Psalm 133 (132)

Brüderliche Eintracht

1Ein Wallfahrtslied. Von David.
Siehe, wie gut und wie schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen.
2Es ist wie köstliches Salböl auf dem Haupt, das hinabfließt auf den Bart, den Bart des Aaron, das hinabfließt auf den Saum seines Gewandes.
3Es ist wie der Tau des Hermon, der niederfällt auf die Berge des Zion. Denn dorthin hat der Herr den Segen entboten, Leben bis in die Ewigkeit.
1[Canticum graduum David.] Ecce quam bonum et quam jucundum, * habitare fratres in unum!
2Sicut unguentum in capite, * quod descendit in barbam, barbam Aaron,
quod descendit in oram vestimenti ejus; * 3 sicut ros Hermon, qui descendit in montem Sion.
Quoniam illic mandavit Dominus benedictionem, * et vitam usque in saeculum.
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Psalmen
Ein Wallfahrtslied. Von David.
Siehe, wie gut und wie schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen. (Ps 133,1)

Der Psalm 133 ist ein sanfter Psalm, der auf den ersten Blick "runter geht wie Öl". Man riecht förmlich das duftende Salböl und spürt den erfrischenden Tau der Berge, die zum Bild werden für die gelebte Eintracht unter den Menschen, die der Beter preist.
Siehe, schau! Damit erregt er die Aufmerksamkeit und richtet den Blick auf etwas, das eigentlich nicht selbstverständlich ist. Sind nicht Streit und Zwietracht eher an der Tagesordnung als Frieden und Eintracht? Gerade deshalb tut dieser Hinweis sehr gut.
Psalm 133 gehört zu den Wallfahrtspsalmen und gerade aus der Situation der Wallfahrt heraus, finden wir zu seiner Deutung. Wallfahrer sind in Gruppen unterwegs. Noch heute erfahren wir, dass in solchen Pilgergruppen oft ein besonderes Gemeinschaftsgefühl entsteht. Man wächst zusammen, der gemeinsame Glaube, der gemeinsame Weg, das gemeinsame Ziel verbindet.
Das ganze Leben ist ein solcher Pilgerweg. Nicht nur in der besonderen Situation einer Wallfahrt, sondern auch in unserem Alltag können wir die Erfahrung machen, dass wir nicht alleine unterwegs sind im Leben. Vielen fällt es schwer, die passenden Menschen zu finden, mit denen sie das Gefühl wahrer Gemeinschaft verbindet, die nicht nur oberflächlich ist, sondern aus dem Herzen kommt. Es ist schön, Orte zu finden, an denen man sich angenommen fühlt, wo man sicher ankommen kann.
Die Kirche soll ein solcher Ort sein, an dem geschwisterliche Eintracht möglich ist. Seit alters her deuten die Kirchenväter diesen Vers auf die Klöster. Nur hier, so meinen sie, wird christliche Gemeinschaft wirklich gelebt. Doch sollte nicht jede Gemeinde ein solcher Ort der Eintracht sein? Kann nicht jeder im Kleinen für sich und andere solch liebevolle Gemeinschaft Wirklichkeit werden lassen? So wird dieser Vers zu einer Herausforderung an uns alle, in unserer Umgebung Räume tiefen Friedens und inniger Nähe zu ermöglichen.

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Psalmen
Es ist wie köstliches Salböl auf dem Haupt, das hinabfließt auf den Bart, den Bart des Aaron, das hinabfließt auf den Saum seines Gewandes. (Ps 133,2)

Das Zusammenleben der Menschen in geschwisterlicher Eintracht vergleicht der Psalmist mit kostbarem Salböl. Zur Zeit der Bibel war das Öl sehr wichtig. Es diente zur Reinigung und Kräftigung. Gelebte Gemeinschaft gibt Kraft. Sie bietet uns einen Ort, an dem wir ausruhen können, einen Ort, der uns fördert durch das gemeinsame Gespräch.

Denken wir hier auch wieder an die ursprüngliche Bedeutung des Psalms als Wallfahrtslied. Der Weg ist mühsam. Verschwitzt und verstaubt sind die Pilger unterwegs. Das Öl stärkt den Pilger auf seinem Weg, wäscht den Schmutz ab und lässt ihn duften. Salbung ist auch ein Zeichen der Erwählung. Der Pilger kommt dem Ziel, Christus ähnlich zu sein, näher.
Salböl steht als Symbol für die Verleihung göttlicher Kraft. Könige, Priester und Propheten werden gesalbt. Die Salbung ist auch ein wichtiger Bestandteil der Sakramentenspendung. Aaron ist der erste Priester des Alten Bundes. Aus seinem Geschlecht stammen die Priester Israels. Die Priester gelten als Vermittler göttlichen Segens an das Volk. So deuten die Kirchenväter das Salböl als den Segen Gottes, der vom Haupt Christus über die Kirche auf die Menschen herabkommt. Diesen Segen erwarten die Pilger am Ziel ihres Weges.

Dennoch erscheint das Auftreten Aarons an dieser Stelle etwas gekünstelt. Vielleicht haben fromme Dichter hier ein altes Bild, in dem es einfach nur um die brüderliche Eintracht ging, auf die Dimension des Kultischen hin erweitert. Aber auch einfache Menschen können in Frieden und Eintracht zusammenleben und so ein erfrischendes Bild davon geben, wie Gott die Gemeinschaft unter den Menschen gewollt hat.

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Psalmen
Es ist wie der Tau des Hermon, der niederfällt auf die Berge des Zion. Denn dorthin hat der Herr den Segen entboten, Leben bis in die Ewigkeit. (Ps 133,3)

Diese kultische Dimension erkennen wir auch im letzten Vers des Psalms und es haben sich zu allen Zeiten die Ausleger gefragt, wie der Tau des im Norden Israels gelegenen Hermon auf den Zionsberg niederfallen kann. Eine Erklärung besteht darin, dass hier ursprünglich von dem am Fuße des Hermon gelegenen Berg Ijjon die Rede war. Somit handelt es sich bei dem Psalm um ein Lied aus dem Nordreich Israel, dass nach dessen Zerstörung wie viele andere religiöse Texte in den Süden nach Jerusalem gerettet wurde, und dort von den Priestern am Tempel neu auf Jerusalem hin ausgerichtet wurde, der Stadt, von der aus ihrer Sicht allein der Segen Gottes ausgeht.

Wieder kann uns die Deutung von der Wallfahrt her ein tieferes Verständnis der Stelle liefern. Wir können uns vorstellen, wie die Pilger erschöpft durch die Hitze des Heiligen Landes ziehen. In der Ferne sehen sie den schneebedeckten Hermon. Sie denken an den erfrischenden Tau, der von seinen kühlen Höhen die sengende Hitze der Ebene mildern kann. Doch nicht der Hermon ist das Ziel der Pilger, sondern der Berg Zion, die Stadt Jerusalem, in der Gottes Tempel steht. Wie vom Hermon erfrischender Tau herab kommt, so kommt vom Zion göttlicher Segen auf das ganze Volk.
Auch wenn Gottes Nähe überall erfahrbar ist, gibt es doch besondere Orte, an denen seine Kraft intensiver spürbar werden kann. Wir kennen solche Wallfahrtsorte, die meist an den Gräbern bedeutender Heiliger errichtet wurden. Von Menschen, die in ganz besonderer Weise in der Nähe Gottes gelebt haben, wird Gottes Kraft und Segen an andere weiter gegeben. An solchen Orten fließt das Salböl Gottes verschwenderisch zu allen Zeiten.

Und doch gilt das Wort Jesu: "Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen." Geschwisterliche Gemeinschaft ist überall möglich. Gott ist nicht gebunden an den Tempel oder an ein Gotteshaus. Gott kommt überall in die Mitte der Menschen, wo mindestens zwei in seinem Namen versammelt sind. Gott stiftet Segen unter den Menschen und dann wird das menschliche Miteinander belebend wie kostbares Salböl und erfrischend wie der Tau.