Galater 1,3-2,21

Paulus ist Apostel

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Paulus
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus, der sich für unsere Sünden hingegeben hat, um uns aus der gegenwärtigen bösen Welt zu befreien, nach dem Willen unseres Gottes und Vaters. Ihm sei Ehre in alle Ewigkeit. Amen. (Gal 1,3-5)

Paulus beginnt den Brief mit einem kurzen Friedensgruß, jedoch ohne den sonst üblichen Dank für die Gemeinde. Angesichts der dramatischen Zustände in Galatien kann Paulus keinen Dank sagen, sondern geht augenblicklich zu einer deutlichen Ermahnung über.

Ich bin erstaunt, dass ihr euch so schnell von dem abwendet, der euch durch die Gnade Christi berufen hat, und dass ihr euch einem anderen Evangelium zuwendet. Doch es gibt kein anderes Evangelium, es gibt nur einige Leute, die euch verwirren und die das Evangelium Christi verfälschen wollen. Wer euch aber ein anderes Evangelium verkündigt, als wir euch verkündigt haben, der sei verflucht, auch wenn wir selbst es wären oder ein Engel vom Himmel. Was ich gesagt habe, das sage ich noch einmal: Wer euch ein anderes Evangelium verkündigt, als ihr angenommen habt, der sei verflucht. (Gal 1,6-9)

Paulus macht deutlich, dass das Heil allein durch Jesus Christus kommt. Er hat sich hingegeben, um die Menschen zu retten. Das ist das Evangelium des Paulus, ja das einzig wahre Evangelium. Wer etwas anderes lehrt, selbst wenn es Paulus selbst wäre oder ein Engel vom Himmel, der soll verflucht sein. Wie könnte man die Verurteilung der Gegner deutlicher aussprechen, als Paulus es hier tut. Aber er muss so drastisch reagieren, denn es geht um alles, um Leben und Tod.
Dass es Paulus wirklich um das Heil der Menschen geht und nicht darum, selbst groß heraus zu kommen, macht er im folgenden Abschnitt deutlich.

Geht es mir denn um die Zustimmung der Menschen, oder geht es mir um Gott? Suche ich etwa Menschen zu gefallen? Wollte ich noch den Menschen gefallen, dann wäre ich kein Knecht Christi. Ich erkläre euch, Brüder: Das Evangelium, das ich verkündigt habe, stammt nicht von Menschen; ich habe es ja nicht von einem Menschen übernommen oder gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi empfangen. (Gal 1,10-12)

Das Missionswerk des Paulus in Galatien ist in seinem Kern bedroht durch Prediger, die von den heidnischen Galatern die Beschneidung und damit auch die Einhaltung der jüdischen Reinheitsvorschriften fordern. Paulus sieht sich als Apostel der Heiden, der die Kirche Christi unter den Heiden aufbaut, die zwar auf dem Fundament des Alten Bundes steht, aber nicht mehr an den alten Riten festhält. Das Christentum ist keine jüdische Sekte, sondern eine neue Religion.
Die Gegner des Paulus berufen sich darauf, nach der Lehre der Apostel zu handeln. Für sie ist Paulus kein richtiger Apostel, da er erst nach der Auferstehung Jesu zum Glauben gekommen ist. Daher erkennen sie seine Lehre nicht an. Sicher konnten sie auch viele andere mit ihren Argumenten überzeugen, denn auf den ersten Blick betrachtet sind die Apostel, die Jesus selbst berufen hat und die mit Jesus beisammen waren, bedeutender als Paulus, der Jesus nicht wirklich erlebt hat.
Daher ist es Paulus so wichtig zu betonen, dass er Jesus Christus gesehen hat. Der Auferstandene ist auch ihm erschienen und hat ihm den Auftrag zur Verkündigung des Evangeliums unter den Heiden anvertraut. Wie die anderen Apostel von Jesus zu seinen Lebzeiten gelernt haben, so hat Paulus von ihm durch eine Offenbarung gelernt. Paulus hat es daher nicht nötig, erst bei den anderen Aposteln in die Lehre zu gehen. Bevor er dies näher ausführt, zeigt er, wie die Offenbarung Christi sein eigenes Leben grundlegend verändert hat.

Ihr habt doch gehört, wie ich früher als gesetzestreuer Jude gelebt habe, und wisst, wie maßlos ich die Kirche Gottes verfolgte und zu vernichten suchte. In der Treue zum jüdischen Gesetz übertraf ich die meisten Altersgenossen in meinem Volk und mit dem größten Eifer setzte ich mich für die Überlieferungen meiner Väter ein. (Gal 1,13-14)

Paulus war vor seiner Bekehrung ein gesetzestreuer Jude, der in seiner Befolgung des jüdischen Gesetzes vorbildlich war und in seinem Eifer die meisten seiner Zeitgenossen übertraf. In diesem Eifer wollte er auch das Christentum, in dem er zunächst eine jüdische Sekte sah, die den Glauben der Väter verfälschte, im Keim ersticken. Alle Welt hat seiner Meinung nach davon gehört. Bis ins ferne Galatien ist der Ruf von ihm gedrungen. Dann aber ist etwas geschehen, das sein Leben und auch seine Überzeugungen grundlegend geändert hat. Er erkannte, dass dieser Christus, dessen Anhänger er verfolgte, wirklich der Sohn des Vaters war, des Gottes, für den er so eifernd kämpfte und dass Gott der Welt durch ihn eine neue Offenbarung geschenkt hat.

Als aber Gott, der mich schon im Mutterleib auserwählt und durch seine Gnade berufen hat, mir in seiner Güte seinen Sohn offenbarte, damit ich ihn unter den Heiden verkündige, da zog ich keinen Menschen zu Rate; ich ging auch nicht sogleich nach Jerusalem hinauf zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern zog nach Arabien und kehrte dann wieder nach Damaskus zurück. (Gal 1,15-17)

Paulus weiß sich von Gott berufen, und das schon von Mutterleib an. Er stellt sich damit auf eine Stufe mit den Propheten und großen Gestalten des Alten Bundes. Oft gibt es über diese einen Bericht davon, dass schon bei ihrer Empfängnis und Geburt durch besondere Zeichen deren Erwählung deutlich wurde. So hören wir es ja auch im Lukasevangelium von Johannes dem Täufer. Oft sind es stilisierte Erzählungen, die einem gewissen Schema folgen, und somit zwar erbaulich sind, uns aber historisch als wertlos erscheinen. Von Paulus gibt es keinen Kindheitsbericht in der Heiligen Schrift. Wir lernen ihn nur als erwachsenen Mann kennen. Und doch gilt auch für ihn, dass seine Erwählung durch Gott bereits im Mutterschoß erfolgt ist.
Weil Paulus seine Offenbarung direkt von Gott erhalten hat, braucht er nicht erst zu Menschen in die Lehre zu gehen, bevor er selbst lehrt, auch nicht zu den Aposteln in Jerusalem. Die Offenbarung Gottes hat ihn in den gleichen Stand versetzt wie diese. Es ist daher nicht ein Zeichen von Überheblichkeit, dass er nicht zu den Aposteln geht, sondern Gottes Wille. Wenn er sich erst die Unterweisung und den Auftrag der Apostel für seine Verkündigung einholen müsste, würde er Gottes Auftrag nicht treu erfüllen.

Es ist ihm nur an dem sicheren Bestand des Evangeliums gelegen. Da nämlich die Kirchenfeinde behaupteten, man müsse es mit jenen Aposteln halten, welche die besagten Gebräuche zuließen, und nicht mit Paulus, der sie verbiete, und so nach und nach der jüdische Irrtum eingeschmuggelt wurde, sieht er sich gezwungen, dagegen entschieden Stellung zu nehmen. Also nicht die Apostel schmähen wollte er, sondern die Torheit jener ersticken, die aus unlauteren Beweggründen sich selbst verherrlichten. Deswegen schreibt er: "Ich hielt mich nicht an Fleisch und Blut (ich zog keinen Menschen zu Rate)." Es wäre ja der höchste Grad von Ungereimtheit gewesen, wenn er, Gottes Schüler, sich noch an Menschen gewandt hätte. Wer von Menschen gelernt hat, zieht billigerweise wiederum Menschen zu Rate, wer aber jemals göttlichen und beseligenden Rufes gewürdigt und von dem, der die Schätze der Weisheit besitzt, in alle Wissenschaft eingeführt wurde, warum sollte der sich hinterher noch mit Menschen abgeben? Einem solchen ziemt es, die Leute zu lehren, nicht aber von ihnen zu lernen. Also nicht aus Dünkelhaftigkeit führt der Apostel diese Sprache, sondern um die Bedeutung seines eigenen Predigtamtes deutlich zu machen. (Johannes Chrysostomus)
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Petrus und Paulus
Drei Jahre später ging ich nach Jerusalem hinauf, um Kephas kennen zu lernen, und blieb fünfzehn Tage bei ihm. Von den anderen Aposteln habe ich keinen gesehen, nur Jakobus, den Bruder des Herrn. (Gal 1,18-19)

Schließlich ist Paulus doch nach Jerusalem gegangen, aber erst nach drei Jahren, nachdem er in Arabien das Evangelium verkündet hat. Von dieser Missionstätigkeit des Paulus erfahren wir leider nichts Weiteres und auch in seinen Briefen geht es nicht mehr darauf ein. Seine Reise nach Jerusalem hatte allein den Zweck, Petrus den Fels (Kephas) kennenzulernen. Nicht, um von ihm zu lernen oder sich von ihm die oberhirtliche Bestätigung für seine Missionstätigkeit einzuholen, sondern allein aus Respekt und Freundschaft dem Petrus gegenüber ist Paulus nach Jerusalem gegangen. Er hat sonst keinen anderen der Apostel kennengelernt, außer Jakobus, den Bruder des Herrn, der damals wohl die Leitung der Jerusalemer Gemeinde innehatte.

Kann es noch eine demütigere Seele geben? Nach so vielen und so herrlichen Werken, die er vollbracht hat, und obwohl er weder Petrus noch dessen Lehre nötig hatte, ihm vielmehr im Rang gleich stand, geht er gleichwohl wie zu einem an Rang und Alter Höherstehenden hinauf; ja die Absicht, Petrus kennenzulernen, bildet den alleinigen Grund für seine Reise. ... Nicht zu seinem eigenen Nutzen geht er dorthin, sondern nur, weil er Petrus sehen und durch seinen Besuch ehren wollte. Er schreibt: "um Petrus kennenzulernen"; nicht: um Petrus zu sehen, sondern: um ihn kennenzulernen, gerade wie jene sich auszudrücken pflegen, die große und berühmte Städte durchforschen wollen. ... Der Umstand, dass er seinetwegen hinreiste, bekundet seine große Verehrung; dass er aber so lange blieb, seine Freundschaft und zärtliche Liebe. (Johannes Chrysostomus)

Wir dürfen also aus dieser Stelle keinen Konflikt zwischen Paulus und Petrus herauslesen. Wenn auch in Gal 2,11 und anderen Stellen der Heiligen Schrift von einer Auseinandersetzung zwischen Petrus und Paulus die Rede ist, so handelt es sich dabei nur um die Klärung strittiger Punkte und nicht um eine grundsätzliche Differenz oder gar Feindschaft. Petrus war mit seinem Verhalten und seiner Lehre noch tiefer im Judentum verwurzelt als Paulus. Dem Fischer vom See Gennesaret ist es schwerer gefallen, seine von Kindheit an gelernte religiöse Praxis aufzugeben als dem gebildeten und weitgereisten Paulus.
Weil Petrus seine Verwurzelung im Judentum deutlich machte, konnten sich die Gegner des Paulus, die von den Heiden die Übernahme eben jener Bräuche forderten, auf ihn, den ersten der Apostel, berufen. Daher muss Paulus so deutlich machen, dass er selbst Petrus in nichts nachsteht und mit ihm in gegenseitigem Einvernehmen, ja sogar Freundschaft verbunden ist. Es ist ja auch tatsächlich so, dass sich die Apostel darauf geeinigt haben, von den Heidenchristen weder die Beschneidung noch die Einhaltung der jüdischen Reinheitsvorschriften einzufordern.
Vielleicht können wir hier Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus als Vergleich nehmen. Für Papst Benedikt XVI. sind die traditionellen Riten der katholischen Kirche besonders wichtig. Unter seinem Pontifikat kam es zu einer Stärkung traditioneller Gottesdienstformen. Papst Franziskus setzt andere Akzente. Und doch stehen beide fest auf dem Fundament des katholischen Glaubens. Jeder der beiden hat verschiedene Gruppen, die ihn besonders verehren, aber doch genießen beide als Papst das gleiche Ansehen. Ähnlich mag es auch mit Petrus und Paulus gewesen sein. Während Petrus mehr die Judenchristen angesprochen hat, war diesen Paulus stets verdächtig. Und doch sind beide von Christus berufen und stehen fest im Glauben an den Herrn. Die Kirche hat dies in ihrer Tradition auch immer betont, da sie die beiden Apostel am gleichen Tag (29.6.) gemeinsam feiert.

Sieh, um wieviel inniger er Petrus liebt! Denn seinetwegen ging er hin und blieb bei ihm. Ich betone dies immer wieder und will es beachtet wissen, damit keiner von euch den Apostel verdächtige wegen jener Rede, die er scheinbar gegen Petrus gehalten hat. Er möchte diesen Punkt schon im Voraus ins rechte Licht stellen und bringt ihn darum selbst zur Sprache, damit, wenn er später berichtet: "Ich widerstand dem Petrus", niemand hinter diesen Worten Zwietracht und Feindschaft wittere. Denn er hält den Apostel in Ehren und liebt ihn über alles. Keinem andern Apostel, so versichert er, galt seine Reise als ihm allein. (Johannes Chrysostomus)
Was ich euch hier schreibe - Gott weiß, dass ich nicht lüge. Danach ging ich in das Gebiet von Syrien und Zilizien. Den Gemeinden Christi in Judäa aber blieb ich persönlich unbekannt, sie hörten nur: Er, der uns einst verfolgte, verkündigt jetzt den Glauben, den er früher vernichten wollte. Und sie lobten Gott um meinetwillen. (Gal 1,20-24)

Nach seinem Besuch in Jerusalem zieht Paulus weiter und missioniert in Syrien und Zilizien. Mit den Gemeinden in Judäa hatte er aber nichts zu tun. Diese gehörten zum Missionsfeld des Petrus und der anderen Apostel. Hier mischt sich Paulus nicht ein. Doch sein Ruf als Missionar dringt bis zu ihnen und sie freuen sich darüber, dass durch ihn Jesus Christus in der Welt bekannt gemacht wird. Dafür loben und danken sie Gott.

Vierzehn Jahre später ging ich wieder nach Jerusalem hinauf, zusammen mit Barnabas; ich nahm auch Titus mit. Ich ging hinauf aufgrund einer Offenbarung, legte der Gemeinde und im besonderen den «Angesehenen» das Evangelium vor, das ich unter den Heiden verkündige; ich wollte sicher sein, dass ich nicht vergeblich laufe oder gelaufen bin. Doch nicht einmal mein Begleiter Titus, der Grieche ist, wurde gezwungen, sich beschneiden zu lassen. Denn was die falschen Brüder betrifft, jene Eindringlinge, die sich eingeschlichen hatten, um die Freiheit, die wir in Christus Jesus haben, argwöhnisch zu beobachten und uns zu Sklaven zu machen, so haben wir uns keinen Augenblick unterworfen; wir haben ihnen nicht nachgegeben, damit euch die Wahrheit des Evangeliums erhalten bleibe. Aber auch von denen, die Ansehen genießen - was sie früher waren, kümmert mich nicht, Gott schaut nicht auf die Person -, auch von den «Angesehenen» wurde mir nichts auferlegt. Im Gegenteil, sie sahen, dass mir das Evangelium für die Unbeschnittenen anvertraut ist wie dem Petrus für die Beschnittenen - denn Gott, der Petrus die Kraft zum Aposteldienst unter den Beschnittenen gegeben hat, gab sie mir zum Dienst unter den Heiden - und sie erkannten die Gnade, die mir verliehen ist. Deshalb gaben Jakobus, Kephas und Johannes, die als die «Säulen» Ansehen genießen, mir und Barnabas die Hand zum Zeichen der Gemeinschaft: Wir sollten zu den Heiden gehen, sie zu den Beschnittenen. Nur sollten wir an ihre Armen denken; und das zu tun, habe ich mich eifrig bemüht. (Gal 2,1-10)

Paulus spricht hier vom sogenannten Apostelkonzil, von dem wir auch im 15. Kapitel der Apostelgeschichte hören. Paulus reist erneut nach Jerusalem. Auch diesmal geschieht es nicht aus menschlicher Veranlassung, sondern aufgrund einer Offenbarung Gottes. Paulus wird nicht etwa von den anderen Aposteln nach Jerusalem zitiert, um sich dort wegen seiner Lehre zu rechtfertigen, sondern Gott ruft die Apostel zusammen, damit sie gemeinsam Entscheidungen den Glauben betreffend fällen.
Paulus legt sein Evangelium der Gemeinde vor. Er betont dabei vor allem die Angesehenen. Das sind die Vertreter der Gemeinde von Jerusalem, auf die die Gegner der Paulus sich berufen. Die Lehre des Paulus, dabei vor allem seine Auffassung, dass die Heidenchristen nicht beschnitten werden müssen, stößt auf keinerlei Widerstände. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass der heidenchristliche Begleiter des Paulus, Titus, nicht dazu gezwungen wird, sich beschneiden zu lassen.
Paulus sieht sich also im Recht gegenüber seinen Feinden und das gibt ihm sogleich die Veranlassung zu einem weiteren Seitenhieb gegen seine Widersacher. Ihnen geht es allein darum, die Gläubigen ihrer Freiheit zu berauben und sie zu Sklaven zu machen. Was das bedeutet, wird Paulus im weiteren Verlauf des Schreibens noch näher erläutern.
Wir erfahren hier, dass Jakobus, Petrus und Johannes eine herausragende Stellung in der Gemeinde einnehmen und in Jerusalem besonderes Ansehen genießen. Bei der Person des Jakobus handelt es sich nicht und den in den Evangelien genannten Bruder des Johannes, der nach Apg 12 zu diesem Zeitpunkt bereits das Martyrium erlitten hatte, sondern um den Herrenbruder Jakobus, der die Leitung der Jerusalemer Gemeinde innehatte.
Wichtig ist, dass es zu einer Aufgabenteilung kommt. Jakobus, Petrus und Johannes sehen sich als Apostel der Judenchristen, während Paulus und seinen Begleitern die Heidenmission anvertraut wird. Es gibt also ganz klar zwei verschiedene Wege der Mission, die sich auch in gewissen Inhalten der Verkündigung unterscheiden. Ein Hauptunterschied wird dabei der Stellenwert des jüdischen Gesetzes gewesen sein. Für Judenchristen haben seine Vorschriften weiterhin Gültigkeit, während die Heidenchristen nicht verpflichtet sind, diese zu übernehmen. Beide Wege sind legitim. Die Gegner des Paulus versuchen aber, einen Weg, eben den judenchristlichen, als alleinigen Weg durchzusetzen. Damit stehen sie klar im Widerspruch zur Entscheidung der Apostel und damit der ganzen Kirche, die beide Wege im jeweiligen Missionsbereich akzeptiert.
Paulus wurde besonders dazu aufgefordert, die Gemeinde in Jerusalem finanziell zu unterstützen. Dieser Auftrag lässt uns die eindringliche Aufforderung des Paulus an seine Gemeinden zur Kollekte für Jerusalem, wie sie besonders in den Kapiteln 8 und 9 des Zweiten Korintherbriefes zum Ausdruck kommt, besser verstehen. Paulus hat diesen Auftrag sehr ernst genommen und seine letzte Reise nach Jerusalem, bei der es zu seiner Verhaftung kam, hatte wohl auch den Zweck, eben jene Spende zu überbringen.

Als Kephas aber nach Antiochia gekommen war, bin ich ihm offen entgegengetreten, weil er sich ins Unrecht gesetzt hatte. Bevor nämlich Leute aus dem Kreis um Jakobus eintrafen, pflegte er zusammen mit den Heiden zu essen. Nach ihrer Ankunft aber zog er sich von den Heiden zurück und trennte sich von ihnen, weil er die Beschnittenen fürchtete. Ebenso unaufrichtig wie er verhielten sich die anderen Juden, sodass auch Barnabas durch ihre Heuchelei verführt wurde. (Gal 2,11-13)

In der Schilderung des sogenannten Antiochenischen Zwischenfalls wird deutlich, dass selbst unter den Aposteln die Umsetzung der Jerusalemer Beschlüsse nicht einfach war. Überall werden die Judenchristen empört darüber gewesen sein, dass die Beschneidung von den Heidenchristen nicht gefordert wurde. Auf den Missionsreisen sind es ja oft die Juden, die Paulus vor Gericht bringen, eben wegen dieser das Gesetz betreffenden Streitfragen.
Hier knickt auch Petrus gegenüber den Judenchristen ein. Wahrscheinlich war Petrus mehr auf Seiten des Paulus, wofür wir in Apg 11 einen Beleg finden können, wohingegen Jakobus noch stärker mit den Judenchristen verbunden blieb. Es gab also schon in der frühen Kirche Spannungen. Kirche bedeutet nicht, dass alle der gleichen Meinung sind. Solange das Fundament, der Glaube an Jesus Christus den Sohn Gottes, nicht in Frage gestellt wird, kann es durchaus strittige Themen geben.
Paulus scheut sich nicht, Petrus hier heftig entgegen zu treten. Man diskutiert miteinander und schimpft nicht übereinander. Paulus trägt hier Petrus nichts nach. Der Konflikt wurde ausgetragen, Paulus hat dem Petrus deutlich seine Meinung gesagt. Es kam zu keiner Spaltung. Petrus und Paulus sehen sich weiter als Brüder im Glauben. Aber doch nutzen die judenchristlichen Gegner des Paulus diese Situation, um sie gegen Paulus zu gebrauchen.
Zu allen Zeiten tappen Gläubige immer wieder in diese Frömmigkeitsfalle. Eine bestimmte Gruppe greift ein bestimmtes Thema der Glaubenslehre heraus, das nicht den Kern des Glaubens betrifft, macht aber eine strenge Befolgung dieser Lehre zur Richtschnur einer nach ihrer Sicht wahren Frömmigkeit. Dadurch werden viele verunsichert und meinen, wenn sie es dieser Gruppe nicht gleichtun, sind sie keine frommen Christen. Die Kirche aber zeichnet sich gerade durch ihre Vielfalt aus. Es gibt verschiedene Arten der Frömmigkeit. Es gibt verschiedene Wege, wie Menschen zu Jesus Christus finden. Man darf froh darüber sein, wenn man eine Frömmigkeitsform gefunden hat, in der man wirklich seinen Glauben leben kann. Aber man darf nicht erwarten, dass diese Form auch alle anderen anspricht. Man darf andere zu diesem Weg einladen, er ist sicher für viele andere auch interessant, aber es gibt auch andere Wege, die für andere genau die gleiche Bedeutung haben.

Als ich aber sah, dass sie von der Wahrheit des Evangeliums abwichen, sagte ich zu Kephas in Gegenwart aller: Wenn du als Jude nach Art der Heiden und nicht nach Art der Juden lebst, wie kannst du dann die Heiden zwingen, wie Juden zu leben? Wir sind zwar von Geburt Juden und nicht Sünder wie die Heiden. Weil wir aber erkannt haben, dass der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir dazu gekommen, an Christus Jesus zu glauben, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird niemand gerecht. (Gal 2,14-16)

Was bedeutet der Glaube an Jesus Christus? Er bedeutet in jedem Fall eine totale Umwendung des bisherigen Lebens. Wer Jesus Christus begegnet ist, der kann nicht mehr weiterleben wie bisher. Er erfährt, dass er durch all sein Mühen und Streben nicht zum Ziel gelangen kann, sondern nur dann, wenn er sich ganz von Gott beschenken lässt. Mehr noch: Das Gesetz bringt Tote hervor. Der Glaube an Jesus Christus aber schenkt neues Leben.

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Galater
Wenn nun auch wir, die wir in Christus gerecht zu werden suchen, als Sünder gelten, ist dann Christus etwa Diener der Sünde? Das ist unmöglich! Wenn ich allerdings das, was ich niedergerissen habe, wieder aufbaue, dann stelle ich mich selbst als Übertreter hin.
Ich aber bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich für Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat. Ich missachte die Gnade Gottes in keiner Weise; denn käme die Gerechtigkeit durch das Gesetz, so wäre Christus vergeblich gestorben. (Gal 2,17-21)

Paulus will den Galatern deutlich machen, welche Freiheit ihnen der Glaube an Jesus Christus schenkt. Er will ihnen zeigen, wie der Glaube an Jesus Christus Leben bedeutet, die Übernahme des Gesetzes aber, die seine Gegner von den Galatern verlangen, den Tod.
Das Gesetz stellt eine unmögliche Anforderung an den Menschen. Es verlangt, genau dies und jenes zu tun und genau dies und jenes zu unterlassen. Es regelt das menschliche Leben bis ins kleinste Detail. Wer vollkommen nach dem Gesetz handelt, der ist gerecht vor Gott. Der Mensch kann sich durch das Gesetz also selbst vor Gott rechtfertigen, wenn er es bis ins kleinste Detail einhält. Aber, und das wissen auch die frommen Juden, kein Mensch kann das Gesetz bis ins kleinste Detail befolgen. Daher ist kein Mensch gerecht vor Gott, jeder ist ein Sünder und daher dem Tod geweiht, denn der Tod ist die Folge der Sünde, die aus der Übertretung des Gesetzes folgt.

Das Gesetz befiehlt nämlich, alle Vorschriften zu beobachten, und bestraft den Ungehorsam. Folglich sind wir ihm alle abgestorben, da keiner es ganz erfüllt hat. - Beachte auch hier die Zurückhaltung, mit der er gegen das Gesetz ankämpft! Er sagt nicht: das Gesetz ist mir gestorben, sondern: ich bin dem Gesetze gestorben. Der Sinn seiner Worte ist der: Wie ein Toter, ein Leichnam nicht imstande ist, auf die Vorschriften des Gesetzes zu hören, ebenso wenig bin ich es, der ich durch den Fluch desselben gestorben bin. Denn durch seinen Ausspruch bin ich dem Tode verfallen. (Johannes Chrysostomus)

Gott aber befreit die Menschen von dieser Gefangenschaft des Todes. Jesus Christus, der Sohn Gottes, hat selbst hat die Verurteilung des Gesetzes auf sich genommen und ist für alle in den Tod gegangen. Das Gesetz Gottes hat somit Gott selbst getötet. Doch dadurch, dass der Vater den Sohn von den Toten auferweckt, schenkt Gott neues Leben allen, die mit Christus in den Tod gehen. Die Taufe ist dieser Tod, aus dem jeder, der sich taufen lässt, als neuer Mensch hervor geht. In der Taufe erhält der Mensch Anteil an diesem neuen Leben, das Gott schenkt.

Durch die Worte: "mit Christus bin ich gekreuzigt worden", spielt er an die Taufe an, durch die Worte aber: "doch nicht mehr ich lebe" auf den darauffolgenden Lebenswandel, der unsere Glieder abtötet. Was aber besagt der Zusatz: "Christus lebt in mir?" Er will sagen: Nichts geschieht meinerseits gegen Christi Willen. Wie er nämlich unter Tod nicht den gewöhnlichen Tod versteht, sondern den der Sünde, so versteht er auch unter Leben die Befreiung von derselben. Gott leben kann nur, wer der Sünde abgestorben ist. (Johannes Chrysostomus)

Das neue Leben, das Gott in der Taufe schenkt, ist für jeden Gabe und Aufgabe zugleich, Gabe, weil Gott es umsonst gibt, Aufgabe aber, weil jeder Mensch die ihm verliehene Gabe Wirklichkeit werden lassen muss. Jeder Getaufte ist dazu berufen, eine lebendige Ikone Jesu Christi zu sein und sich damit des neuen Lebens würdig zu erweisen, das Gott schenkt. In diesem neuen Leben aber spielt das alte Gesetz keine Rolle mehr. Gleichwohl aber gibt es auch für Christen Gebote, an die sie sich zu halten haben.
Wahrscheinlich ist das neue Leben aus dem Glauben sogar anspruchsvoller als das Leben nach dem Gesetz. Denn das Gesetzt machte klare Vorschriften. Stellt man aber das ganze Leben unter das Gebot der Liebe - und zwar auch der Liebe zu den Feinden - so wird weit mehr von uns verlangt, als es das Gesetz tut. Aber wir brauchen dabei nicht zu verzagen, denn nun ist es Christus, der durch uns handelt und uns Kraft gibt zu unserem Tun.
Nun wartet nicht mehr der Tod auf uns, weil wir es ja nicht schaffen, das Gesetz zu erfüllen. Gott weiß um unser Versagen. Nun warten Gottes liebende Hände auf uns, die uns immer wieder aufrichten, wenn wir fallen, und ihm unsere Hände entgegenstrecken, damit er uns aufhilft.

Christus, lebe du in mir.
Unterwirf mein Leben den Gesetzen deines Lebens.
Mach mein Leben deinem Leben gleich.
Lebe du in mir, bete du in mir, leide du in mir.
Mehr verlange ich nicht.
Denn wenn ich dich habe, bin ich reich.
Wer dich gefunden hat, hat die Kraft und den Sieg seines Lebens gefunden.
(Gebet nach Karl Rahner)