Johannes 15,9-17

Ihr seid meine Freunde

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Heilige Schrift
Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. (Joh 15,9-10)

Joh 15,9-17 knüpft direkt an die Bildrede Jesu vom Weinstock an. Dieses Bild müssen wir uns zum besseren Verständnis weiterhin vor Augen halten: Die Rebe kann nur Frucht bringen, wenn sie am Weinstock bleibt, der sie mit dem Lebenssaft aus der Wurzel versorgt. Wie die Rebe mit dem Weinstock, so soll auch der Jünger mit Jesus verbunden bleiben.
Jesus selbst hat es vorgelebt: Sein ganzes Leben war die Erfüllung des Willens des Vaters. Er hat das Gebot des Vaters erfüllt und ist so in seiner Liebe geblieben. Durch die Liebe entsteht die Gemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger Jesu untereinander, mit Jesus und durch Jesus mit dem Vater. Gelingt diese Gemeinschaft, so bedeutet dies für alle die Teilhabe an der vollkommenen Freude, die aus der Liebe Gottes kommt.

Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird. Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. (Joh 15,11-12)

Jesus fasst sein Gebot in dem einen Satz zusammen: "Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe." Warum aber spricht er hier nur von einem Gebot? Ist nicht die ganze Schrift voll von Geboten des Herrn? Dazu schreibt Gregor der Große:

Alle Gebote beziehen sich auf die Liebe und sie alle stellen nur ein einziges Gebot dar, denn alles, was geboten wird, gründet allein in der Liebe. Wie nämlich die vielen Äste eines Baumes aus einer einzigen Wurzel hervorgehen, so entstammen die vielen Tugenden der einen Liebe. Und der Zweig des guten Werkes besitzt keinerlei Lebenskraft, wenn er nicht in der Wurzel der Liebe bleibt. Die Gebote des Herrn sind also viele und doch nur eines; viele auf Grund der Verschiedenheit des Werkes; eines in der Wurzel der Liebe.

Im Tun der Liebe ist Jesus Vorbild für uns. Die Leser des Evangeliums kennen das Leben Jesu. Sie wissen, dass er den Menschen seine Liebe gezeigt hat bis zum äußersten. Jesus hat in seinem Leben den Menschen ein Beispiel der Liebe gegeben, hat beim letzten Abendmahl in der Fußwaschung den Jüngern ein deutliches Beispiel dafür gegeben, dass Liebe Erniedrigung und Dienst verlangt und hat schließlich für diese Liebe den Tod am Kreuz auf sich genommen. Das war die größte Liebe, die er den Menschen zeigen konnte: Er hat sein Leben hingegeben für seine Freunde.

Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. (Joh 15,13)

Nur Freunden vertrauen wir unser Kostbarstes an. Jesus vertraut seinen Jüngern das Kostbarste an, das er hat, die Worte des Vaters, das was Gott der Welt zu sagen hat und was nur der Sohn kennt, weil er allein den Vater kennt - die Worte des ewigen Lebens. Jesus traut den Jüngern zu, dass sie diese Worte weitergeben, dass sie diese Worte allen Menschen zu allen Zeiten sagen. Jesus hat ihnen damit unfassbares Vertrauen geschenkt. Jesus bezieht die Jünger mit ein in seinen Dienst. Sie sind nicht Knechte, die blind gehorchen, die nur stur ihre Arbeit verrichten und eigentlich nicht wissen, was sie tun, die nicht nach dem Warum und Wozu zu fragen haben.
Jesus nennt die Jünger Freunde. Jeder gibt durch seine Persönlichkeit der Botschaft Jesu ein eigenes Gesicht. Der Freund Jesu wird selbst zu einem Bild Jesu. Er lässt Jesus durch sein Leben neu in der Welt lebendig werden, macht Jesu Liebe für die Menschen erfahrbar.
Die Ikone des Menas ist ein lebendiges Zeichen dieser Freundschaft mit Jesus Menas. Menas (gest. 295) ist der Heilige der Freundschaft und zugleich einen der beliebtesten Heiligen der koptischen Kirche in Ägypten. Menas steht neben Christus. Mit Mönchsgewand und Mantel strahlt Menas eine unerschütterliche Festigkeit aus. Mit seiner rechten Hand weist er auf Christus hin. Christus ist noch etwas größer und breiter dargestellt als Menas. Seine Rechte ruht auf der Schulter des Heiligen. Es ist der Arm der Freundschaft, der dem sehnenden Freund Kraft und Mut gibt, seinen Weg zu gehen: Fürchte dich nicht, ich bin bei dir.
In diesem vertrauten Zueinander von Christus und Menas zeigt sich die Grunderfahrung christlicher Freundschaft, das "Bleiben in Christus". Jesus lädt mich ein, in seiner Liebe zu bleiben. Er lädt mich ein, mit allem, was ich bin, in ihm zu wohnen. Er will sich ganz meiner annehmen und sich in allem um mich kümmern. Es ist Jesu Einladung, ihm ganz zu gehören, ihm ganz nahe zu sein, ohne Grenzen mit ihm zu sein.
Freundschaft ist etwas Wunderbares. Viele Menschen haben einen "besten Freund" oder eine "beste Freundin", der oder die sehr wichtig für sie ist. Was bedeutet uns ein Freund? Einem Freund kann ich alles sagen, ein Freund weiß, wie mir zumute ist; er versteht mich. Ein Freund ist da, wenn man ihn braucht, auf ihn ist Verlass. Ein Freund geht ehrlich mit mir um, bei ihm sind Geheimnisse gut aufgehoben. Ein Freund nimmt sich Zeit für mich.
So ein Freund will Jesus für uns sein! Es finden sich schon im Alten Testament Beispiele für die Freundschaft mit Gott. Abraham wird "Freund Gottes" genannt (vgl. Jes 41,8), mit Mose spricht Gott von Angesicht zu Angesicht, wie Freunde miteinander reden (vgl. Ex 33,11).
Jesus hat Freunde. Lazarus wird Jesu Freund genannt (vgl. Joh. 11,11), Jesus nennt seine Jünger Freunde. Was bedeutet das? Weil Jesus dieses Wort im engen Kreis zu den Jüngern gesagt hat, deutet man es oft so, dass heute die Priester in dieser engen Freundschaft mit Jesus stehen. Das ist sicher richtig. Doch Jesu Freund kann jede und jeder werden!
Ist das nicht einfach unglaublich! Er, der Schöpfer des Universums, der von Ewigkeit ist, will mit Ihnen, mit Dir, mit mir eine Freundschaft eingehen! Das gibt's doch nicht! Doch, genau das ist ein Kennzeichen des Christentums und unterscheidet den christlichen Glauben von vielen anderen Religionen.
Zu einer Freundschaft gehören aber immer zwei. Jesus bietet uns seine Freundschaft an. Das heißt aber auch, dass wir uns wie Freunde Jesu verhalten sollen. Unser Zeichen dafür, dass wir die Freundschaft mit Jesus suchen ist es, so zu leben, wie er es möchte. Das bedeutet, die Menschen um uns zu lieben, so wie Jesus es uns gezeigt hat. Das bedeutet aber auch, dass wir uns Zeit nehmen für diese Freundschaft und mit Jesus zusammen sind im Gebet. Wenn wir das wollen, dann wird Jesus uns helfen, dass die Freundschaft mit ihm immer tiefer wird.

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Heilige Schrift
Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. (Joh 15,14-15)

Das Geschenk des Vertrauens drängt zur Antwort, es ruft den Menschen auf, diesem Vertrauen gerecht zu werden, der Freundschaft mit Freundschaft zu antworten, der Hingabe mit Hingabe. Wer dies erkannt hat, wird von dem Verlangen erfüllt sein, alles, ja selbst sein Leben dafür zu geben, damit Christus dorthin gelangt, wo er hinkommen will: zu allen Menschen. Denn alle sind zur Freundschaft mit Gott in Christus Jesus geladen.
Nach Papst Benedikt XVI. definiert Christus Freundschaft auf eine zweifache Weise:

Zwischen Freunden gibt es keine Geheimnisse: Christus sagt uns alles, was er vom Vater hört; er schenkt uns sein volles Vertrauen und mit dem Vertrauen auch die Erkenntnis. Er offenbart uns sein Antlitz, sein Herz. Er zeigt uns seine liebevolle Zuwendung zu uns, seine leidenschaftliche Liebe, die bis zur Torheit des Kreuzes geht. Er vertraut unserem schwachen Geist, unseren schwachen Händen seine Wahrheit an - das Geheimnis von Gott, Vater, Sohn und Heiligem Geist; das Geheimnis von Gott, der "die Welt so sehr geliebt hat, dass er seinen einzigen Sohn hingab" (Joh 3,16).
Er hat uns zu seinen Freunden gemacht - und welche Antwort geben wir?
Das zweite Element, mit dem Jesus die Freundschaft definiert, ist die Übereinstimmung des Willens. "Idem velle - idem nolle" war auch für die Römer die Definition von Freundschaft. "Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage." Die Freundschaft mit Christus entspricht dem, was die dritte Bitte des Vaterunsers ausdrückt: "Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden."
In dieser Übereinstimmung des Willens vollzieht sich unsere Erlösung: Freunde Jesu sein, Freunde Gottes werden.
Je mehr wir Jesus lieben,
je mehr wir ihn kennen,
umso mehr wächst unsere wahre Freiheit,
wächst die Freude darüber, erlöst zu sein.
Danke, Jesus, für deine Freundschaft!
Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet. Dies trage ich euch auf: Liebt einander! (Joh 15,16-17)

Das Wort vom Fruchtbringen weist uns wieder hin auf den Weinstock. Nur wer mit Christus verbunden bleibt, kann eine fruchtbare Rebe am Weinstock werden. Daher müssen wir uns stets fragen, wie es um unsere Freundschaft mit Christus bestellt ist. Sind wir wirklich seine Freunde, oder machen wir uns nur etwas vor? Lieben wir Jesus und die Menschen oder sind wir nur in uns selbst verliebt, in unser eigenes Können und Streben? Gregor der Große sagt:

Wer immer aber zu dieser Würde gelangt, Freund Gottes genannt zu werden, möge im Auge behalten, was er an und für sich ist, wie die empfangenen Gaben ihn jedoch überragen. Nichts schreibe er seinen eigenen Verdiensten zu, um nicht zum Feind zu werden.

Wenn wir in der Freundschaft zu Jesus stehen, dann wird er sich als der treue Freund erweisen. "Die Macht des wahren Gebetes liegt in der Größe der Liebe", sagt Gregor der Große. Wenn wir in der Liebe sind, wird Jesus unsere Bitten zum Vater tragen. Er wird immer für uns da sein und sich um uns kümmern. Wir dürfen darauf vertrauen, dass wir nie allein sind, sondern dass er immer bei uns ist.
Der heilige Augustinus hat das bekannte Wort geschrieben: "Liebe, und tu was du willst." Dieses Wort ist ein Schlüssel zum heutigen Evangelium. Jesus fordert uns auf, in seiner Liebe zu bleiben. Wie können wir in seiner Liebe bleiben? "Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben."
Ist das nicht ein Gegensatz zu Augustinus? Der sagt doch, dass man, wenn man liebt, tun kann, was man will und Jesus kommt da gleich mit den Geboten. Zudem soll dies alles noch Freude machen - sind die Gebote nicht die Freude-Killer schlechthin?
Das Gebot, das Jesus uns gibt, ist die Liebe. In ihr sind alle Gebote zusammengefasst. Das bedeutet auch, dass wahre Liebe und wahre Freude nicht durch absolute Freizügigkeit entstehen können. Freizügigkeit bringt höchstens Spaß - aber nicht für alle und nicht auf Dauer. Wenn sich Menschen aber an das Gebot der Liebe halten, ist dauerhafte Freude für alle möglich.
Liebe setzt Bindung voraus. Wer liebt, der erkennt, was der andere möchte und so wird er das tun, was dem Geliebten gefällt. Nur so ist Beziehung möglich unter den Menschen und zwischen den Menschen und Gott.