Hebr 1,1-14 Gottes Wort

Vielfältig ausgesprochen

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Vielfältig und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben von allem eingesetzt, durch den er auch die Welt erschaffen hat. (Hebr 1,1-2)

Der Hebräerbrief beginnt mit einer Tatsache, ohne die alle Theologie und aller Glaube sinnlos wären. Gott selbst ist es, der zu den Menschen spricht, der sich offenbart. Nur deshalb können die Menschen auch von Gott sprechen.
Soweit wir wissen, kennen alle Kulturen zu allen Zeiten eine göttliche Macht. Oft sind es mehrere Götter, die von den Menschen als Naturgottheiten verehrt werden. Die göttliche Kraft wohnt in den Planeten und im Walten der Natur, dem die Menschen früherer Zeiten nahezu schutzlos ausgeliefert waren.
Heute haben wir ein grundlegend anderes Bild von der Natur als alle Menschen vor uns. Wir können viele Zusammenhänge in der Natur erklären und haben entdeckt, dass unsere Erde nicht der Mittelpunkt einer relativ kleinen Welt ist, sondern ein winziger Planet inmitten eines gewaltigen Universums.
Bleibt in unserer modernen Welt noch Platz für Gott? Wenn er sich nicht in der Natur oder im Weltall verbergen kann, wo ist er dann? Um Gott zu entdecken, müssen wir zunächst die Überreste des alten Götterglaubens, die sich auch im Christentum noch festgesetzt haben, ablegen. Wir müssen die Bilder der Bibel wieder als solche verstehen und dürfen mythische Erzählungen wie den Schöpfungsbericht nicht wörtlich nehmen.
Ich bin der Ansicht, dass auch in unserer heutigen von den Wissenschaften bestimmten Welt Platz für Gott ist. Vielleicht müssen wir aber unseren Glauben daran, dass wir auf der Erde irgendwie exklusiv von Gott bevorzugt sind, etwas revidieren. Wir wissen noch nicht, ob es anderes intelligentes Leben im Universum gibt, aber wenn es dieses gibt, dann muss "unser" Gott auch der Gott dieser Menschen sein.
Die Welt ist in Gottes Hand. Er hat sie geschaffen und er will sie zur Vollendung führen. Die Erde ist mehr als ein Planet, der auf einer physikalisch berechenbaren Bahn durch das Weltall rast. Die Bewohner der Erde sind mehr als zufällige Produkte der Evolution. Hinter allem steht Gottes Plan, alles wird getragen von seinem Wort. Gottes Wort, durch das die Welt geschaffen wurde, ruft uns in die Gemeinschaft mit Gott. Durch den das All wurde, er wird auch alles wieder in sich vereinen und dann wird Gott sein alles und in allem.
Die Wissenschaft kann diese Welt nicht bis ins Letzte erklären. Es ist faszinierend zu sehen, wie sich auf der Erde alles so zusammenfügt, dass sich das Leben auf so vielfältige Weise entfalten konnte. Die Wissenschaft kann bis heute nicht zweifelsfrei erklären, wie das Universum entstanden ist und wie sich dann nach Jahrmillionen aus der leblosen Materie lebendige Organismen gebildet haben.
Zudem wird immer deutlicher, dass die Weltsicht des Materialismus der Welt nicht gerecht wird. Gibt es so etwas wie ein kosmisches Bewusstsein, in dem alles mit allem verbunden ist? Wir spüren eine geistige Wirklichkeit, die genauso real erscheint wie die materielle. Beziehungen, Gefühle, Vorahnungen, alles das, was wir in unserem Inneren spüren, muss mehr sein als ein materielles Konstrukt. Wissenschaftler befassen sich heute mit der Welt der Quanten. In den kleinsten Bausteinen des Universums ist alles ganz anders als in unserer großen Welt. Raum und Zeit scheinen sich dort aufzulösen.
Wir wissen noch nicht, wohin uns all diese neuen Entdeckungen führen werden. Vielleicht kommen wir zu einer neuen Vereinigung von Naturwissenschaft und Theologie, die ja auch eine Wissenschaft ist. Beide Seiten haben in der Vergangenheit Fehler gemacht. Die Theologie hat mit ihrem Festhalten an alten Vorstellungen den Blick auf Gott verstellt und die Wissenschaft hat gemeint, letztlich alles erklären zu können.
Daher erneut die Mahnung, Gott größer zu sehen. Gott hat dieses gewaltige Universum geschaffen und wir - auch wir Christen - haben ihn zu einem kleinlichen Gott gemacht, zu einem Beschützer unserer eigenen Interessen, zu einem kleinlichen Gott, der sich nur um das kümmert, was uns wichtig ist und nicht um alles, was er erschaffen hat.
Jesus hat nie ein konkretes Bild von Gott gezeichnet. Licht, Liebe, Wahrheit, all das, womit Jesus Gott verbunden hat, übersteigt das Verstehen des Menschen. Gott ist immer größer als alles, was wir zu fassen vermögen. Daher können wir Gott nie ganz verstehen, sondern uns ihm nur immer mehr annähern.
Werfen wir alle kleinlichen Bilder von Gott in den Müll der Geschichte. Es ist höchste Zeit, dem unendlichen Gott einen Platz in unserem gewaltigen (aber endlichen) Universum zu geben als Gott allen Lebens, das hier und auch irgendwo sonst existieren mag. Überall offenbart sich Gott vielfältig und auf vielerlei Weise, so wie intelligentes Leben ihn auf seinem jeweiligen Erkenntnisstand verstehen kann.
Die Gottesbilder des Alten Testaments haben zu ihrer Zeit ihren Zweck erfüllt, Gott verständlich zu machen. Wenn wir sie als Bilder früherer Menschen auf anderen Stufen der Erkenntnis verstehen, können sie uns auch heute etwas sagen. Heute will Gott sich uns in anderen Bildern zeigen. Wir übersehen sie aber, weil wir die alten Bilder noch im Kopf haben. Doch Gott möchte sich uns in einer Weise offenbaren, die unserem derzeitigen Stand der Erkenntnis entspricht.
Jesus Christus ist die unüberbietbare Offenbarung Gottes. Aber wir haben Christus bis heute nicht verstanden. Wir haben sein Bild verstellt. Wenn wir heute ein neues Bild von Gott haben möchten, so kann dies nur ein Bild von Christus sein, das dem entspricht, was wir von ihm aus der Heiligen Schrift erkennen und was er unseren Herzen offenbart.
Der Sohn ist Gottes Wort. Er ist der Schöpfungsmittler und in ihm wird die Schöpfung auch vollendet werden. Mit dem Kommen des Wortes Gottes ist die Endzeit angebrochen, in der diese Vollendung der Schöpfung beginnt. Gott Sohn ist in die Welt gekommen, Gottes Wort hat menschlich zu uns gesprochen. Als Geschöpfe Gottes sind wir von Gott berufen, Anteil an Gottes neuer Schöpfung zu haben. 1Kor 15,28 ist sicher eine der bedeutendsten Parallelstellen vom Hebräerbrief. Auch hier erscheint der Sohn als Schöpfungsmittler, der alles in sich vereint, um sich dann selbst zusammen mit allem dem Vater zu unterwerfen, damit in Gott alles eins ist.
Der Hebräerbrief verwendet hier den Begriff "Erbe" in Bezug auf den Sohn, ein Gedanke, der auch später im Brief wiederkehren wird. Erbe meint immer den definitiven Übergang in die Verfügungsgewalt eines anderen. Durch den Sohn übergibt der Vater den Menschen die Erde ganz neu. Die neue Schöpfung, in der die ursprüngliche Gottebenbildlichkeit des Menschen wiederhergestellt wird, hebt mit Jesus Christus an. Er bewirkt die Reinigung von den Sünden, die Gottes Abbild im Menschen verd(r)eckt haben. Der Brief wird später in seiner Opfertheologie entfalten, wie Gott dies wirkt. Es konnte nur geschehen, weil der Sohn, das Vollkommene Abbild Gottes, sich in seiner Hingabe erniedrigt hat. Doch zugleich hat Gott ihn erhöht und so seine Erhabenheit offenbart.

Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens; er trägt das All durch sein machtvolles Wort, hat die Reinigung von den Sünden bewirkt und sich dann zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt; er ist umso viel erhabener geworden als die Engel, wie der Name, den er geerbt hat, ihren Namen überragt. (Hebr 1,3-4)

Die Lehre von den Engeln hat in der Geschichte immer wieder Höhen und Tiefen erfahren, manchmal werden sie als reine Phantasiegebilde abgetan, manchmal wird ihnen eine fundamentale Bedeutung zugeschrieben. Die Heilige Schrift berichtet immer wieder von Engeln. Der Glaube an die Existenz der Engel ist im Christentum fest verwurzelt. Sie sind Boten Gottes und Gesandte zum Schutz der Menschen.
In Gottes Heilsplan kommt ihnen eine dienende Funktion zu. Ein Engel verkündet Maria die Geburt ihres Sohnes, ein Engel steht am leeren Grab, Engel beschützen die Verkünder des Wortes Gottes. Aber das Heilsgeschehen wirkt Gott selbst in seinem Sohn. Jesus Christus ist Gott und von daher unterscheidet er sich fundamental von den Engeln.
Genauso wie es eine Irrlehre ist, die Existenz von Engeln zu leugnen, so ist es auch eine Irrlehre, die Bedeutung der Engel zu überhöhen. Möglicherweise will der Hebräerbrief gegen solche Tendenzen angehen. Gottes Sohn ist erhabener als die Engel. In der Heilsgeschichte geht es nicht um die Engel, sondern um das Heil der Menschen, das Gott selbst wirkt in seinem Sohn. Das untermauert der Autor des Briefes im folgenden Abschnitt durch Zitate aus der Heiligen Schrift.

Denn zu welchem Engel hat er jemals gesagt: Mein Sohn bist du, ich habe dich heute gezeugt, und weiter: Ich will für ihn Vater sein und er wird für mich Sohn sein? Wenn er aber den Erstgeborenen wieder in die Welt einführt, sagt er: Alle Engel Gottes sollen sich vor ihm niederwerfen. Und von den Engeln sagt er: Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen; zum Sohn aber: Dein Thron, o Gott, steht für immer und ewig, und: Das Zepter deiner Herrschaft ist ein gerechtes Zepter. Du liebst das Recht und hasst das Unrecht, darum, o Gott, hat dein Gott dich gesalbt mit dem Öl der Freude wie keinen deiner Gefährten. Und: Du, Herr, hast vorzeiten der Erde Grund gelegt, die Himmel sind das Werk deiner Hände. Sie werden vergehen, du aber bleibst; sie alle veralten wie ein Gewand; du rollst sie zusammen wie einen Mantel und wie ein Gewand werden sie gewechselt. Du aber bleibst, der du bist, und deine Jahre enden nie. Zu welchem Engel hat er jemals gesagt: Setze dich mir zur Rechten und ich lege dir deine Feinde als Schemel unter die Füße? Sind sie nicht alle nur dienende Geister, ausgesandt, um denen zu helfen, die das Heil erben sollen? (Hebr 1,5-14)