Römerbrief 1,3-17

Das Evangelium

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Römerbrief
Das Evangelium von seinem Sohn, der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids, der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten, das Evangelium von Jesus Christus, unserem Herrn. (Röm 1,3-4)

Am Beginn des Römerbriefes stellt Paulus sich den Römern als von Jesus Christus selbst berufener Apostel und Verkünder des Evangeliums vor. Dabei kommt es für ihn nicht so sehr darauf an, das Leben Jesu in seinen Einzelheiten zu schildern, wie es die Schriften, die wir heute Evangelien nennen, tun. Anders als die übrigen Apostel hat Paulus Jesus Christus nicht als Mensch gekannt, sondern wurde erst einige Zeit nach Jesu Auferstehung durch ein Ereignis, das für ihn eine persönliche Begegnung mit Jesus Christus bedeutet hat, mit ihm bekannt.
Paulus war von Jugend an ein jüdischer Gesetzeslehrer. Er kannte die heiligen Schriften der Juden und deren Auslegung bestens und sicher auch wichtige Teile davon auswendig. Er suchte nach der Gerechtigkeit und diese bestand darin, die Gebote Gottes zu kennen und vollkommen zu erfüllen. Wie alle frommen Juden war er sich aber auch dessen bewusst, dass kein Mensch auf Erden das Gesetz Gottes vollkommen erfüllen kann. Er wusste aber auch um Gottes Barmherzigkeit und er kannte die Verheißungen, dass Gott seinem Volk den Messias und Retter senden wird.
Dann kamen ihm Berichte von einer neuen Gemeinschaft zu Ohren, die er anfangs für eine jüdische Sekte hielt, die gegen das Gesetz Gottes gerichtet war. Er war überzeugt, dass dieser Jesus, der diese Sekte gegründet hat, ein falscher Prophet war und keineswegs der Messias, für den seine Anhänger ihn hielten. Ging diese Bewegung doch überwiegend von einfachen Leuten aus Galiläa aus und wurde von seinen "Kollegen", den Schriftgelehrten in Jerusalem, entschieden abgelehnt, so sehr, dass sie die Hinrichtung dieses Jesus erreicht haben. Er setzte darum alles daran, die Anhänger dieses Jesus mit Macht und Gewalt zu beseitigen.
Und dann verändert ein Ereignis auf seinem Weg nach Damaskus sein Leben grundlegend. Er erkennt in dem, was geschieht, Jesus. Er weiß nun, dass dieser Jesus, der in Jerusalem unter den Augen der jüdischen Obrigkeit von den Römern hingerichtet wurde, nicht tot ist, sondern lebt. Er weiß nun, dass dieser Jesus kein gewöhnlicher Mensch war, sondern der Messias, Gottes Sohn, den Gott gesandt hat, sein Volk und die ganze Welt zu retten.
Das ist von nun an das Evangelium des Paulus, dass Gott seinen Sohn gesandt hat, der Mensch geworden ist, nicht nur zum Schein, sondern wirklicher Mensch mit Fleisch und Blut. Er ist wirklich gestorben am Kreuz, aber Gott hat ihn auferweckt. Gottes Sohn, der tot war, lebt. Das zeigt Gottes Macht deutlicher als alles andere, was Gott bisher in seinem Volk getan hat. Paulus selbst hat die Macht des Auferstandenen in seiner Begegnung mit ihm auf dem Weg nach Damaskus erfahren.
Wirklich auferstanden sein kann Jesus aber nur, wenn er wirklich Mensch geworden ist und als solcher auch wirklich gestorben ist. Immer wieder kam die irrige Meinung auf, dass Jesus vielleicht nur scheinbar ein Mensch geworden ist. Er hätte nur einen Scheinleib gehabt, in Wirklichkeit aber wäre er gar kein Mensch gewesen. Aber wie sollte dann die Auferstehung Jesu jenes machtvolle Ereignis sein, das die Apostel angetrieben hat, von Jesus zu verkünden, dass er lebt? Nur wer glaubt, dass Jesus wirklich Mensch geworden ist und dass er wirklich gestorben ist, kann auch wirklich an Gottes Macht glauben, die Jesus auferweckt hat.
Es lohnt sich, gerade um Weihnachten herum einmal innezuhalten und sich wieder neu vor Augen zu führen, was damals geschehen ist, in jener Nacht, als Gottes Sohn geboren wurde. Wie nah ist uns Gott hier gekommen, dass er uns gleich geworden ist. Nicht nur zum Schein, sondern wirklich in Fleisch und Blut. Wer schon einmal ein neugeborenes Kind gesehen oder gar in Händen gehalten hat weiß, wie verletzlich und schutzbedürftig so ein Neugeborenes ist. So ist Gott geworden.
Und jetzt denken wir einmal weiter vom Beginn an das Ende des Lebens. Der Tod ist eine Grenze, über die wir nicht hinausblicken können. Die Auferweckung Jesu Christi zeigt uns aber, dass nach dieser Grenze das Leben auf uns wartet, ein neues Leben bei Gott, das herrlicher ist, als wir es uns vorstellen können. Ohne den Glauben an die Menschwerdung Gottes gibt es keinen Glauben an die Auferstehung und ohne Auferstehung hätte die Geburt Jesu keine Bedeutung für uns. Geburt und Auferstehung Jesu Christi bilden die Grundpfeiler des Evangeliums, und ohne diese beiden wäre alles andere sinnlos.

Herr Jesus,
lass mich erspüren
wie es damals war,
als du geboren wurdest.
Ich will dich sehen als Gott,
der wahrhaft Mensch geworden ist.
Ich will in tiefem Glauben
niederfallen und anbeten,
aber auch deine Nähe spüren,
dass du als Gott nicht
in fernen Welten geblieben bist,
sondern uns so nahe gekommen bist,
Jesus, du mein Herr und Gott.
Amen.
Durch ihn haben wir Gnade und Apostelamt empfangen, um unter allen Heiden Glaubensgehorsam aufzurichten um seines Namens willen; unter ihnen lebt auch ihr, die ihr von Jesus Christus berufen seid. An alle in Rom, die von Gott geliebt sind, die berufenen Heiligen: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. (Röm 1,5-7)

Von Jesus Christus, dessen Evangelium er verkündet, hat Paulus Gnade und Apostelamt empfangen. Gnade und Amt stehen für geistige und geistliche Befähigung und zugleich für Autorität. Beides gehört für ein Leitungsamt in der Kirche zusammen. Jesus Christus hat Paulus Einsicht in die Geheimnisse Gottes geschenkt, die dieser nun verkündet. Paulus verkündet das Evangelium nicht in seinem Namen, sondern im Namen Jesu Christi und dieser gibt ihm dazu auch die Vollmacht. Das bedeutet zugleich, dass jeder, der die Lehre des Paulus anzweifelt, an der Wahrheit Gottes zweifelt.
Gnade und Apostelamt hat Paulus vor allem für die Verkündigung unter den Heiden erhalten. Er hat als erster den Schritt getan, auch Heiden zu taufen und in die Kirche aufzunehmen und hat diesen Schritt dann vor den anderen Aposteln entschieden verteidigt. Durch seine Herkunft aus einer Stadt des Römischen Reiches hatte er hier den anderen Aposteln, die aus der entlegenen Provinz stammten, einiges an Weitsicht voraus. Obwohl auch die Juden in der Diaspora für sich eine geschlossene Gruppe gebildet haben, war Paulus doch mehr an den Umgang mit Heiden gewöhnt als die Menschen aus Judäa und Galiläa, die um alle Heiden und Fremden einen großen Bogen gemacht haben.
Auch die Juden und Judenchristen in Rom leben inmitten von Heiden. Sie kennen die Spannungen, die daraus entstehen können. Zu der Zeit, als Paulus seinen Brief schreibt, ist noch nicht klar, wie sich das Verhältnis zwischen Juden, Judenchristen und Heidenchristen entwickeln wird. Es wird noch viele Auseinandersetzungen geben, bis sich Juden und Christen schließlich weitgehend voneinander trennen. Paulus weiß aus seinen Erfahrungen der Mission, dass die Mehrzahl der Juden nicht an Jesus Christus glauben wird. Das schmerzt ihn zutiefst und er betet um die Bekehrung der Juden, jenes Volkes, zu dem er selbst gehört. Ihnen steht jederzeit der Weg zu Jesus Christus offen. Paulus aber wendet sich vor allem an die Heiden, weil er unter ihnen einen fruchtbaren Boden für die Saat des Evangeliums findet.
Über die bei Paulus und auch in anderen Schriften gebräuchliche Anrede der Gläubigen als Heilige findet sich ein ausführlicher Text unter der Erklärung dieser Anrede bei 1Kor 1,2. Über die Entstehung der Gemeinde in Rom wurden im vorangehenden Einführungstext zu Röm 1,1 einige Hinweise gegeben. Wie bereits erwähnt, war Paulus der Gemeinde von Rom nicht persönlich bekannt. Daher legt er im folgenden Abschnitt seine Beweggründe dar, warum er gerade diese Gemeinde, anderen Gründung er nicht beteiligt war, besuchen möchte.

Zunächst danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle, weil euer Glaube in der ganzen Welt bekannt gemacht wird. (Röm 1,8)

Nach dem Eingangsgruß erfolgt der auch aus anderen Briefen vertraute Dank des Apostels für den Glauben der Gemeinde. Im Anschluss daran formuliert Paulus seinen Wunsch, die Gemeinde in Rom zu besuchen. Er erwartet sich von dem gegenseitigen Kennenlernen einen Austausch, der den Glauben beider Seiten vertieft. Beide Seiten können voneinander lernen, sowohl die Römer von Paulus als auch Paulus von den Römern. Damit sich die Römer schon einmal auf diesen Begegnung vorbereiten können, legt Paulus in dem nun folgenden langen Brief seine Theologie, oder wie er es formuliert, sein Evangelium dar. Diese Formulierung zeigt, dass der Begriff Evangelium im christlichen Bereich noch nicht für die vier Evangelien reserviert war, die ja erst nach den Paulusbriefen entstanden sind. Im Evangelium des Paulus geht es nicht so sehr um das Leben Jesu, sondern um das, was er gewirkt hat, die Gerechtmachung des Menschen vor Gott. Darzulegen, was dies bedeutet, ist das zentrale Anliegen dieses Briefes.

Denn Gott, dem ich mit der Verkündigung des Evangeliums von seinem Sohn mit ganzem Herzen diene, ist mein Zeuge: Unablässig denke ich an euch in allen meinen Gebeten und bitte darum, es möge mir durch Gottes Willen endlich gelingen, zu euch zu kommen. Denn ich sehne mich danach, euch zu sehen; ich möchte euch ein wenig mit geistlicher Gnadengabe beschenken, damit ihr gestärkt werdet, oder besser: damit wir, wenn ich bei euch bin, miteinander Zuspruch empfangen durch den gemeinsamen Glauben, euren und meinen. Ihr sollt wissen, Brüder und Schwestern, dass ich mir schon oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen, aber bis heute daran gehindert wurde; denn wie bei den anderen Heiden soll meine Arbeit auch bei euch etwas Frucht bringen. Griechen und Nichtgriechen, Gebildeten und Ungebildeten bin ich verpflichtet; deshalb bin ich, soviel an mir liegt, bereit, auch euch in Rom das Evangelium zu verkünden.
Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht: Es ist eine Kraft Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt, zuerst für den Juden, aber ebenso für den Griechen. Denn in ihm wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart aus Glauben zum Glauben, wie geschrieben steht: Der aus Glauben Gerechte wird leben. (Röm 1,9-17)

Der aus Glauben Gerechte wird leben. Gerechtigkeit ist nicht mehr ein Privileg der Juden. Allen, die an Jesus Christus glauben, wird die Gerechtigkeit Gottes zuteil. Warum aber bedarf der Mensch dieser Gerechtmachung durch Gott? Weil alle Menschen gegen die Gerechtigkeit Gottes verstoßen haben und die Ungerechtigkeit in der Welt herrscht.