Lukas 9,51-62

Nachfolge

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Weg nach Jerusalem
Es geschah aber: Als sich die Tage erfüllten, dass er hinweggenommen werden sollte, fasste Jesus den festen Entschluss, nach Jerusalem zu gehen. (Lk 9,51)

In dieser wörtlichen Übersetzung (nach Peter Köster) wird die Bedeutung des Satzes klarer. Er bildet die Überschrift über die nun folgenden Kapitel. In dem nur wenige Verse vorher geschilderten Bericht von der Verklärung Jesu wurde den Jüngern ein Blick auf Jesu Göttlichkeit gewährt. Dann hat Jesus den Jüngern deutlich gemacht, dass er vor seiner Verherrlichung leiden und sterben müsse. Der Leser, der dem Lauf des Lukasevangeliums folgt, wurde also schon hinreichend auf das vorbereitet, was die hier genannte Hinwegnahme bedeutet. Jesu Leiden, Tod und Auferstehung, die sich in Jerusalem erfüllen, sind das Ziel des Weges Jesu.
Die nun folgenden Kapitel bis Lukas 19,27 bilden eine Einheit und zeigen Jesu Weg nach Jerusalem. In Worten und Taten führt Jesus die Jünger immer tiefer in sein Geheimnis ein. Am Ende dieses Weges steht dann der Einzug Jesu in Jerusalem, auf den seine Gefangennahme folgt. Jesus weiß, was ihn in Jerusalem erwartet, und ist fest entschlossen, diesen Weg zu gehen. Auch wenn er noch mehrere Wochen unterwegs sein wird und dabei vielen Menschen begegnet, so ist doch die Richtung klar.
Gleich am Anfang dieses Weges stellt sich Jesus ein Hindernis in den Weg, das einen kleinen Umweg erforderlich macht. Zugleich macht Jesus seinen Jüngern deutlich, was es heißt, mit ihm auf diesem Weg zu gehen. Es ist eine Entscheidung, die radikales Vertrauen auf Gott zur Grundlage haben muss.

Und er schickte Boten vor sich her. Diese gingen und kamen in ein Dorf der Samariter und wollten eine Unterkunft für ihn besorgen. Aber man nahm ihn nicht auf, weil er auf dem Weg nach Jerusalem war. (Lk 9,52-53)

Jesus schickt Jünger voraus, die eine Unterkunft vorbereiten sollen. Der Weg führt durch samaritisches Gebiet. Wir kennen aus verschiedenen biblischen Erzählungen die Feindschaft zwischen Juden und Samaritern. Nach dem Untergang des Nordreiches im Jahr 732 v.Chr. wurden im Gebiet um Samaria fremde Volksstämme angesiedelt, viele Israeliten sind nach Juda geflohen, einige aber blieben in ihrer Heimat zurück. Auf jüdischer Seite war man bestrebt, den JHWH-Kult auf den Tempel in Jerusalem als dem einzig legitimen Heiligtum zu beschränken. Schon in den Königsbüchern des Alten Testaments wird deutlich, dass jeder Kult außerhalb des Tempels von Jerusalem Götzendienst und Abfall vom Gott Israels ist.
Im alten Israel aber kannte man verschiedene Heiligtümer. Die samaritanische Bevölkerung hielt an ihrer Verehrung Gottes auf dem Berg Garizim fest. Da beide Seiten aus ihrer Sicht den Gott Israels anbeteten, kann man von so etwas wie zwei jüdischen Konfessionen sprechen. Wir wissen aus unserer eigenen christlichen Vergangenheit, dass der Hass zwischen den Konfessionen, die den gleichen Gott verehren, größer sein kann, als die Ablehnung der Heiden, die andere Götter verehren.

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Nachfolge

Der Hass zwischen Juden und Samaritern beruhte auf Gegenseitigkeit. Man wollte nichts miteinander zu tun haben, mied jedwedes Zusammentreffen und erzählte sich die übelsten Geschichten von der Bosheit der jeweils anderen Gruppe. Jesus durchbricht diese Spirale des Hasses. Er macht keinen großen Bogen um samaritisches Gebiet, wie es fromme Juden zu tun pflegten. Und er erzählt auch keine Schauermärchen über die Samariter. Im Gegenteil. Im Johannesevangelium hören wir von der Begegnung Jesu mit der Samariterin und das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter, das Lukas uns im nächsten Kapitel überliefert, gehört bis heute zu den bekanntesten Geschichten des Neuen Testaments.
Und doch wollen die Samariter Jesus nicht durch ihr Gebiet lassen, sie nehmen Jesu Angebot der Versöhnung nicht an. Jesus aber urteilt nicht über sie, er verurteilt sie nicht. Er sagt nicht: Da sieht man ja, wie schlecht diese Samariter sind. Er weiß, wie schwer es ist, tief verwurzelte Feindschaften zu heilen. Er will den Graben des Hasses nicht noch tiefer graben. Er lässt den Hass der Gegenseite nicht in sein Herz, und somit kann ein Schimmer des Friedens aufleuchten inmitten der Dunkelheit. Seine Jünger aber, die einen Blitz der Vernichtung fordern, weist er scharf zurecht:

Als die Jünger Jakobus und Johannes das sahen, sagten sie: Herr, sollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie verzehrt? Da wandte er sich um und wies sie zurecht. Und sie gingen in ein anderes Dorf. (Lk 9,54-56)

Jesus ist nicht gekommen, um zu vernichten, sondern um zu retten. Niemand darf mit Gewalt zum Glauben an ihn gezwungen werden oder für die Ablehnung Jesu mit Gewalt bestraft werden. Was Jesus hier den beiden eifernden Donnersöhnen, wie Jakobus und Johannes an anderer Stelle genannt werden, deutlich macht, haben spätere Glaubensverkündiger leider immer wieder vergessen.

Jesus will uns zeigen, dass die vollkommene Tugend nicht rachsüchtig ist, dass dort, wo volle Liebe herrscht, der Zorn keinen Platz hat und Schwäche nicht auszuschließen, sondern zu unterstützen ist. Fern sei den Frommen die Verbitterung und fern den Großmütigen die Rachsucht! (Ambrosius)

Beten wir darum, dass wir wie Jesus die Kraft haben, dass wir auf Ablehnung nicht mit Ablehnung reagieren und die Flamme der Liebe in unserem Herzen nicht vom Hass ersticken lassen.

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Nachfolge
Als sie auf dem Weg weiterzogen, sagte ein Mann zu Jesus: Ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst. Jesus antwortete ihm: Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann. (Lk 9,57-58)

Als Jesus auf dem Weg nach Jerusalem ist, kommen mehrere junge Männer auf ihn zu, mit dem Wunsch, ihm nachzufolgen. Ihnen allen macht Jesus deutlich, dass sie sich bei der Nachfolge auf ein entbehrungsreiches Leben einstellen müssen. Sie müssen bereit sein, ihr Zuhause zu verlassen, ihre Familien und ihren gesamten Besitz. Er verspricht ihnen nicht ein besseres Leben, wohl aber ein erfülltes Leben und einen ewigen, unvergänglichen Lohn, der größer und wertvoller ist als aller Besitz und alle Gemeinschaft auf Erden.
Die von dem jungen Mann geäußerte Bereitschaft, Jesus zu folgen, "wohin er auch geht", könnte unbedacht ausgesprochen sein. Oft kann man sich vorher nicht vorstellen, wie viel eine Entscheidung letztlich von einem fordert. Vielleicht hat er nur die schönen Seiten des Umerziehens Jesu mit seinen Jüngern gesehen, die euphorische Aufnahme ihres Kommens in den einzelnen Orten, die Gastfreundschaft. Es scheint Jesus und seinen Jüngern an nichts gefehlt zu haben, nahezu überall waren sie beliebt und wurden sogar von reichen Leuten zu Gastmählern eingeladen.
Wer aber in die Nachfolge Jesu eintritt, sollte es nicht wegen dieser augenscheinlichen Annehmlichkeiten tun. Ja, es ist ein schöner Nebeneffekt, wenn man wegen der Verkündigung des Glaubens Gastfreundschaft findet. Aber der erste Schritt ist zunächst die Heimatlosigkeit. Es ist der Verzicht auf ein eigenes Zuhause, das Geborgenheit und Behaglichkeit bietet. Das ist der erste und wesentliche Schritt. Wie radikal dieser Schritt ist macht Jesus mit einem Vergleich deutlich. Sogar Tiere haben einfache Behausungen, die Füchse haben ihre Höhlen, die Vögel ihre Nester, wer aber mit Jesus umherzieht, hat nicht einmal das. Er ist auf das angewiesen, was er angeboten bekommt, und er muss damit rechnen, dass er überhaupt keinen Schlafplatz hat.
Sicher, unter freiem Himmel zu schlafen mag im warmen Klima Israels leichter möglich gewesen zu sein als hierzulande, wo es im Winter gar tödlich sein kann. Zumal sind wir heute einige Annehmlichkeiten gewohnt, anders als Leute früherer Zeiten, die kein weiches Federbett hatten, sondern gewohnt waren, auf Stroh oder auf dem Boden zu schlafen. Aber doch können wir Jesu Worten auch heute eine Botschaft an uns entnehmen.
Für alle Christen mag sie heißen, dass wir nicht vergessen sollen, dass es Menschen gibt, denen es nicht so gut geht wie uns. Wir sollen unseren Blick offenhalten für die Nöte von Obdachlosen, Heimatlosen und Flüchtlingen. Wir sollen uns nicht in die Idylle unseres Zuhause zurückziehen, sondern uns der Nöte der Welt bewusst bleiben und wenn möglich und erforderlich, selbst anderen Gastfreundschaft anzubieten.
Es gibt aber auch heute noch Menschen, an die der Ruf Jesu zu radikaler Nachfolge ergeht. Wer diesen Ruf vernimmt, muss sich fragen, ob er bereit ist, seine Heimat zu verlassen, und Jesus dorthin zu folgen, wohin er ruft, auch wenn zunächst nicht klar ist, wohin es geht. Wer Jesus nachfolgt, lässt sich führen, im Vertrauen darauf, dass Gott bereits den Ort bereitet hat, an dem das Leben fruchtbar werden kann.

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Nachfolge
Zu einem anderen sagte er: Folge mir nach! Der erwiderte: Lass mich zuerst weggehen und meinen Vater begraben! Jesus sagte zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes! (Lk 9,59-60)

Es fällt schwer, diesen Satz Jesu zu erklären. Versuchen wir, uns in die Situation hinein zu versetzen. Da ist ein Mann, den Jesus in seine Nachfolge ruft. Sein Vater ist gerade verstorben. Der Mann trauert. Er will hingehen und zusammen mit seiner Familie dem Vater die letzte Ehre erweisen. Das ist nichts Ungewöhnliches, es ist vielmehr das, was in allen Kulturen und auch bei den Juden und uns Christen Sitte und Pflicht ist. Will Jesus verbieten, dass wir unseren Toten die letzte Ehre erweisen? Dies mit Sicherheit nicht. Die Christen haben darin niemals die Lehre Jesu gesehen, die Toten sich selbst zu überlassen.
Was aber will Jesus uns damit sagen? Jesus will bewusst provozieren. Ihm nachzufolgen ist wichtiger, als die so hoch stehende Forderung, den Toten die letzte Ehre zu erweisen. Jesu Verhältnis zum Tod ist ein anderes als das der Menschen. Als sein Freund Lazarus stirbt, hat er keine Eile, dessen trauernde Schwestern zu besuchen. Er nimmt nicht am Begräbnis teil, sondern kommt und ruft den Toten aus dem Grab. Als man ihn selbst tot ins Grab legt, verlässt er es als Lebender.
Jesus hat die Macht über Leben und Tod. Daher überlässt auch der Sohn, der die Nachfolge Jesu der Sorge um seinen toten Vater vorzieht, den Toten nicht sich selbst, sondern vertraut ihn Jesus an. Er vertraut darauf, dass Jesus ihm das Leben wiedergeben kann, wenn nicht in dieser Welt so doch im Reich Gottes. Es sind noch genug Verwandte da, die für das Begräbnis sorgen können, für ihn gibt es jetzt im Moment aber Wichtigeres.
Jesus will zeigen, welch hohen Stellenwert die Nachfolge hat und diese Nachfolge ist radikal. Sie fordert heraus, mehr als alles andere auf der Welt. Wer sie als plumpe Ausrede gebrauchen würde, um seinen irdischen Pflichten nicht nachkommen zu müssen, der lästert den Namen Gottes. Es gibt keine billige Nachfolge. Jesus verlangt alles, um alles geben zu können.

Wieder ein anderer sagte: Ich will dir nachfolgen, Herr. Zuvor aber lass mich Abschied nehmen von denen, die in meinem Hause sind. Jesus erwiderte ihm: Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes. (Lk 9,61-62)

Auch das dritte Nachfolgewort Jesu ist radikal. Der kundige Leser hört im Hintergrund Anklänge an die Berufung des Propheten Elischa im Alten Testament. Als Elischa beim Pflügen ist, kommt der Prophet Elija und ruft ihn, ihm zu folgen. Elischa bittet darum, von seiner Familie Abschied nehmen zu dürfen. Elija gewährt es ihm und Elischa bereitet mit dem Holz des Pfluges aus den Rindern, die dem Pflug vorgespannt waren, ein Abschiedsmahl für seine Familie. Jesus aber macht deutlich, dass sein Ruf noch radikaler ist als der des Propheten Elija. Er duldet keinen Aufschub.

Wen er rief, dem war damit gesagt, dass für ihn nur noch eine einzige Möglichkeit des Glaubens an Jesus besteht, nämlich die, dass er alles verlässt und mit dem menschgewordenen Sohn Gottes geht. Mit dem ersten Schritt ist der Nachfolgende in die Situation gestellt, glauben zu können. Folgt er nicht, bleibt er zurück, so lernt er nicht glauben. (Dietrich Bonhoeffer)

Erneut will Jesus hier bewusst provozieren. Er will nicht die Sorge für die Eltern abschaffen, die ja im vierten Gebot fest verankert ist. Nachfolge bedeutet nicht, dass für den, der in die Nachfolge eintritt, die Eltern ab sofort gestorben sind. Wenn aber die Familienbande zu stark sind, kann dies ein Hindernis sein, das vom Weg mit Jesus ablenkt. Die - vielleicht auch nur vorübergehende - radikale Trennung aber ermöglicht einer Verbindung auf einer neuen Ebene. Als man Jesus einmal seine Mutter zeigte, hat er auf die Menschen um ihn herum gedeutet und gesagt: Das hier sind meine Brüder, Schwestern und meine Mutter. Als Glaubende aber gehört die Mutter Jesu auch zu dieser Gemeinschaft. Als Glaubende stehen auch die Eltern des Jüngers zusammen mit diesem in der Gemeinschaft der Brüder und Schwestern des Herrn.
Die Nachfolge Jesu fordert radikalen Verzicht, aber gerade dieser Verzicht macht es möglich, dass Jesus alles schenken kann. Wer um Jesu Willen alles aufgibt, der gewinnt alles. Dies ist der Hintergrund, vor dem wir Jesu Worte verstehen können. Wer ängstlich an etwas festhält, und sei es das Ehrenhafteste auf der Welt, der ist nicht frei, um Jesus zu folgen und aus der Fülle des Reichtums Gottes zu schöpfen. Nachfolge ist radikal, aber sie eröffnet zugleich ungeahnte Möglichkeiten.
Wir fragen uns sicher, wer dann überhaupt Jesus nachfolgen kann. Jesus folgen, das geht nicht unter Zwang, sondern nur in dem grenzenlosen Vertrauen auf Gottes Güte und Barmherzigkeit. Nur wenn ich weiß, dass Gott mich keinen Mangel und keine Not leiden lassen wird, wenn ich ihm mein Leben schenke, kann ich das loslassen, was mich daran hindert, Jesus nachzufolgen.
Für jeden von uns gilt die Frage: Was hindert mich noch daran, Jesus ganz zu folgen, woran klammere ich mich und was kann ich loslassen, um zu einer größeren Freiheit zu finden? Bitten wir um den Mut für das Wagnis des Glaubens. Vielleicht können die Worte von Dietrich Bonhoeffer helfen, das Gesagte zu vertiefen.

Billige Gnade ist Predigt der Vergebung ohne Buße, ist Taufe ohne Gemeindezucht, ist Abendmahl ohne Bekenntnis der Sünden, ist Absolution ohne persönliche Beichte. Billige Gnade ist Gnade ohne Nachfolge, Gnade ohne Kreuz, Gnade ohne den lebendigen, menschgewordenen Jesus Christus.
Dagegen ist teure Gnade der verborgene Schatz im Acker, um dessentwillen der Mensch hingeht und mit Freuden alles verkauft, was er hatte; die köstliche Perle, für deren Preis der Kaufmann alle seine Güter hingibt; die Königsherrschaft Christi, um derentwillen sich der Mensch das Auge ausreißt, das ihn ärgert; der Ruf Jesu Christi, auf den hin der Jünger seine Netze verlässt und nachfolgt. Teure Gnade ist das Evangelium, das immer wieder gesucht, die Gabe, um die gebeten, die Tür, an die geklopft werden muss.
Teurer ist sie, weil sie in die Gnade ruft, Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft; teuer ist sie, weil sie dem Menschen das Leben kostet, teurer ist sie, weil sie ihm so erst das Leben schenkt... Teuer ist die Gnade vor allem darum, weil sie Gott teuer gewesen ist, weil sie Gott das Leben seines Sohnes gekostet hat, und weil uns nicht billig sein kann, was Gott teuer ist. (Dietrich Bonhoeffer)