Lukas 10,1-24

Aussendung der 72

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Heilige Schrift
In jener Zeit suchte der Herr zweiundsiebzig andere aus und sandte sie zu zweit voraus in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst gehen wollte.
Er sagte zu ihnen: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden.
Geht! Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemand unterwegs!
Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als Erstes: Friede diesem Haus! Und wenn dort ein Mann des Friedens wohnt, wird der Friede, den ihr ihm wünscht, auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet; denn wer arbeitet, hat ein Recht auf seinen Lohn. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes!
Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt. Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt den Leuten: Das Reich Gottes ist euch nahe.
Wenn ihr aber in eine Stadt kommt, in der man euch nicht aufnimmt, dann stellt euch auf die Straße und ruft: Selbst den Staub eurer Stadt, der an unseren Füßen klebt, lassen wir euch zurück; doch das sollt ihr wissen: Das Reich Gottes ist nahe.
Ich sage euch: Sodom wird es an jenem Tag nicht so schlimm ergehen wie dieser Stadt.
Weh dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida! Wenn einst in Tyrus und Sidon die Wunder geschehen wären, die bei euch geschehen sind - man hätte dort in Sack und Asche Buße getan. Tyrus und Sidon wird es beim Gericht nicht so schlimm ergehen wie euch. Und du, Kafarnaum, meinst du etwa, du wirst bis zum Himmel erhoben? Nein, in die Unterwelt wirst du hinabgeworfen. Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab; wer aber mich ablehnt, der lehnt den ab, der mich gesandt hat. (Lk 10,1-16)

Wir hören von der Aussendung der Zweiundsiebzig. Wie alle Zahlen in der Heiligen Schrift, so hat auch die 72 hier ihre besondere Bedeutung. 72, das ist 6 mal 12. Zwölf ist bekanntermaßen die Zahl des Volkes. So hat das Volk Israel 12 Stämme. Zwölf ist aber auch die Zahl der Vollkommenheit. Die zwölf Monate machen den Jahreskreis aus, nach antiker Zeitrechnung haben Tag und Nacht jeweils zwölf Stunden. Das himmlische Jerusalem ist von 12 Türmen umgeben. 12 ist also die Zahl der kosmischen, der himmlischen Vollkommenheit. Da aber die Welt nur von bedingter Vollkommenheit ist, da sie begrenzt und zeitlich ist, deshalb umfasst die irdische Vollkommenheit auch nur die Hälfte der himmlischen, deshalb bedeutet irdische Vollkommenheit statt 12 eben nur die Zahl 6. Diese Symbolik findet sich beispielsweise in den großen Kathedralen der Romanik, diese sollen ja Bilder des himmlischen Jerusalems sein, aber da sie schließlich irdische Bilder dieser himmlischen Stadt sind, haben sie keine 12 sondern vielmehr nur 6 Türme.
Nimmt man 6 als Zahl der bedingten, der irdischen Vollkommenheit und 6 mal das Volk, die 12, so ist 72 die Zahl der Völker dieser Welt. Genau diese Anzahl von Völkern findet sich auch in der großen Völkertafel im 10. Kapitel des Buches Genesis. Nur nebenbei bemerkt: Die himmlische Zahl aller Völker wird dann wieder 12 mal 12 sein. Nicht umsonst werden 144 mal Tausend am Ende gerettet werden (was also symbolisch und nicht als konkrete Zahl zu verstehen ist). Die irdische Zahl aber umfasst zunächst mal die Hälfte, nämlich die Zahl 72. Und nimmt es da noch Wunder, dass im heutigen Evangelium dann genau 72 Jünger ausgesandt werden? Wenn die 72 in die Städte gesandt werden, in die Jesus selbst gehen möchte, so meint dies freilich zunächst einmal die konkreten Städte in Israel, zeigt aber auch schon an, dass die Sendung Jesu letztlich nicht auf Israel beschränkt bleiben wird, sondern alle Völker umfaßt.
Beda Venerabilis sagt:

Es ist ganz passend, dass zweiundsiebzig gesandt werden, denn genau so vielen Völkern musste das Evangelium verkündigt werden. Zuerst wurden die Zwölf erwählt wegen der zwölf Stämme Israels, dann die Zweiundsiebzig, um die übrigen Völker zu lehren.

Jesus selbst wählt die 72 aus, wie er auch schon die zwölf Apostel ausgewählt hat. Letztlich ist es Jesus, der beruft und sendet. Es gilt auch in ganz besonderer Weise zu bedenken, dass nach antiker Auffassung der Sendende selbst ist im Gesandten gegenwärtig ist. Wer mit den Gesandten Jesu in Kontakt tritt, der tritt mit Jesus Christus selbst in Kontakt, wer die Worte der Gesandten hört, hört Jesu Worte, wer die Gesandten aufnimmt, nimmt Christus auf. Daher können sie auch verkünden "Das Reich Gottes ist euch nahe", weil nun Jesus selbst in der Mitte der Menschen ist. Andererseits gilt aber auch, dass der, der die Gesandten Jesu ablehnt, Jesus selbst ablehnt. Daher auch das harte Gerichtswort in diesem Text.
Jesus Christus sendet seine Boten zu allen Völkern dieser Welt. Er selbst will der Herr aller Völker sein. Während seines Lebens ist er nur zum Volk Israel gesandt, doch nach dem Pfingstfest gehen die Boten hinaus zu allen Völkern der Erde.
Der Herr selbst ist es, der die Boten ruft in seinen Dienst. Nicht in ihrem Namen gehen sie, nicht sie hatten die Idee, zu gehen, sondern der Ruf des Herrn hat sie getroffen und sie sind ihm gefolgt. Die Boten lassen sich dorthin senden, wohin der Herr selbst gehen will. Im Gesandten ist der gegenwärtig, der sendet. Die Boten sind nicht nur zweiter oder dritter Rang gegenüber dem Herrn, sondern wenn sie kommen, bringen sie selbst den Herrn zu den Menschen. Dies bedeutet auch, dass sie so leben müssen wie er es will, damit er ihn ihnen sichtbar wird.

Er sandte sie zu zweien zur Predigt aus, weil es zwei Gebote der Liebe gibt: die Liebe zu Gott und zum Nächsten. Und es gibt keine Liebe, wo weniger sind als zwei. Ohne darüber zu sprechen, belehrt uns der Herr damit, dass jemand, der zum Nächsten keine Liebe hat, das Amt der Verkündigung nicht übernehmen darf. (Gregor der Große)

Auch die Apostel werden zu zweit berufen und in den Apostellisten in Zweiergruppen aufgeführt. Glaubensverkündiger sind keine Einzelkämpfer. Wir vergessen das heute oft.
Was damals galt, das gilt auch heute. Auch heute sendet Christus Menschen in diese Welt und ist selbst durch sie gegenwärtig. In besonderer Weise ist da natürlich an die Priester zu denken, die Kraft der Weihe in Persona Christi handeln und so eine ganz besondere Sendung haben. Aber aufgrund des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen ist auch jeder einzelne Christ dazu aufgefordert, an seinem Ort für Christus Zeugnis abzulegen. Die besondere Würde jedes Gesandten zeigt zugleich dessen Verantwortung. Er muss seinem Auftrag gerecht werden und wirklich Jesus zu den Menschen bringen und nicht sich selbst. Er muss sich von Jesus gesendet wissen und darf nicht in seinem eigenen Namen kommen. Wenn nun jemand wirklich in Christi Namen kommt, so gilt es auch auf ihn zu hören.
Auch unsere Welt heute braucht Menschen, die sich von Jesus senden lassen, die in Jesu Namen kommen und nicht in ihrem eigenen. Nur solche Menschen können den wahren Frieden, der von Gott kommt und den die Welt nicht geben kann, verkünden. Dass Gott uns solche Menschen sendet liegt auch an jedem von uns: "Bittet den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden." Beten wir um diese Gesandten Gottes zu uns, beten wir ganz besonders um Priesterberufungen, und dafür, daß die Berufenen allezeit in Gott die Kraft finden für ihren Dienst.

Die Zweiundsiebzig kehrten zurück und berichteten voll Freude: Herr, sogar die Dämonen gehorchen uns, wenn wir deinen Namen aussprechen. Da sagte er zu ihnen: Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen. Seht, ich habe euch die Vollmacht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten und die ganze Macht des Feindes zu überwinden. Nichts wird euch schaden können. Doch freut euch nicht darüber, dass euch die Geister gehorchen, sondern freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel verzeichnet sind.
In dieser Stunde rief Jesus, vom Heiligen Geist erfüllt, voll Freude aus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand weiß, wer der Sohn ist, nur der Vater, und niemand weiß, wer der Vater ist, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.
Jesus wandte sich an die Jünger und sagte zu ihnen allein: Selig sind die, deren Augen sehen, was ihr seht. Ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen und wollten hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört. (Lk 10,17-24)