Johannes 5,1-47

Heilung in Betesda

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Heilige Schrift
Einige Zeit später war ein Fest der Juden und Jesus ging hinauf nach Jerusalem. (Joh 5,1)

Die Auseinandersetzungen Jesu mit den Juden geschehen im Johannesevangelium an den Festtagen in Jerusalem. Hier wird das Fest nicht näher benannt, durch das Hinaufziehen wird es jedoch als Wallfahrtsfest charakterisiert. Vermutlich handelt es sich um das jüdische Pfingstfest, das Schawuot, fünfzig Tage nach dem Pessachfest.

In Jerusalem gibt es beim Schaftor einen Teich, zu dem fünf Säulenhallen gehören; dieser Teich heißt auf Hebräisch Betesda. In diesen Hallen lagen viele Kranke, darunter Blinde, Lahme und Verkrüppelte. (Joh 5,1-4)

Der Teich von Betesda war ein Heilungsort in Jerusalem, der inzwischen auch archäologisch nachgewiesen worden ist. Genauer gesagt handelt es sich dabei um zwei Teiche, um die herum im Osten, Süden, Westen und Norden vier Säulenhallen gebaut worden waren. Auf der Trennmauer zwischen den beiden Teichen befand sich eine fünfte, die Zwischenhalle.
Die fünf Säulenhallen weisen hin auf die fünf Bücher Mose, das jüdische Gesetz. Der Kern des Gesetzes sind die Zehn Gebote, die am Fest Schawuot besonders gefeiert werden. Mit dem Ort und Zeitpunkt der Handlung stellt Johannes Jesus als neuen Mose dar. Als solcher besitzt er göttliche Vollmacht, was in der Rede, die an die Heilung anschließt (5,19-47) bekräftigt wird.
Übersetzt heißt der Name Betesda "Haus der Barmherzigkeit". Dies geht auf die Heilkraft des Ortes zurück. Von Zeit zu Zeit bewegte sich das Wasser der Teiche. Dann stiegen die Kranken, die das aus eigener Kraft konnten, ins Wasser, in der Hoffnung, geheilt zu werden. Offenbar gab es immer wieder Heilungen gegeben, insbesondere von Menschen, die sehr schnell in das sich bewegende Wasser hinein gekommen waren. Man erklärte sich damals die Bewegung des Wassers und die Heilungen damit, dass ein Engel das Wasser bewegte und die Menschen aufgrund gesund machte.
Die Kranken sind ein Bild für das Volk Israel und darüber hinaus für die ganze Menschheit. Das Gesetz kann nicht die Heilung bringen. Jesus Christus ist der wahre Arzt der Seelen. Augustinus sagt dazu: Jener Teich und jenes Wasser scheint mir das jüdische Volk bedeutet zu haben. Denn dass unter dem Namen von Gewässern Völker bezeichnet werden, lehrt uns deutlich die Apokalypse des Johannes, wo er, als ihm viele Gewässer gezeigt wurden, auf die Frage, was sie seien, zur Antwort erhielt, es seien dies Völker (vgl. Off 17,15). Jenes Wasser also, d.h. jenes Volk, wurde von den fünf Büchern des Mose wie von fünf Hallen umschlossen ... Warum heilten die fünf Hallen die Kranken nicht? Weil "wenn ein Gesetz gegeben worden wäre, das die Kraft hat, lebendig zu machen, dann käme in der Tat die Gerechtigkeit aus dem Gesetz" (Gal 3,21). ... Durch den Glauben an Jesus Christus aber "erfüllt sich die Verheißung an denen, die glauben" (Gal 3,22).

Dort lag auch ein Mann, der schon achtunddreißig Jahre krank war. Als Jesus ihn dort liegen sah und erkannte, dass er schon lange krank war, fragte er ihn: Willst du gesund werden? (Joh 5,5-6)

Jesus kommt am Teich vorbei. Er sieht den Kranken. Ohne, dass dieser etwas von sich aus zu Jesus sagt, spricht Jesus ihn an und fragt ihn, ob er geheilt werden möchte. Diese Frage erscheint sinnlos angesichts der Lage des Mannes. Aber es gibt durchaus Kranke, die zwar äußerlich alles tun, um Heilung zu finden, aber innerlich nicht wirklich bereit sind, gesund zu werden. Krankheit ist immer auch eine Versuchung für den von ihr betroffenen Menschen, sich den Anforderungen des Lebens zu verweigern und sich nur um sich selbst zu drehen und verwöhnen zu lassen. Besonders wenn die Krankheit lange dauert, kann es schwer sein, sich wieder in ein normales Leben einzufinden und die Angst vor diesem Schritt kann zu einem Hemmnis für die Heilung werden.

"Willst du gesund werden?" ist daher keine rhetorische Frage, sondern die wichtigste Frage überhaupt, die man an einen Kranken stellen kann und nur wenn der Kranke sie bejaht, wird er Heilung erfahren. Es ist auch die wichtigste Frage, die Jesus uns stellt, denn auch für die Krankheiten unseres Inneren entscheidet diese Frage über Heil und Unheil. Natürlich wollen wir richtig leben, wir wollen konzentriert und diszipliniert das tun, was wir als gut erkannt haben, aber wir wollen erst morgen damit anfangen. (Christiana Reemts)

Auch hier ist der Kranke Symbol für das Volk Israel. Achtunddreißig Jahre ist der Mann krank, achtunddreißig Jahre musste das Volk durch die Wüste ziehen aus Strafe für seinen Ungehorsam Mose gegenüber. Wie der Kranke, so hat auch Israel sich an den leidvollen Zustand gewöhnt. Das Volk ist zu träge, aufzustehen. Es verlangt nicht nach dem Messias. Wenn er da ist, kümmert es sich nicht darum. Teilnahmslos lässt es seine Gegenwart über sich ergehen und wie der Geheilte am Ende der Geschichte statt Dankbarkeit nichts anderes im Sinn hat, als Jesus bei der Obrigkeit zu denunzieren, so wird auch das Volk Israel seinem Messias ein schreckliches Ende bereiten.
Die Antwort des Kranken gibt den Zustand der Trägheit wieder. Es ist nicht ein frohes Ja! wie es der Blinde Bartimäus angesichts dieser Frage Jesu im Markusevangelium (10,46-52) spricht. Es ist vielmehr ein mitleidiges Jammern, das ohne Hoffnung ist. Der Kranke weiß nichts von Jesus und seiner Kraft zu heilen.

Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich, sobald das Wasser aufwallt, in den Teich trägt. Während ich mich hinschleppe, steigt schon ein anderer vor mir hinein. Da sagte Jesus zu ihm: Steh auf, nimm deine Bahre und geh! Sofort wurde der Mann gesund, nahm seine Bahre und ging. Dieser Tag war aber ein Sabbat. (Joh 5,7-9)

Achtunddreißig Jahre lang hat der Mann es nicht geschafft, rechtzeitig in das Wasser zu gelangen. Keinen hat er gefunden, der ihm dabei geholfen hätte. Er hat jede Hoffnung aufgegeben. Und dennoch bleibt er an dem Ort, der Heilung verspricht. Wo hätte er sonst hingehen sollen? Obwohl der Kranke ausweichend auf Jesu Frage antwortet, heilt er ihn. Sofort wir der Kranke gesund und tut, das Jesus ihm gesagt er. Er nimmt seine Bahre und geht weg, scheinbar ohne ein Wort der Dankbarkeit oder einen Ausdruck der Freude.
Augustinus erklärt, dass unter der Bahre des Kranken nicht nur eine tatsächliche Bahre zu verstehen ist, sondern alles und jeder, der den Kranken in seiner Krankheit unterstützte, in erster Linie also andere Menschen, die ihm halfen. Mit den Worten "steh auf" weckt Jesus ihn aus der Krankheit, mit "nimm deine Bahre" fordert er ihn auf, sich als Gesunder nicht länger tragen zu lassen, sondern selbst mitzutragen, und mit "geh" schickt er ihn auf einen neuen Weg.
Auf diesem Weg weht dem Kranken schon zu Beginn ein kalter Wind entgegen. Er wird von den anderen dafür kritisiert, dass er seine Bahre trägt, weil Sabbat ist und man am Sabbat das nicht tun darf. Aber er tut doch nur, was der fremde Heiler ihm gesagt hat. Er weiß ja nicht einmal, dass es Jesus war, der ihn geheilt hat. Das neue Leben fängt ja gut an. Da bleibt man doch besser bei seiner altgewohnten Lage auch wenn sie noch so mies was, oder nicht?

Da sagten die Juden zu dem Geheilten: Es ist Sabbat, du darfst deine Bahre nicht tragen. Er erwiderte: Der Mann, der mich gesund gemacht hat, sagte zu mir: Nimm deine Bahre und geh! Sie fragten ihn: Wer ist das denn, der zu dir gesagt hat: Nimm deine Bahre und geh? Der Geheilte wusste aber nicht, wer es war. Jesus war nämlich weggegangen, weil sich dort eine große Menschenmenge angesammelt hatte. (Joh 5,10-13)

Der Sabbat ist der Tag der Vollendung, der Tag, an dem Gott vom Werk der Schöpfung ruht. Es ist ein Tag der Ruhe und des Segens für die Menschen. Die Juden haben aber den Tag der Ruhe zu einem Tag der Sklaverei für den Menschen gemacht, denn durch viele Vorschriften wurde bis ins Kleinste geregelt, was man am Sabbat tun darf und was nicht. Was gut gemeint war, um die Menschen vor der Last der Arbeit an diesem Tag zu schützen, wurde selbst zu einer Last für die Menschen. Selbst die rettende Tat der Heilung eines Menschen war an diesem Tag verboten.
Der Geheilte scheint ganz auf sich allein gestellt. Jesus ist weg. Hilflos schaut sich der Mann in der Menschenmenge um und kann ihn nicht finden. Zum Glück lassen die Juden wieder von ihm ab. Er geht weiter, geht in den Tempel. Nun ist er doch gekommen, um Gott zu danken und hier begegnet er auch Jesus wieder.

Später traf ihn Jesus im Tempel und sagte zu ihm: Jetzt bist du gesund; sündige nicht mehr, damit dir nicht noch Schlimmeres zustößt. (Joh 5,14)

Jesus offenbart sich dem Geheilten. Doch er spricht auch eine deutliche Mahnung an ihn aus. Zwar ist er jetzt geheilt, aber das ist keine Garantie für die Zukunft. Er muss auch seiner Heilung gemäß leben. Was ist aber das Schlimmere, das Jesus für den Fall ankündigt, dass der Geheilte weiter sündigt? Was kann schlimmer sein als achtunddreißig Jahre gelähmt zu sein? Jesus wird es in der folgenden Rede schildern. Schlimmer als jede Krankheit ist es, die Stimme des Sohnes Gottes nicht zu hören (5,25.28), ins Gericht zu kommen (5,29) und nicht ins Leben hinüberzugehen (5,24).

Der Mann ging fort und teilte den Juden mit, dass es Jesus war, der ihn gesund gemacht hatte. Daraufhin verfolgten die Juden Jesus, weil er das an einem Sabbat getan hatte. Jesus aber entgegnete ihnen: Mein Vater ist noch immer am Werk und auch ich bin am Werk. Darum waren die Juden noch mehr darauf aus, ihn zu töten, weil er nicht nur den Sabbat brach, sondern auch Gott seinen Vater nannte und sich damit Gott gleichstellte. (Joh 5,15-18)

Ist der Geheilte ein Verkünder Jesu oder ein Denunziant? Was mag ihn dazu bewogen haben, zu den Juden zu gehen, und ihnen zu sagen, dass Jesus ihn geheilt hat? War er einfach nur naiv? Macht er einfach nur das, was andere von ihm verlangen - so wie er die Bahre nimmt und geht, wie Jesus es ihm gesagt hat, so ist das vielleicht die verspätete Antwort auf die Frage der Juden danach, wer ihn geheilt hat.
Für Jesus bringt die Sache nur Ärger. Wir sehen, dass die Verletzung des Sabbatgebotes einer der Hautvorwürfe der Juden gegen Jesus ist. Durch Christus bekommt der Sabbat einen neuen Sinn. Er bedeutet nun für den Menschen eine Art Vorschein der künftigen Seligkeit. Dieses ewige Leben ist mit dem Kommen Christi in die Welt für die an Christus Glaubenden schon angebrochen, daher feiern Christen auch nicht mehr den Sabbat, sondern den "Herrentag".
Jesus geht noch einen Schritt weiter. Er nennt vor den Juden Gott seinen Vater und bekräftigt, aus dieser Vollmacht heraus zu handeln. Das bringt die Juden noch mehr gegen ihn auf und an diesem Anspruch Jesu, Gottes Sohn zu sein, scheiden sich die Geister. Man muss sich entscheiden: Entweder man verurteilt ihn als eine Gotteslästerung oder man glaubt an ihn, etwas Drittes gibt es nicht.

Jesus aber sagte zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, wenn er den Vater etwas tun sieht. Was nämlich der Vater tut, das tut in gleicher Weise der Sohn. Denn der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er tut, und noch größere Werke wird er ihm zeigen, sodass ihr staunen werdet. Denn wie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, wen er will. Auch richtet der Vater niemand, sondern er hat das Gericht ganz dem Sohn übertragen, damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt auch den Vater nicht, der ihn gesandt hat.
Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben; er kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen. Amen, amen, ich sage euch: Die Stunde kommt und sie ist schon da, in der die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden; und alle, die sie hören, werden leben. Denn wie der Vater das Leben in sich hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben in sich zu haben. Und er hat ihm Vollmacht gegeben, Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist.
Wundert euch nicht darüber! Die Stunde kommt, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören und herauskommen werden: Die das Gute getan haben, werden zum Leben auferstehen, die das Böse getan haben, zum Gericht.
Von mir selbst aus kann ich nichts tun; ich richte, wie ich es (vom Vater) höre, und mein Gericht ist gerecht, weil es mir nicht um meinen Willen geht, sondern um den Willen dessen, der mich gesandt hat. Wenn ich über mich selbst als Zeuge aussage, ist mein Zeugnis nicht gültig; ein anderer ist es, der über mich als Zeuge aussagt, und ich weiß: Das Zeugnis, das er über mich ablegt, ist gültig. Ihr habt zu Johannes geschickt, und er hat für die Wahrheit Zeugnis abgelegt. Ich aber nehme von keinem Menschen ein Zeugnis an, sondern ich sage dies nur, damit ihr gerettet werdet. Jener war die Lampe, die brennt und leuchtet, und ihr wolltet euch eine Zeit lang an seinem Licht erfreuen. Ich aber habe ein gewichtigeres Zeugnis als das des Johannes: Die Werke, die mein Vater mir übertragen hat, damit ich sie zu Ende führe, diese Werke, die ich vollbringe, legen Zeugnis dafür ab, dass mich der Vater gesandt hat.
Auch der Vater selbst, der mich gesandt hat, hat über mich Zeugnis abgelegt. Ihr habt weder seine Stimme gehört noch seine Gestalt je gesehen, und auch sein Wort bleibt nicht in euch, weil ihr dem nicht glaubt, den er gesandt hat. Ihr erforscht die Schriften, weil ihr meint, in ihnen das ewige Leben zu haben; gerade sie legen Zeugnis über mich ab. Und doch wollt ihr nicht zu mir kommen, um das Leben zu haben. Meine Ehre empfange ich nicht von Menschen. Ich habe erkannt, dass ihr die Liebe zu Gott nicht in euch habt.
Ich bin im Namen meines Vaters gekommen und doch lehnt ihr mich ab. Wenn aber ein anderer in seinem eigenen Namen kommt, dann werdet ihr ihn anerkennen. Wie könnt ihr zum Glauben kommen, wenn ihr eure Ehre voneinander empfangt, nicht aber die Ehre sucht, die von dem einen Gott kommt? Denkt nicht, dass ich euch beim Vater anklagen werde; Mose klagt euch an, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt. Wenn ihr Mose glauben würdet, müsstet ihr auch mir glauben; denn über mich hat er geschrieben. Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie könnt ihr dann meinen Worten glauben? (Joh 5,19-47)