Lukas 1,39-56

Maria bei Elisabeth

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Hl. Schrift
Nach einigen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa. Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabet. (Lk 1,39-40)

Beim Evangelist Lukas hören wir von der Begegnung Marias mit Elisabeth. Dieses Ereignis ist das verbindende Glied zwischen den beiden Kindheitsgeschichten von Johannes und Jesus.
Nur wenige Tage, nachdem der Engel bei Maria eingetreten war, und ihr verkündet hatte, dass sie den Sohn Gottes gebären werde, macht sie sich auf den Weg. Sie kann nicht still in ihrer Kammer sitzen. Dieses Ereignis hat sie aufgewühlt. Sie braucht jemand, mit dem sie teilen kann, was sie erlebt hat, jemanden, dem sie sich mit-teilen kann.
Die Dynamik, die in diesem Aufbruch steckt, wird in einer wörtlichen Übersetzung noch deutlicher. Im Originaltext ist zudem das erste Wort des Satzes "aufbrechend", was im Deutschen so nicht wörtlich wiedergegeben werden kann.

Maria aber brach auf in jenen Tagen und ging mit Eile weg in das Bergland in eine Stadt Judäas und trat ein in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth.

An erster Stelle steht der Aufbruch, dann heißt es, dass Maria weg geht, in Eile, wie besonders hervorgehoben wird. Sie geht ins Bergland. Ein nicht unbeschwerlicher Weg mit manchen Steigungen. Da geht man ja eher langsam, aber Maria nicht. Schon ist sie im Haus des Zacharias, sie tritt ein und begrüßt Elisabeth und es kommt zur Begegnung der beiden Frauen.
Es geht alles sehr schnell. Maria weiß, wo sie hin will, sie weiß, was sie will. Sie hält sich unterwegs nicht auf. Irgendwie zeigt uns dieser eine Satz Maria als eine Frau, die anpackt, voller Entschiedenheit und mit Durchsetzungskraft. Das ist ein ganz anderes Bild, als es uns oft vermittelt wird. Es ist aber ein Bild das anspricht, besonders heute.
Maria drängt es zu ihrer Verwandten Elisabeth. Sie will ganz dringend zu ihr. Mit Elisabeth verband Maria eine so innige Freundschaft, dass sie sicher sein konnte, dass diese auch das Unbegreifliche, das an ihr geschehen ist, verstehen wird. Elisabeth selbst hatte ja sechs Monate zuvor in hohem Alter ihren Sohn empfangen, als nach menschlichem Ermessen eine Schwangerschaft bereits unmöglich war. Die Schwangerschaft Mariens aber übertrifft dieses Wunder bei weitem. Maria ist noch jung, aber ihr Kind nicht von einem Mann, sondern empfangen durch den Heiligen Geist.
Nach Franz von Sales ist der Grund für den Besuch Marias bei Elisabeth ein zweifacher:

Sie ging hin, um das große Wunder oder die große Gnade zu sehen, die Gott dieser betagten und unfruchtbaren Frau erwiesen hatte, dass sie trotz ihrer Unfruchtbarkeit einen Sohn empfing. Sie wusste ja sehr wohl, dass es im Alten Bund eine Schande war, unfruchtbar zu sein. Da aber die gute Frau alt war, ging sie auch hin, um ihr in ihrer Schwangerschaft zu dienen und ihr jede Erleichterung zu verschaffen, die ihr möglich war. Zweitens geschah es, um ihr das tiefe Geheimnis der Menschwerdung mitzuteilen, das sich in ihr verwirklicht hat.

Nicht allein um ihrer selbst willen eilt Maria zu Elisabeth. Nicht nur wegen der großen Wunder, die mit den beiden Frauen geschehen sind. Franz von Sales holt die Begegnung zwischen den beiden Frauen auf den Boden des Alltags. Maria hat eben erst empfangen, Elisabeth aber ist im sechsten Monat. Und in Maria bleibt drei Monate bei Elisabeth, wie wir später erfahren (Lk 1,56). Maria bleibt bei Elisabeth für die letzten Monate der Schwangerschaft, die Zeit, in der Elisabeth besonders nötig Hilfe brauchte.
Heiligkeit ist kein Schweben auf den Wolken. Heiligkeit ist vollendeter Alltag. Sie bedeutet, "das Gewöhnliche außergewöhnlich tun", wie Franz von Sales sagt. Über die drei Monate, die Maria bei Elisabeth war, schreibt Lukas nichts, aber wir können uns vorstellen, wie sie ausgesehen haben. Maria hat Elisabeth beim Haushalt geholfen, beim Kochen, Putzen, Waschen. Wir sehen die beiden in der Küche beisammen sitzen, mit der Hausarbeit beschäftigt. Zwei ganz normale schwangere Frauen.
Heiligkeit lernen wir, wenn wir die Geheimnisse des Alltags entdecken. Gott finden in allen Dingen. In jeder noch so kleinen Kleinigkeit können wir Gott entdecken, jedes noch so kleine Tun kann ein Dienst für Gott sein. Alles was geschieht, kann uns Gott näher bringen. Mit offenen Augen durchs Leben gehen. Das Große zu entdecken, das sich hinter dem Unscheinbaren verbirgt, schult meine Dankbarkeit. Ich werde sensibel dafür, dass es viel mehr Gutes in der Welt gibt, als ich wahrnehme. So werde ich dann auch fähig, selbst das Gewöhnliche so zu tun, als wäre es etwas Außergewöhnliches: mit Freude und Liebe.
"Begegnen wir lieben Menschen, so freuen wir uns, sie zu sehen. Wir können also über die Begegnung mit einem lieben Menschen gar nicht anders als erfreut und glücklich sein", sagt Franz von Sales. Begegnungen gehören zu unserem Alltag. Sobald wir auf die Straße gehen, begegnen wir anderen Menschen. Ein Großteil von ihnen geht an uns vorüber, ohne dass es zu einer wirklichen Begegnung kommt. Über manche Menschen ärgern wir uns vielleicht, sie stören uns, wenn sie unseren Weg kreuzen. Aber manchmal bleibe ich vielleicht stehen und es kommt unerwartet zu einem Gespräch.
Kann ich achtsamer werden gegenüber den Menschen, denen ich begegne? Wenigstens ein Lächeln schenken, statt eines teilnahmslosen oder gar mürrischen Blicks? Es hängt von mir ab, wie sich Begegnung ereignet. Begegnung kann das Leben bereichern. Ein kurzer Austausch mit einem fremden Menschen kann Fragen beantworten, die ich mir schon lange stelle, kann mir eine neue Sichtweise eröffnen. "Alles wirkliche Leben ist Begegnung", hat Martin Buber einmal gesagt. Begegnungen können ganz unscheinbar sein, und doch tiefe Wirkungen hervorrufen. Ein Mensch kann sich ein Leben lang dankbar an eine kleine Hilfe erinnern. Vielleicht können wir im Gedränge des Alltags auch Gott begegnen, wenn wir die Menschen um uns herum bewusst wahrnehmen. Unser Leben mit Gott ist immer auch Begegnung. Wir können Gott nur erfahren, wenn wir ihm begegnen. Unser Alltag bietet dafür mehr Gelegenheiten, als wir für möglich halten.
Gerade der Evangelist Lukas berichtet uns immer wieder von Begegnung, der Begegnung von Menschen mit Jesus von Nazaret. Diese Begegnung verändert das Leben meist tiefgreifend. Auch bei der Begegnung zwischen Maria und Elisabeth ist Jesus schon dabei im Leib Mariens. Johannes im Schoß der Elisabeth hüpft vor Freude und auch Elisabeth erkennt das Geheimnis, das Maria birgt: "Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes."

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Hl. Schrift
Als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib. Da wurde Elisabet vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Selig ist die, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ. (Lk 1,41-45)

Freude liegt in der Begegnung dieser beiden schwangeren Frauen. Es ist eine vollkommene Freude, die nur Menschen erfahren, die ihre Freude in Gott suchen. Meine Freude ist es, deinen Willen, Gott zu tun, sagt der Psalmist. Das Kind in Mariens Schoß ist die Frucht dieser Freude am Ja zu Gottes Willen. Diese Freude spürt auch das Kind im Schoße Elisabets.
Als Maria bei Elisabeth eintritt, spricht diese als Gruß an Maria die Worte, die wir bis heute im Ave Maria beten: Du bist gebenedeit unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes. Elisabeth preist Maria selig, weil sie geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr durch den Engel sagen ließ. Diesen ihren Glauben besingt Maria unmittelbar nach der Begrüßung im Magnificat (Lk 1,46-55). Sie dankt Gott, der Großes an ihr getan hat, doch nicht nur an ihr, sondern an allen, die Gott fürchten.

Da sagte Maria: Meine Seele preist die Größe des Herrn,
und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.
Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.
Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.
Denn der Mächtige hat Großes an mir getan,
und sein Name ist heilig.
Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht
über alle, die ihn fürchten.
Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten:
Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind;
er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.
Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben
und lässt die Reichen leer ausgehen.
Er nimmt sich seines Knechtes Israel
an und denkt an sein Erbarmen,
das er unsern Vätern verheißen hat,
Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.
Und Maria blieb etwa drei Monate bei ihr; dann kehrte sie nach Hause zurück. (Lk 1,46-56)

Gott ist ein Gott, der die menschlichen Verhältnisse umkehrt, der die Mächtigen stürzt und die Niedrigen erhebt, der die Hungernden beschenkt und die Reichen leer ausgehen lässt. Vor allem aber ist er ein Gott des Erbarmens, der sich den Menschen in Liebe zuwendet. Dies wird die Welt in Jesus Christus erfahren.
Freude über das Leben, das Gott so wunderbar in ihrem Schoß gewirkt hat, das verbindet die beiden Frauen Maria und Elisabeth. Dieses Leben ist nicht der Besitz dieser Frauen. Sie stehen beide im großen Zusammenhang des göttlichen Heilswirkens an den Menschen. Durch die Kinder dieser beiden Frauen will Gott der ganzen Welt Heil und Leben schenken.
Ihre Freude behalten die beiden Frauen daher nicht für sich, sondern sie soll für die ganze Welt erfahrbar werden. Im Magnificat macht Maria deutlich, dass sie sich über den Gott freut, der groß ist und der so groß vom Menschen denkt, dass er selbst Mensch wird und den Kleinen groß, den Hungrigen satt, den Armen reich, den Unterdrückten frei macht. Von diesem Gott können wir nicht groß genug denken. Er ist immer noch größer.