Kolosserbrief 1,1-11

Einführung

.
Kolosserbrief
Paulus, Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes, und der Bruder Timotheus, an die heiligen und gläubigen Brüder in Christus, die in Kolossä sind, Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater. (Kol 1,1-2)

Der Kolosserbrief nennt Paulus und Timotheus als Verfasser. Wie in anderen Briefen, wird auch hier Paulus als Apostel bezeichnet. Timotheus wird durch seine Klassifizierung als Bruder des Paulus diesem an Würde gleichgestellt. Ungewöhnlich ist die Formulierung heilige Brüder, die nur hier vorkommt. Von ihrer Bedeutung her ist sie aber mit anderen Stellen der Paulusbriefe verwandt, in denen die Gläubigen als Heilige bezeichnet werden.
Die moderne Exegese betrachtet, trotz der Nennung des Paulus im Präskript und dem Hinweis auf den eigenhändig von Paulus geschriebenen Gruß am Ende des Briefes, die paulinische Verfasserschaft des Kolosserbriefes als literarische Fiktion. Sie begründet dies vor allem mit starken Unterschieden in der Christologie und Eschatologie zu anderen Paulusbriefen und sieht in dem Brief ein um das Jahr 70 entstandenes Werk von Paulusschülern. Jedoch können die Unterschiede auch mit einer Weiterentwicklung der theologischen Sichtweise des Paulus selbst und einer Anpassung an die Situation der Gemeinde erklärt werden.
Bereits die Kirchenväter sahen im Kolosserbrief einen späten Brief des Paulus. Johannes Chrysostomus versucht folgende Einordnung:

Dieser Brief scheint später verfasst zu sein als der an die Römer. Denn diesen schrieb er, als er die Römer noch nicht gesehen hatte, jenen dagegen, als er bereits mit ihnen zusammengekommen war und am Ende seiner apostolischen Laufbahn stand. Das geht deutlich aus folgendem hervor. Im Briefe an Philemon sagt er: "Da du ebenso wie Paulus ein alter Mann bist", und bittet für Onesimus; in dem vorliegenden aber schickt er den Onesimus selbst, wie es denn heißt: "Mit Onesimus, dem treuen und vielgeliebten Bruder", indem er ihn treu und vielgeliebt und Bruder nennt. Darum spricht Paulus in unserem Brief auch mit Zuversicht: "Von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt, das gepredigt wurde in der ganzen Schöpfung, die unter dem Himmel ist." Denn die Predigt des Evangeliums hatte bereits geraume Zeit gedauert. Meines Erachtens nun ist der Brief an Timotheus später als dieser und erst gegen sein Lebensende verfasst, es heißt nämlich dort: "denn ich werde schon hingeopfert." Unser Brief nun ist älter als der an die Philipper; denn da stand Paulus damals am Anfang seiner römischen Haft. (Johannes Chrysostomus)

Wie die Briefe an Philemon, die Philipper und die Epheser zählt der Kolosserbrief zu den sogenannten Gefangenschaftsbriefen, die Paulus, ob real oder fiktiv, aus dem Gefängnis geschrieben hat.

Heilig sind alle paulinischen Briefe, aber diejenigen, welche der Apostel aus Kerker und Banden sendet, haben etwas vor den anderen voraus, wie der an die Epheser, der an Philemon, der an Timotheus, der an die Philipper und der vorliegende hier. Denn auch dieser wurde von ihm abgesendet, während er in Fesseln lag. (Johannes Chrysostomus)

Die Gemeinde in Kolossä war Paulus persönlich nicht bekannt. Der Kolosserbrief ist somit der einzige Paulusbrief, der an eine Gemeinde gerichtet ist, die Paulus weder selbst missioniert hat, noch selbst zu besuchen beabsichtigt. Die Mission war durch Epaphras erfolgt, der im Brief als "geliebter Mitarbeiter" des Paulus bezeichnet wird und dessen Legitimation somit durch Paulus bekräftigt wird. Er hat Paulus vom Zustand der Gemeinde berichtet und auch von einer Irrlehre, die sich in Kolossä und anderen Gemeinden in der Umgebung ausgebreitet hat.
Der Anlass des Briefes ist überwiegend die Diskreditierung der in Kolossä sich ausbreitenden Irrlehre. Hier soll die Autorität des Apostels Paulus zum Einsatz kommen, um diese Irrlehre zurückzudrängen. Dies macht deutlich, dass Paulus auch in den nicht direkt von ihm gegründeten Gemeinden als Autorität galt. Seine Lehre steht dafür, dass das Heil der Menschen allein durch Jesus Christus kommt. Er hat die Erlösung gebracht und der Glaube an ihn heiligt den Menschen. Wer durch die Taufe und den Glauben an Christus befreit ist, und so lebt, wie es dieser Freiheit entspricht, darf sich ganz und gar darauf verlassen, dass sein Leben in Christus getragen ist. Er muss sich nicht noch weitere Rückversicherungen zulegen (sei es durch äußere Zeichen wie etwa die Beschneidung oder durch die Befolgung anderer Lehren), sondern gerade im alleinigen Vertrauen auf Jesus Christus gelingt das Leben des Einzelnen.
Der Brief will vor allem die durch diese Irrlehre verunsicherten Christen in ihrem Glauben stärken und die kirchliche Struktur festigen, die durch Paulus und seine Mitarbeiter repräsentiert wird, letztlich aber durch das von Christus legitimierte Apostelamt des Paulus auf Christus gründet. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass der Brief auch in der Gemeinde der Nachbarstadt Laodizea vorgelesen werden soll, gleichwie der Brief an diese Gemeinde, der uns nicht erhalten ist, auch in Kolossä vorgelesen werden soll (vgl. Kol 4,16). Aus diesem Grund sehen manche Exegeten in dem Kolosserbrief eher ein Rundschreiben an mehrere Gemeinden, als einen an eine einzelne Gemeinde gerichteten Brief.
Die phrygische Stadt Kolossä war zu Zeit des Paulus eine eher unbedeutende Kleinstadt. Sie liegt im fruchtbaren Tal des Lykos, eines Nebenflusses des Mäanders, an einer wichtigen Handelsstraße in der Nähe der zu jener Zeit weitaus bedeutenderen Städte Hierapolis und Laodizea. Seine einstige Bedeutung hatte Kolossä verloren, nachdem es mehrmals durch Erdbeben zerstört wurde, woraufhin wichtige Handels- und Verwaltungssitze von dort in sicherere Städte abwanderten. Obwohl es in jener Gegend viele Juden gab - antike Quellen berichten von einer Ansiedlung von Juden unter Antiochus III. - bestand die Gemeinde in Kolossä weitgehend aus Heidenchristen.
Die Irrlehre, die damals um sich gegriffen hat, lässt sich anhand der Aussagen des Briefes nicht exakt definieren. Ihr zentraler Bestandteil war offensichtlich die Beachtung der Weltelemente, die als personale Schicksalsmächte gesehen wurden, was eine unchristliche Engellehre zur Folge hatte. Daneben werden asketische Speise- und Sexualgebote und die Forderung nach Beachtung bestimmter Zeiten erwähnt. Möglicherweise war mit dieser Lehre auch die in anderen Paulusbriefen viel diskutierte Forderung nach der Beschneidung der Heidenchristen verbunden. Dies alles bedeutet für Paulus eine Abkehr von Christus, der das Fundament des Glaubens ist, zu dem er die Kolosser zurückführen möchte.

Die Kolosser wollten durch Vermittlung der Engel zu Gott zu gelangen, beobachteten viele jüdische und heidnische Gebräuche. Darüber nun weist er sie zurecht. ... Sage mir doch, will er fragen, wieso bist du denn ein Heiliger geworden? Wieso wirst du denn ein Gläubiger genannt? Nicht deshalb, weil du durch den Tod Christi geheiligt wurdest? Nicht deshalb, weil du an Christus glaubst? Wieso bist du ein Bruder geworden? Du hattest dich ja weder in Worten noch in Werken noch durch vollkommenen Lebenswandel als einen Gläubigen gezeigt. Sage mir, wieso wurden dir denn so große Geheimnisse anvertraut? Geschah es nicht durch Christus? ... Wer hat diese großen Dinge zustande gebracht? Wer hat dich heilig gemacht? Wer gläubig? Wer zu einem Kind Gottes? Der dich des Glaubens würdig gemacht hat, derselbe ist auch die Ursache, dass dir alles zum Glauben anvertraut worden ist. (Johannes Chrysostomus)
Wir danken Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, allezeit, wenn wir für euch beten. Denn wir haben von eurem Glauben in Christus Jesus gehört und von der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt wegen der Hoffnung, die für euch im Himmel bereitliegt. Schon früher habt ihr davon gehört durch das wahre Wort des Evangeliums, das bei euch anwesend ist. Wie in der ganzen Welt, so trägt es auch bei euch Frucht und wächst seit dem Tag, an dem ihr den Ruf der göttlichen Gnade vernommen und in Wahrheit erkannt habt. So habt ihr es von Epaphras, unserm geliebten Mitknecht, gelernt. Er ist an unserer Stelle ein treuer Diener Christi und er hat uns auch von der Liebe berichtet, die der Geist in euch bewirkt hat. (Kol 1,3-8)

Der Apostel spricht zu Beginn des Briefes seinen Dank an Gott für die Gemeinde aus. Trotz einiger kritischer Tendenzen steht die Gemeinde fest im Glauben und in der Liebe und wird daher auch die Erfüllung ihrer Hoffnung erfahren. Glaube und Liebe bedeuten die rechte Beziehung zu Gott und den Mitmenschen. Das, was die Menschen hier auf Erden aus Glaube und Liebe tun, wird seine Erfüllung im Himmel finden, wenn die Gemeinschaft mit Gott und den Menschen vollendet wird. Dass diese Hoffnung auch begründet ist und nicht ins Leere führt, zeigt sich deutlich darin, dass sich der Glaube in der Welt ausbreitet und die Liebe unter den Menschen wächst.

Werdet nicht wankend, will er sagen, in der Hoffnung auf die Zukunft! Ihr seht die Bekehrung des ganzen Erdkreises. Doch was brauche ich auf das hinzuweisen, was anderswo geschieht? Auch davon abgesehen, bieten die Geschehnisse bei euch volle Gewähr. Denn "ihr habt erkannt die Gnade Gottes in der Wahrheit", d. h. in den Werken. Diese zwei Dinge also geben sichere Bürgschaft hinsichtlich der zukünftigen Güter: dass alle Welt den Glauben angenommen hat und dass auch ihr gläubig geworden seid. (Johannes Chrysostomus)

Wie die Gläubigen aber die Zuverlässigkeit der Lehre des Evangeliums erfahren, so zeigt sich dadurch auch die Zuverlässigkeit das Epaphras, durch den die Gemeinde unterwiesen wurde. Es gibt also keinen Grund dafür, sich anderen Lehren zuzuwenden, die von falschen Lehrern als zuverlässiger angepriesen werden. Paulus will die Gemeinde davor bewahren, dass sie diese Erfahrung erst macht, wenn es zu spät ist, und dadurch Schaden nimmt.

Die Wirklichkeit hat die Versicherungen des Epaphras nicht Lügen gestraft. ... Wenn dieser "ein Diener Christi" ist, wie könnt ihr behaupten, dass ihr durch Engel mit Gott in Verbindung tretet? "Der uns auch kundgetan hat", sagt er, "eure Liebe im Geiste." Denn diese Liebe ist unwandelbar und bewunderungswürdig, jede andere trägt von der Liebe nur den Namen. Es gibt aber manche, die nicht so gesinnt sind. Allein das ist nicht wahre Freundschaft; darum löst sie sich auch leicht wieder auf. (Johannes Chrysostomus)

Paulus und seine Mitarbeiter beten inständig darum, dass die Gemeinde in der zuverlässigen Lehre feststeht und darin weiter wächst und sich nicht von diesem Wachstum abbringen lässt.

Daher hören wir seit dem Tag, an dem wir davon erfahren haben, nicht auf, für euch zu beten und zu bitten, dass ihr mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistlichen Einsicht erfüllt werdet. Denn ihr sollt ein Leben führen, das des Herrn würdig ist und in allem sein Gefallen findet. Ihr sollt Frucht bringen in jeder Art von guten Werken und wachsen in der Erkenntnis Gottes. Er gebe euch in der Macht seiner Herrlichkeit viel Kraft, damit ihr in allem Geduld und Ausdauer habt. (Kol 1,9-11)

Der nun folgende Christushymnus soll der Gemeinde deutlich machen, dass Christus der Mittelpunkt des Glaubens ist, dass er alles beherrscht und neben ihm nichts sein kann, das nicht von ihm abhängig oder auf ihn hin geordnet wäre.