhle geworden, in der eine gewalttätige Bande das zusammenträgt, was sie erbeutet hat und sich dann einem genußvollen Gelage hingibt. Es scheint den Menschen nur darum zu gehen, alles nötige zu kaufen und die Opfer nach Vorschrift darzubringen. Der Glaube, der in der vertrauensvollen Hingabe an Gott besteht, hat in diesem Tumult keinen Platz. Die Weisheit ist dem Konsum gewichen. Schuld an dieser ganzen Misere sind die offiziellen Vertreter des Tempelkults. Sie profitieren vom Handel. Sie erhalten den Kultbetrieb aufrecht und es kommt ihnen nicht in den Sinn, das Volk die Weisheit Gottes zu lehren. Sie können das Verhalten Jesu nicht dulden. Schnell fassen sie dann auch den Entschluß, den Störenfried zu beseitigen.

Und die Hohenpriester und die Schriftgelehrten hörten es und suchten, wie sie ihn vernichten könnten. Sie fürchteten ihn nämlich. Denn die Volksmenge war außer sich geraten über seine Lehre. Und als es Abend wurde, zogen sie aus der Stadt hinaus. (Mk 11,18-19)

Jesus hat mit seiner Aktion Aufmerksamkeit erregt. Viele Menschen haben gesehen, was er getan hat und haben seine Worte gehört. Würden die Hohenpriester und Schriftgelehrten jetzt eingreifen, käme es zu einem Volksaufstand. Das würde die römischen Truppen, die sich bei Hochbetrieb im Tempel auf den Dächern der Säulenhallen postiert haben, zum Eingreifen zwingen. Bisher haben sie den Tumult geschehen lassen. Vielleicht haben sie amüsiert zugesehen, wie die betroffenen Händler ihre von Jesus zerstreuten Waren mühsam im Gedränge wieder einzusammeln versuchten. Eine allgemeine Gefahr scheint jedenfalls vom Tun Jesu in ihren Augen nicht ausgegangen zu sein. Doch wenn die Hohenpriester und Schriftgelehrten jetzt eingegriffen hätten, wäre die Stimmung sicher übergekocht. So halten sie sich zurück. Aber ihr Entschluß steht fest. Sobald sich eine passende Gelegenheit bietet. Werden sie Jesus vernichten.
Am Abend zieht sich Jesus mit seinen Jüngern wieder nach Betanien zurück. Dort sind sie in Sicherheit. Doch obwohl Jesus um die Feindschaft gegen ihn weiß, kehrt er am nächsten Tag wieder nach Jerusalem zurück. Es wird ein Tag intensiver Diskussionen mit seinen Gegnern sein.

Als sie am nächsten Morgen an dem Feigenbaum vorbeikamen, sahen sie, dass er bis zu den Wurzeln verdorrt war. Da erinnerte sich Petrus und sagte zu Jesus: Rabbi, sieh doch, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist verdorrt. Jesus sagte zu ihnen: Ihr müsst Glauben an Gott haben. Amen, das sage ich euch: Wenn jemand zu diesem Berg sagt: Heb dich empor und stürz dich ins Meer!, und wenn er in seinem Herzen nicht zweifelt, sondern glaubt, dass geschieht, was er sagt, dann wird es geschehen. Darum sage ich euch: Alles, worum ihr betet und bittet - glaubt nur, dass ihr es schon erhalten habt, dann wird es euch zuteil. Und wenn ihr beten wollt und ihr habt einem anderen etwas vorzuwerfen, dann vergebt ihm, damit auch euer Vater im Himmel euch eure Verfehlungen vergibt. [] (Mk 11,20-26)

Die frühen Christen mussten Antworten finden auf die Frage, warum Jesus von den religiösen Führern der Juden verworfen wurde, warum er am Kreuz sterben musste. War er nicht doch einfach nur ein Unruhestifter, ein falscher Prophet, wie es deren viele gab und bis heute gibt? Auch heute sind diese Zweifel aktuell. Wer war dieser Jesus, auch im Vergleich zu anderen religiösen Lehrern wie Buddha oder Mohammed. Welches ist die wahre Religion? Gibt es überhaupt eine wahre Religion, oder sind sie nicht alle letztlich nur menschliche Erfindungen? Führt nicht gerade der Absolutheitsanspruch der monotheistischen Religionen dazu, dass Menschen sich bekriegen und Unfriede herrscht auf der Welt?
Wir sind heute so geprägt vom leeren Geschwätz linker Gruppen, die auch in der Kirche großen Einfluss haben, dass wir es fast schon als Fehler sehen, Jesus Christus als alleinigen Herrn der Welt anzusehen. Ja er war ein guter Mensch, er hat die Nächstenliebe gelehrt, die auch gut ist, aber ihn Gott und Herr nennen, nein das sollten wir lieber lassen, unser Bruder mag er sein, aber nicht unser Herr.
Das Auftreten Jesu, wie es uns Markus schildert, ganz besonders an seinen letzten Tagen in Jerusalem, zeigt deutlich, dass Jesus selbst sehr wohl diesen Absolutheitsanspruch hatte, Sohn Gottes und Herr zu sein. Er tritt mit göttlicher Vollmacht auf und steht zu seinem Anspruch und seiner Lehre bis in den Tod.
Diesem Jesus nachfolgen kann nur, wer an ihn glaubt, wer ihn anerkennt als Herr, neben dem es keinen anderen Herren gibt, als Sohn des Gottes, neben dem es keinen anderen Gott gibt. Wer diesen Glauben wagt, wird erfahren, dass dieser Glaube trägt, dass er mächtig ist und Berge zu versetzen vermag.
Wer diesen Glauben erlangen will, muss vor allem auch nach diesem Glauben leben. Eine der wichtigsten Eigenschaften der Gläubigen ist es, zu vergeben. Um diese Fähigkeit beten wir im wichtigsten christlichen Gebet, dem Vater Unser, und auch hier weist Jesus auf sie hin. Nur wer vergeben kann, kann ein gläubiger Mensch sein. Nur wer vergeben kann, kann die Kraft des Glaubens erfahren. Wenn wir über den Glauben nachdenken, sollten wir immer auch bedenken, wie weit wir bereit sind, zu vergeben. Wenn wir diesen Aspekt berücksichtigen, wird deutlich, dass der Glaube nie mit Gewalt einhergehen kann, dass wahrer Glaube nie die Unterdrückung anderer Menschen rechtfertigen kann.
Wahrer Glaube macht frei, er führt zur Freiheit der Kinder Gottes, die fähig sind, auch ihre Feinde zu lieben, weil sie sich unendlich von Gott geliebt wissen und sich daher sicher sind, dass ihnen kein Mensch wirklich schaden kann, weil sie in Gottes Hand sind und Gott sie annimmt und aufnimmt, auch wenn sie von anderen geschmäht und gar vernichtet werden. Daher kann der Gläubige auch furchtlos zu seinem Glauben stehen und entschieden gegenüber seinen Gegnern auftreten, wie es Jesus getan hat.

Sie kamen wieder nach Jerusalem. Als er im Tempel umherging, kamen die Hohenpriester, die Schriftgelehrten und die Ältesten zu ihm und fragten ihn: Mit welchem Recht tust du das alles? Wer hat dir die Vollmacht gegeben, das zu tun? Jesus sagte zu ihnen: Zuerst will ich euch eine Frage vorlegen. Antwortet mir, dann werde ich euch sagen, mit welchem Recht ich das tue. Stammte die Taufe des Johannes vom Himmel oder von den Menschen? Antwortet mir! Da überlegten sie und sagten zueinander: Wenn wir antworten: Vom Himmel!, so wird er sagen: Warum habt ihr ihm dann nicht geglaubt? Sollen wir also antworten: Von den Menschen? Sie fürchteten sich aber vor den Leuten; denn alle glaubten, dass Johannes wirklich ein Prophet war. Darum antworteten sie Jesus: Wir wissen es nicht. Jesus erwiderte: Dann sage auch ich euch nicht, mit welchem Recht ich das alles tue. (Mk 11,27-33)

Hohepriester, Schriftgelehrte und Älteste, also der gesamte Hohe Rat, die Führungselite am Tempel in Jerusalem, sie kommen gemeinsam zu Jesus. Was hier geschieht, ist ein Verhör. Sie würden Jesus am liebsten sofort des Tempelraubes überführen, auf den die Todesstrafe steht - dür den Hohen Rat die einzig angemessene Strafe für Jesu auftreten im Land und nun im Tempel. Doch noch können sie Jesus nicht greifen. Mehrmals erwähnt Markus, dass sie das Volk fürchten. Sie müssen es geschickt anstellen, das Volk auf ihre Seite bringen.
Mit welcher Vollmacht tust du das? Oder: Wer hat dir die Vollmacht gegeben, so dass du dieses tust?
Jesus antwortet ihnen mit einer Gegenfrage:
War die Taufe des Johannes vom Himmel oder von den Menschen? Antwortet mir!
Sie können die Frage Jesu nicht beantworten. Sie wollen die Wahrheit, dass Gott durch Johannes den Täufer gewirkt hat, nicht anerkennen, trauen sich aber auch nicht, offen die Lüge auszusprechen, dass die Johannestaufe reines Menschenwerk gewesen sei. Jesus weiß, dass sie genau so wenig seine göttliche Sendung anerkennen würden. Egal, was Jesus antworten würde, sie würden es gegen ihn verwenden. Sie sind nicht zu dem Glauben bereit, von dem Jesus auf dem Weg in die Stadt zu seinen Jüngern gesprochen hat. Sie sind verdorrt, ohne Frucht, wie der Feigenbaum am Weg.