Apostelgesch. 21,15-23,35

Paulus in Jerusalem

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Nach diesen Tagen bereiteten wir uns zur Reise vor und zogen hinauf nach Jerusalem. Auch einige Jünger aus Cäsarea begleiteten uns und brachten uns zu einem gewissen Mnason aus Zypern, bei dem wir wohnen sollten; er war ein Jünger aus der Anfangszeit.
Als wir nach Jerusalem kamen, wurden wir von den Brüdern freudig empfangen. Am folgenden Tag ging Paulus mit uns zu Jakobus; auch alle Ältesten fanden sich ein. Er begrüßte sie und berichtete im Einzelnen alles, was Gott durch seinen Dienst unter den Heiden getan hatte.
Als sie das hörten, priesen sie Gott und sagten zu ihm: Du siehst, Bruder, wie viele Tausende unter den Juden gläubig geworden sind, und sie alle sind Eiferer für das Gesetz. Nun hat man ihnen von dir erzählt: Du lehrst alle unter den Heiden lebenden Juden, von Mose abzufallen, und forderst sie auf, ihre Kinder nicht zu beschneiden und sich nicht an die Bräuche zu halten. Was nun? Sicher werden sie hören, dass du gekommen bist. Tu also, was wir dir sagen: Bei uns sind vier Männer, die ein Gelübde auf sich genommen haben. Nimm sie mit und weihe dich zusammen mit ihnen; trag die Kosten für sie, damit sie sich das Haar abscheren lassen können! So wird jeder einsehen, dass an dem, was man von dir erzählt hat, nichts ist, sondern dass auch du das Gesetz genau beachtest. Über die gläubig gewordenen Heiden aber haben wir ja einen Beschluss gefasst und ihnen geschrieben, sie sollten sich vor Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktem und Unzucht hüten. Da nahm Paulus die Männer mit und weihte sich am nächsten Tag zusammen mit ihnen, ging dann in den Tempel und meldete das Ende der Weihetage an, damit für jeden von ihnen das Opfer dargebracht werde.
Als die sieben Tage zu Ende gingen, sahen ihn die Juden aus der Provinz Asien im Tempel. Sie brachten das ganze Volk in Aufruhr, ergriffen ihn und schrien: Israeliten! Kommt zu Hilfe! Das ist der Mensch, der in aller Welt Lehren verbreitet, die sich gegen das Volk und das Gesetz und gegen diesen Ort richten; er hat sogar Griechen in den Tempel mitgenommen und diesen heiligen Ort entweiht. Sie hatten nämlich kurz zuvor den Epheser Trophimus mit ihm zusammen in der Stadt gesehen und meinten, Paulus habe ihn in den Tempel mitgenommen.
Da geriet die ganze Stadt in Aufregung und es gab einen Volksauflauf. Sie ergriffen Paulus und zerrten ihn aus dem Tempel und sofort wurden die Tore geschlossen. Schon wollten sie ihn umbringen, da brachte man dem Obersten der Kohorte die Meldung hinauf: Ganz Jerusalem ist in Aufruhr! Da nahm er sogleich Soldaten und Hauptleute hinzu und eilte zu ihnen hinunter. Als sie den Obersten und die Soldaten sahen, hörten sie auf, Paulus zu schlagen. Der Oberst trat hinzu, ergriff ihn, ließ ihn mit zwei Ketten fesseln und fragte, wer er sei und was er getan habe. In der Menge schrien die einen dies, die andern das. Da er wegen des Getümmels nichts Sicheres ermitteln konnte, befahl er, ihn in die Kaserne zu führen.
Als Paulus an die Freitreppe kam, mussten ihn die Soldaten wegen des Ansturms der Masse tragen. Denn die Volksmenge lief hinterher und schrie: Weg mit ihm! Als man Paulus in die Kaserne bringen wollte, sagte er zum Obersten: Darf ich ein Wort mit dir reden? Der antwortete: Du verstehst Griechisch? Dann bist du also nicht der Ägypter, der vor einiger Zeit einen Aufruhr angezettelt und die viertausend Sikarier in die Wüste hinausgeführt hat? Paulus antwortete: Ich bin ein Jude aus Tarsus in Kilikien, Bürger einer nicht unbedeutenden Stadt. Ich bitte dich, gestatte mir, zum Volk zu sprechen! Als der Oberst es erlaubte, stellte sich Paulus auf die Freitreppe und gab dem Volk mit der Hand ein Zeichen. Alles wurde still und er redete sie in hebräischer Sprache an. (Apg 21,15-40)

In den Kapiteln 13-21 berichtet Lukas in der Apostelgeschichte von den Missionsreisen des Apostels Paulus. Nach seiner dritten Reise kehrt Paulus nach Jerusalem zurück. Die Gründe dafür sind nicht ganz klar. Zum einen will Paulus sicher seine Verbundenheit zum jüdischen Glauben zum Ausdruck bringen, was ein weiterer Beleg dafür ist, dass Paulus sich nach seiner Bekehrung nicht vom Judentum abgewandt hat, sondern dieses im Licht Jesu Christi von einem anderen Blickwinkel her betrachtet. Weiterhin überbringt er eine Kollekte, die er in den von ihn gegründeten Gemeinden gesammelt hat. Damit will er die Verbindung seines Missionswerkes zu der Gemeinde von Jerusalem zum Ausdruck bringen.
Im Tempel von Jerusalem wird Paulus von Pilgern aus Kleinasien erkannt. Diese haben die Missionierung des Paulus in Kleinasien erlebt und gehören wahrscheinlich zu jenen, die seine Verkündigung bekämpft haben. Es entsteht ein Tumult, der die stets wachsamen römischen Truppen zum Eingreifen veranlasst. Geschickt überredet Paulus den Befehlshaber der Truppen und verschafft sich so die Gelegenheit, zu der versammelten Menschenmenge zu sprechen. In seiner Rede hebt er ganz besonders seine Verbundenheit zum jüdischen Glauben hervor, macht aber zugleich deutlich, dass er nach seiner Begegnung mit Jesus Christus diesen Glauben in einem ganz neuen Licht betrachtet.

Brüder und Väter! Hört jetzt, was ich euch zu meiner Verteidigung zu sagen habe. Als sie hörten, dass er in hebräischer Sprache zu ihnen redete, waren sie noch ruhiger. Und er sagte:
Ich bin ein Jude, geboren in Tarsus in Kilikien, hier in dieser Stadt erzogen, zu Füßen Gamaliëls genau nach dem Gesetz der Väter ausgebildet, ein Eiferer für Gott, wie ihr alle es heute seid. Ich habe diesen Weg bis auf den Tod verfolgt, habe Männer und Frauen gefesselt und in die Gefängnisse eingeliefert. Das bezeugen mir der Hohepriester und der ganze Rat der Ältesten. Von ihnen erhielt ich auch Briefe an die Brüder und begab mich nach Damaskus, um auch jene, die dort waren, zu fesseln und zur Bestrafung nach Jerusalem zu bringen. Als ich nun unterwegs war und mich Damaskus näherte, da geschah es, dass mich um die Mittagszeit plötzlich vom Himmel her ein helles Licht umstrahlte. Ich stürzte zu Boden und hörte eine Stimme zu mir sagen: Saul, Saul, warum verfolgst du mich? Ich antwortete: Wer bist du, Herr? Er sagte zu mir: Ich bin Jesus, der Nazoräer, den du verfolgst. Meine Begleiter sahen zwar das Licht, die Stimme dessen aber, der zu mir sprach, hörten sie nicht. Ich sagte: Herr, was soll ich tun? Der Herr antwortete: Steh auf und geh nach Damaskus, dort wird dir alles gesagt werden, was dir zu tun bestimmt ist. Da ich aber vom Glanz jenes Lichtes geblendet war, sodass ich nicht mehr sehen konnte, wurde ich von meinen Begleitern an der Hand geführt und gelangte so nach Damaskus. Ein gewisser Hananias, ein frommer Mann nach dem Gesetz, der bei allen Juden dort in gutem Ruf stand, kam zu mir, trat vor mich und sagte: Bruder Saul, du sollst wieder sehen! Und im gleichen Augenblick konnte ich ihn sehen. Er sagte: Der Gott unserer Väter hat dich dazu erwählt, seinen Willen zu erkennen, den Gerechten zu sehen und die Stimme seines Mundes zu hören; denn du wirst vor allen Menschen sein Zeuge sein für das, was du gesehen und gehört hast. Was zögerst du jetzt? Steh auf, lass dich taufen und deine Sünden abwaschen und rufe seinen Namen an!
Es geschah aber, als ich nach Jerusalem zurückgekehrt war und im Tempel betete, dass ich in eine Verzückung geriet. Und ich sah ihn, wie er zu mir sagte: Beeil dich, verlasse sofort Jerusalem; denn sie werden dein Zeugnis über mich nicht annehmen. Da sagte ich: Herr, sie wissen doch, dass ich es war, der jene, die an dich glauben, ins Gefängnis werfen und in den Synagogen auspeitschen ließ. Auch als das Blut deines Zeugen Stephanus vergossen wurde, stand ich dabei; ich stimmte zu und passte auf die Kleider derer auf, die ihn umbrachten. Aber er sagte zu mir: Brich auf, denn ich will dich in die Ferne zu den Heiden senden! (Apg 22,1-21)

Nach diesen Worten fängt die Menge, die bisher ruhig zugehört hat, erneut an zu toben. Der römische Oberst lässt Paulus zu seinem eigenen Schutz in Gewahrsam nehmen. Als er ihn aber auspeitschen lassen will, weist Paulus auf sein Römisches Bürgerrecht hin und appelliert an sein Recht auf einen Prozess vor dem Kaiser in Rom. Das verhindert eine Auslieferung an die jüdische Obrigkeit, die Paulus töten möchte, und entzieht ihn auch der lokalen Gerichtsbarkeit des römischen Statthalters. Paulus steht von nun an unter dem Schutz Roms.

Bis zu diesem Wort hörten sie ihm zu, dann fingen sie an zu schreien: Weg vom Erdboden mit so einem Menschen! Er darf nicht am Leben bleiben. Sie lärmten, zerrissen ihre Kleider und warfen Staub in die Luft. Da befahl der Oberst, ihn in die Kaserne zu führen, und ordnete an, ihn unter Geißelschlägen zu verhören. Auf diese Weise wollte er herausfinden, warum sie derart gegen ihn tobten.
Als sie ihn aber für die Geißelung festbanden, sagte Paulus zu dem Hauptmann, der dabeistand: Dürft ihr jemand, der das römische Bürgerrecht besitzt, geißeln, noch dazu ohne Verurteilung? Als der Hauptmann das hörte, ging er zum Obersten, meldete es und sagte: Was hast du vor? Der Mann ist Römer. Der Oberst kam zu Paulus und fragte ihn: Sag mir, bist du wirklich Römer? Er antwortete: Ja. Da antwortete der Oberst: Ich habe für dieses Bürgerrecht ein Vermögen gezahlt. Paulus sagte: Ich aber bin als Römer geboren.
Sofort ließen die, welche ihn verhören sollten, von ihm ab. Und der Oberst ängstigte sich, weil er bedachte, dass es ein Römer war und er ihn hatte fesseln lassen. Weil er genau wissen wollte, was die Juden ihm vorwarfen, ließ er ihn am nächsten Tag aus dem Gefängnis holen und befahl, die Hohepriester und der ganze Hohe Rat sollten sich versammeln. Und er ließ Paulus hinunterführen und ihnen gegenüberstellen. (Apg 22,22-30)