Jakobusbrief 1,1

Einführung

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Jak
Jakobus, Knecht Gottes und Jesu Christi, des Herrn, grüßt die zwölf Stämme, die in der Zerstreuung leben. (Jak 1,1)

Der Jakobusbrief ist der erste der sogenannten Katholischen Briefe. Katholisch heißen diese Briefe deshalb, weil sie als an die gesamte Christenheit gerichtet galten. Wie es zu dieser Einteilung kam, erklärt sehr aufschlussreich Beda Venerabilis in seinem Kommentar zum Jakobusbrief, der Anfang des 8. Jahrhundert entstanden ist (zitiert nach den Fontes Christiani).

Jakobus, Petrus, Johannes und Judas haben sieben Briefe veröffentlicht, die die kirchliche Tradition katholische, das heißt allgemeine, nennt. Unter diesen wird, obwohl im Verzeichnis der Apostel üblicherweise Petrus und Johannes als erste gezählt werden, der Brief des Jakobus deshalb an die erste Stelle gesetzt, weil er die Leitung der Kirche von Jerusalem übernommen hat, wo die Quelle der Verkündigung des Evangeliums entsprungen ist und sich über den ganzen Erdkreis ergossen hat. Deren Würde als Bischofssitz spricht auch der Apostel Paulus bewundernd aus, wenn er ihn (Jakobus) namentlich erwähnt: "Jakobus, Kephas und Johannes, die offensichtlich die Säulen waren" (Gal 2,9).

Um keiner Verwechslung zu erliegen, muss man unterscheiden zwischen dem Apostel Jakobus, dem Bruder des Johannes, der auch als Jakobus der Ältere bezeichnet wird, und Jakobus dem Jüngeren. Jakobus der Ältere starb nach Apg 12,2 um das Jahr 44 den Märtyrertod unter Herodes Agrippa. Er kommt somit nicht als Verfasser des Jakobusbriefes in Frage. Die Tradition sieht daher Jakobus den Jüngeren als Verfasser des Briefes an.
Jakobus der Jüngere war mit Jesus verwandt und wird oft als Herrenbruder bezeichnet. Es muss sich dabei nicht zwangsläufig um einen leiblichen Bruder Jesu handeln, was ja der katholischen Lehre von der Jungfräulichkeit Mariens widersprechen würde, sondern auch enge Verwandte können die Bezeichnung "Bruder" tragen. Er hatte in der Gemeinde von Jerusalem eine wichtige Führungsposition inne. Nach der Flucht des Petrus aus Jerusalem (vgl. Apg 12,17) rückte Jakobus an die erste Stelle, was auch in Gal 2,9 zum Ausdruck kommt. Er ist der Vertreter einer strengen judenchristlichen Richtung in der Anfangszeit des Christentums, was zu Spannungen mit der durch Paulus repräsentierten heidenchristlichen Position geführt hat. Er starb im Jahr 62 den Märtyrertod.
Nach Beda Venerabilis steht der Jakobusbrief auch deshalb an erster Stelle, weil Jakobus "den zwölf Stämmen Israels, die als erste geglaubt haben, seinen Brief geschickt hat". Die ersten Christen waren Juden und erst durch die spätere Missionstätigkeit der Apostel und vor allem des Paulus kamen immer mehr Heiden zum Glauben an Jesus Christus und es bildete sich eine klare Trennlinie zwischen Juden und Christen. Bei den frühen Judenchristen bestand lange Zeit noch die Hoffnung, dass sich alle Juden zu Jesus Christus bekennen, der als der im Alten Testament verheißene Messias angesehen wurde.
Beim Begriff Diaspora denken wir zunächst an die jüdische Diaspora. Bereits in vorchristlicher Zeit lebten Juden nicht nur in Israel, sondern in vielen Ländern der antiken Welt. Zur Zeit Jesu findet man Juden in vielen Städten des Römischen Reichs und auch in fernen Ländern bis hin nach Indien gab es jüdische Gemeinden. Der Begriff Diaspora - Zerstreuung - lässt uns auch an Apg 8,1 denken, wo es heißt:

An jenem Tag brach eine schwere Verfolgung über die Kirche in Jerusalem herein. Alle wurden in die Gegenden von Judäa und Samarien zerstreut, mit Ausnahme der Apostel. (Apg 8,1)

Nach dem Tod des Stephanus kam es zu einer ersten Verfolgungswelle der Kirche in Jerusalem. Bald darauf zogen die Apostel und auch andere Missionare durch weite Teile der damals bekannten Welt, um das Evangelium von Jesus Christus zu verkünden. Wir können die im Brief genannten "zwölf Stämme in der Diaspora" somit als die gesamte Christenheit außerhalb von Israel ansehen.
Die Aufnahme von Heiden in die Kirche war anfangs nicht unumstritten. Jakobus galt als einer der bedeutendsten Vertreter der christlichen Juden. Das mag der Grund dafür sein, warum ihm dieser Brief zugeschrieben wurde. Nach dem heutigen Stand der Exegese bestehen erhebliche Zweifel daran, dass Jakobus selbst diesen Brief verfasst hat. Zum einen ist es fraglich, ob Jakobus ein so gutes Griechisch hätte lernen können, um diesen Brief auf Griechisch zu schreiben, zum anderen setzt der Brief eine Gemeindestruktur voraus, wie sie historisch wohl erst am Ende des 1. Jahrhunderts existiert hat.
Der Brief richtet sich nicht an Menschen, die erst vom Glauben an Jesus Christus überzeugt werden müssen. Wir finden darin keine missionarischen Texte, in denen Juden etwa durch Verweis auf prophetische Texte von der Bedeutung Jesu Christi als Messias überzeugt werden sollen. Der Glaube an Jesus Christus wird vorausgesetzt. Es geht dem Verfasser vor allem darum, die bereits bestehende und gefestigte Gemeinde zu einem Leben zu ermahnen, das dem Glauben an Jesus Christus entspricht. Diese Ermahnungen folgen ganz unvermittelt nach der kurzen Überschrift, ohne Gruß und Segenswünsche, wie wir sie beispielsweise von den Paulusbriefen her kennen. Der Jakobusbrief ist daher als Mahnschreiben anzusehen.
Zwei große Übel stehen hier im Vordergrund, die auch heute noch für Unruhe in menschlichen Gemeinschaften sorgen. Das ist zum einen die Betonung sozialer Unterschiede, wodurch wohlhabende Menschen von vornherein mehr Ansehen genießen als die ärmeren Mitglieder der Gemeinde. Hier warnt der Brief vor den Gefahren des Reichtums und macht die Gleichwertigkeit aller Menschen vor Gott deutlich, die sich auch in der Gemeinde widerspiegeln soll. Zum anderen mahnt er vor den Gefahren des Redens. Menschen, die gut reden können, erlangen mehr Ansehen, aber großes Reden, dem keine Taten folgen, ist wertlos, und wer redet, soll auch aufpassen, was er redet, denn Unfriede entsteht oft auch durch schlechtes Reden über andere.
Vielleicht im bewussten Gegensatz zu den Paulusbriefen stellt der Jakobusbrief die Bedeutung der Werke des Glaubens heraus. Paulus geht es in seiner Auseinandersetzung mit den Juden vor allem darum, dass nicht die Erfüllung der Werke des Gesetzes, die Einhaltung unzähliger Vorschriften, zur Gerechtigkeit führt, sondern dass es allein die Gnade Gottes ist, die den Menschen auf Grund seines Glaubens gerecht macht. Auch der Jakobusbrief fordert nicht die Einhaltung der jüdischen Vorschriften. Wenn er von Werken redet, meint er vor allem die Sorge um die Armen und Benachteiligten. So betrachtet besteht also kein Gegensatz zwischen Jakobus und Paulus.
Besonders Martin Luther hat ja die Glaubensgerechtigkeit, die er aus den Briefen des Paulus herausliest, betont, und sah sie im Widerspruch zur Werkgerechtigkeit, als deren Verfechter er den Jakobusbrief ansah, weshalb ihm dieser Brief stets suspekt war. Wir können die Betonung der Glaubensgerechtigkeit bei Luther verstehen, wenn wir die Kirche seiner Zeit betrachten, in der es beispielsweise beim Ablasshandel hauptsächlich um materielle Werke ging, die den Menschen den Weg in Paradies erschließen sollten.
Der Jakobusbrief behandelt jedoch nicht das Thema der Rechtfertigung. Glaube an Jesus Christus und Taufe setzt er voraus und er thematisiert auch nicht wie Paulus das jüdische Gesetz. Wenn er von Werken spricht, so meint er die Werke der christlichen Nächstenliebe. Arme und Notleidende sollen nicht durch fromme Worte "abgespeist" werden, sondern sollen wirklich eine Hilfe bekommen, die ihnen nützt. Damit befindet sich der Jakobusbrief ganz in der Nachfolge des Herrn, der Armen und Kranken ja nicht nur ein besseres Leben gepredigt hat, sondern sie wirklich geheilt und hat.

Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen:
Im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen.
Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muss neu geboren werden aus diesem Beten und diesem Tun.
(Dietrich Bonhoeffer)