Sacharja 9-11

Der Friedenskönig

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Sacharja 9
Ausspruch. (9,1a)

Die moderne Exegese unterteilt das Buch Sacharja in drei Abschnitte, wobei überwiegend davon ausgegangen wird, dass nur die Kapitel 1-8 vom Propheten Sacharja selbst stammen, der um das Jahr 518 v.Chr. in Jerusalem aufgetreten ist. Für die Kapitel 9-11 geht man von einer Entstehungszeit im 4. Jahrhundert v.Chr. aus, die Kapitel 12-14 sind wahrscheinlich noch jünger und stammen aus dem 3. vorchristlichen Jahrhundert. Die Eigenständigkeit dieser Teile wird jeweils durch das Wort "Ausspruch" am Beginn der Abschnitte in 9,1 und 12,1 markiert.

Das Wort des Herrn ruht auf dem Land Hadrach, Damaskus ist seine Ruhestätte. Denn dem Herrn gehören die Hauptstadt von Aram und alle Stämme Israels, auch Hamat, das daran grenzt, selbst Tyrus und Sidon, so klug sie auch sind. Tyrus baute sich eine Festung, häufte Silber auf wie Staub und Gold wie Schlamm in den Gassen. Seht, der Herr lässt es verarmen, er schlägt seine Streitmacht auf dem Meer; die Stadt wird vom Feuer verzehrt. Aschkelon soll es sehen und sich fürchten, auch Gaza, und sie sollen gewaltig zittern, auch Ekron; denn er lässt dahinschwinden, wonach sie Ausschau hielten. Verschwunden ist der König aus Gaza, Aschkelons Thron steht leer. Ein Bastard herrscht in Aschdod, ich zerschlage die Größe der Philister. Ich werde das Blut (das sie trinken) aus ihrem Mund nehmen und das, was ich verabscheue, aus ihren Zähnen. So werden auch sie zu dem Rest gehören, der unserem Gott zu eigen ist. Sie sind wie eine Sippe in Juda, Ekron ist wie das Volk der Jebusiter. Ich selbst werde der Wachtposten sein, der mein Haus vor Feinden schützt, die in den Krieg und wieder nach Hause ziehen. Kein Bedrücker greift sie mehr an; denn jetzt sehe ich auf sie mit meinen eigenen Augen. (Sach 9,1b-8)

Der zweite Teil des Buches Sacharja beginnt mit einem Spruch über die Fremdvölker, die Israel umgeben. Die feindlichen Nachbarn Israels werden geschwächt, während Israel von seinem Gott beschützt wird. Zugleich aber bekommt auch ein Teil der Nachbarvölker Anteil am Heil, das Gott an Israel wirkt. Für Jerusalem wird die neue Heilszeit zu einer Zeit der Freude. Der Prophet greift den Ruf aus Sach 2,14 ("juble und freue dich Tochter Zion") wieder auf und weitet ihn aus zu einem Hymnus auf den kommenden Friedenskönig:

Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Sieh, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft. (Sach 9,9a)

Viele Exegeten gehen davon aus, dass der zweite Teil des Buches Sacharja, aus dem dieser Ausspruch stammt, im 4. Jahrhundert v.Chr. entstanden ist, jener Zeit, in der Alexander der Große mit der Eroberung seines Weltreichs die ganze Welt des Nahen Ostens erschüttert und für alle Völker einschneidende Veränderungen gebracht hat. Seine Nachfolger teilten dann in zahlreichen Kriegen das Erbe unter sich auf. Es war eine Zeit der Globalisierung. Noch nie gab es ein Reich, das einen so weiten Raum umspannt und so viele Völker unter einer Herrschaft vereinigt hat. Man ist noch heute fasziniert vom Mut Alexanders des Großen, aber zugleich auch abgeschreckt von der Brutalität seiner Nachfolger. Sicher hat man sich damals bereits viele Geschichten über diese Ereignisse erzählt.
Der Friedenskönig, von dem der Prophet hier spricht und der auf dem Berg Zion in Jerusalem regiert, ist ein Gegenpol zu diesen Herrschern. Doch egal auf welche Zeit und Ereignisse der Spruch des Propheten zurückgeht, es gibt zu allen Zeiten Herrscher, die Krieg über die Erde bringen und Menschen unterdrücken. Jeder Herrscher steht in der Versuchung, sich zu überheben, und sich von der Gier nach immer größerer Macht blenden zu lassen. Somit ist die Sehnsucht nach einem Friedenskönig zu allen Zeiten lebendig. Was sind die Kennzeichen eines solchen Königs?
An erster Stelle steht die Gerechtigkeit. Der Friedenskönig sucht nicht seinen eigenen Vorteil und den seiner Getreuen, er entscheidet nicht blind zugunsten der Reichen, sondern er will Gerechtigkeit für alle. Er prüft auch die Klagen der einfachen Leute und schützt sie vor Ausbeutung und den Übergriffen der Mächtigen. Er hilft, oder besser gesagt er bringt das Heil. Viele Herrscher ließen sich als Heilsbringer verehren, aber brachten großes Unheil über die Völker. Die Sehnsucht der Menschen nach Heil wurde so oft enttäuscht.
Heilig und Heil sind Worte, die uns heute weitgehend fremd geworden sind und die im öffentlichen Wortschatz kaum mehr zu finden sind, sicher auch deshalb, weil sie zu oft missbraucht wurden. Heil ist aber ein wesentliches Produkt christlichen Lebens, das wir aufgrund unserer Berufung zur Heiligkeit mit Gottes Hilfe in der Welt konkret werden lassen sollen. Ein Heiliger ist ein Mensch, der Heil wirkt, in dessen Umgebung Wunden heilen, körperliche und geistige. Der Friedenskönig schafft die Voraussetzungen dafür, dass dieses Heil allen zuteilwerden kann.

Er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin. Ich vernichte die Streitwagen aus Efraim und die Rosse aus Jerusalem, vernichtet wird der Kriegsbogen. Er verkündet für die Völker den Frieden; seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Eufrat bis an die Enden der Erde. (Sach 9,9b-10)

Der Friedenskönig ist demütig, was dadurch zum Ausdruck kommt, dass er auf einem Esel reitet. Der Esel ist damals im Nahen Osten ein seit vielen Jahrhunderten bewährtes Lasttier, das sich auch einfache Leute leisten konnten. Im Gegensatz zum Pferd, das als Streitross und Zugtier für die schnellen Streitwagen diente und auf dem die Herrscher sich in allem Stolz präsentieren konnten, ist der Esel ein Bild für Bescheidenheit und Friedfertigkeit. Im Krieg kann der Esel allenfalls das für den Tross nötige transportieren, kommt aber sicher nicht im Kampf zum Einsatz.
Im Reich des Friedenskönigs gibt es keine Streitwagen und Kriegspferde und keine Bogenschützen. All das sind Kennzeichen der expandierenden Großmächte, die mit ihren Heeren einen schnellen Angriffskrieg führen. Doch nicht die Heere, die mit ihren Streitwagen die Erde verwüsten und Angst und Schrecken verbreiten, sind das Leitbild der Zivilisation. Das Reich des Friedenskönigs ist nicht auf Expansion ausgerichtet, sondern auf Stabilisierung im Innern. Der Friede, den er bringt, schafft die Voraussetzung dafür, dass sich eine Kultur des Friedens ausbreiten kann, dass Kunst, Kultur und Religion sich entwickeln können.
Was aber ist das für ein König, der statt auf einem Streitross auf einem Esel reitet? Wie setzt er sein Reich der Gerechtigkeit durch und kann dabei auf Streitwagen und Kriegsbogen vernichten? Welcher König bringt der Welt wirklich den Frieden? Die Heilige Schrift sieht diese Verheißung in Jesus Christus erfüllt, der am Palmsonntag als Friedenskönig auf einem Esel reitend in Jerusalem einzieht, und dem das Volk zujubelt. Jesus Christus als Friedenskönig hat keine andere Waffe als die Liebe Gottes zu seinem Volk. Daher wird er von den Mächtigen auch schnell aus dem Weg geräumt. Doch wir glauben, dass mit ihm das Friedensreich Gottes in dieser Welt angebrochen ist, über das er als der Auferstandene nun herrscht.
Oft wurde die Herrschaft Gottes falsch verstanden. Könige von Gottes Gnaden regierten im Namen Gottes mit der Gewalt des Schwertes. Aus Gottes Friedensreich wurde ein Reich wilder Krieger. Doch wer Gottes Herrschaft auf dieser Welt verteidigen will, muss den Weg Jesu gehen, in aller Demut und Heiligkeit, ohne Kriegswaffen, allein in der Liebe. Er muss dabei aber auch damit rechnen, dass ihn das gleiche Schicksal treffen kann wie Jesus Christus. Aber gerade in der Schwachheit erweist sich Gottes Kraft und wir dürfen darauf vertrauen, dass er selbst es ist, der seiner Liebe zum Sieg verhilft.

Auch deine Gefangenen werde ich um des Blutes deines Bundes willen freilassen aus ihrem Kerker, der wasserlosen Zisterne. Kehrt in Scharen zurück, ihr Gefangenen voll Hoffnung! Ja, heute verkünde ich: Die doppelte Zahl führe ich zu dir zurück. Denn ich spanne mir Juda als Bogen und lege Efraim als Pfeil darauf. Ich rufe deine Söhne, Zion, zum Kampf gegen die Söhne Jawans, ich mache dich zum Schwert eines Helden. Der Herr selbst wird über ihnen erscheinen. Wie der Blitz schießt sein Pfeil dahin. Gott, der Herr, bläst ins Horn, er kommt in den Stürmen des Südens.
Der Herr der Heere beschirmt die Seinen. Die Schleudersteine fressen und zermalmen. (Seine Krieger) trinken und lärmen wie beim Wein; sie sind voll Blut wie eine Opferschale, wie die Ecken eines Altars. Der Herr, ihr Gott, wird sie an jenem Tag retten; er wird sein Volk retten, wie man Schafe rettet. Edelsteine glänzen auf seinem Land. Wie groß sind seine Schätze, wie herrlich ist seine Schönheit! Korn gibt den jungen Männern Kraft und Most den Mädchen. (Sach 9,11-17)
Bittet den Herrn um Regen zur Regenzeit im Frühjahr! Der Herr lässt Gewitterwolken entstehen, er füllt sie mit Regen und gibt den Menschen das Grün auf dem Feld. Die Hausgötzen redeten Falsches; die Wahrsager schauten Lügen. Sie verkündeten nichtige Träume und spendeten leeren Trost. Darum wurde das Volk weggetrieben wie Schafe und geriet ins Elend; denn es hatte keinen Hirten. Gegen die Hirten ist mein Zorn entbrannt, die Leithammel ziehe ich zur Rechenschaft. Denn der Herr der Heere sieht nach seiner Herde, nach dem Haus Juda, er macht es zu seinem prächtigen Streitross.
Aus dem Haus Juda kommt ein Edelstein, aus ihm ein Zeltpflock, aus ihm ein Kriegsbogen; aus ihm kommt jeder, der Macht hat. Sie alle werden wie Helden sein, die im Krieg den Feind in den Gassenkot treten. Sie werden kämpfen; denn der Herr ist mit ihnen. Dann müssen sich alle schämen, die auf Pferden reiten. Das Haus Juda will ich stark machen und das Haus Josef retten. Ich führe sie zurück; denn ich habe Erbarmen mit ihnen. Es wird sein, als ob ich sie nicht verstoßen hätte; denn ich bin Jahwe, ihr Gott; ich werde sie erhören. Die Söhne Efraims werden Helden sein. Sie werden sich freuen wie beim Wein. Ihre Kinder werden es sehen und sich freuen und ihr Herz wird jubeln über den Herrn. Ich werde ihnen pfeifen und sie zusammenholen; denn ich habe sie losgekauft. Sie werden so zahlreich sein, wie sie zahlreich waren. Ich habe sie unter die Völker gesät; doch in der Ferne werden sie an mich denken. Sie werden mit ihren Kindern am Leben bleiben und heimkehren.
Ja, ich werde sie zurückführen aus Ägypten und aus Assur werde ich sie sammeln. Ich werde sie nach Gilead und zum Libanon bringen und es wird nicht genug Platz für sie da sein. Wenn sie aus dem Land der Not durch das Meer ziehen, wird der Herr die Wellen im Meer schlagen und die Tiefen des Nil werden austrocknen. Dann wird die Größe Assurs in den Staub getreten und das Zepter Ägyptens wird beseitigt. Ich mache sie stark durch den Herrn und sie werden in seinem Namen ihren Weg gehen - Spruch des Herrn. (Sach 10,1-12)
Öffne deine Tore, Libanon, damit das Feuer deine Zedern frisst. Klage, Zypresse! Denn die Zeder ist gefallen; ja, die Mächtigen wurden vernichtet. Klagt, ihr Eichen des Baschan, denn der undurchdringliche Wald ist dahingesunken. Horch, die Hirten klagen; denn ihre prächtige Weide ist vernichtet. Horch, die jungen Löwen brüllen; denn das Dickicht am Jordan ist vernichtet. (Sach 11,1-3)

Der Friedenskönig ist der wahre Hirte seines Volkes, den Gott einsetzt, um sein Volk zu beschützen. Die Reiter hoch zu Ross aber werden beschämt (Sach 10,5). In einem Drohwort in Verbindung mit einer Zeichenhandlung wendet sich der Prophet gegen die schlechten Herrscher. Dies macht deutlich, dass wir in einer ganz anderen Zeit sind, als im ersten Teil des Buches, das die Herrschaft den Hohenpriesters Jeschua und des Davidsprosses Serubbabel als Heilszeit beschreibt. Andere sind an ihre Stelle getreten, die sich nicht mehr um die Herde kümmern, sondern nur ihren eigenen Vorteil im Auge haben.

So spricht der Herr, mein Gott: Hüte die Schafe, die geschlachtet werden sollen. Ihre Käufer töten sie, ohne es zu büßen. Ihre Verkäufer sagen: Gepriesen sei der Herr; denn ich bin reich geworden. Ihre Hirten haben kein Mitleid mit ihnen. Wahrhaftig, ich habe kein Mitleid mehr mit den Bewohnern des Landes - Spruch des Herrn. Seht, jeden Menschen liefere ich seinem Nächsten aus und seinem König. Sie zerschlagen das Land und ich rette es nicht aus ihrer Hand.
Ich hütete die Schafe, die geschlachtet werden sollten, für die Schafhändler und ich nahm mir zwei Ruten. Eine nannte ich Noam (Freundlichkeit), die andere nannte ich Hobelim (Verbindung) und ich hütete die Herde. Nach meinem Willen verschwanden in einem einzigen Monat drei Hirten. Ich war zornig auf sie, auch sie waren meiner überdrüssig. Ich sagte: Ich hüte euch nicht. Was im Sterben liegt, soll sterben; was sich verloren hat, sei verloren; und von den Übriggebliebenen soll einer des andern Fleisch fressen.
Dann nahm ich meine Rute Noam und hieb sie in Stücke, um meinen Bund zu zerbrechen, den ich mit allen Völkern geschlossen hatte. So wurde er an diesem Tag zerbrochen. Da erkannten die Schafhändler, die auf mich Acht gaben, dass dies ein Wort des Herrn war. Ich sagte zu ihnen: Wenn es euch recht scheint, so bringt mir meinen Lohn; wenn nicht, so lasst es! Doch sie wogen mir meinen Lohn ab, dreißig Silberstücke. Da sagte der Herr zu mir: Wirf ihn dem Schmelzer hin! Hoch ist der Preis, den ich ihnen wert bin. Und ich nahm die dreißig Silberstücke und warf sie im Haus des Herrn dem Schmelzer hin.
Danach hieb ich meine zweite Rute, Hobelim, in Stücke, um den brüderlichen Bund zwischen Juda und Israel zu zerbrechen. Der Herr sagte zu mir: Nimm nochmals das Gerät des nichtsnutzigen Hirten! Denn ich lasse einen Hirten im Land auftreten. Um das Vermisste kümmert er sich nicht, das Verlorene sucht er nicht, das Gebrochene heilt er nicht, das Gesunde versorgt er nicht. Stattdessen isst er das Fleisch der gemästeten Schafe und reißt ihnen die Klauen ab. Weh meinem nichtsnutzigen Hirten, der die Herde im Stich lässt. Das Schwert über seinen Arm und über sein rechtes Auge! Sein Arm soll völlig verdorren, sein rechtes Auge soll gänzlich erblinden. (Sach 11,4-17)

Der Prophet tritt selbst als Hirte auf und hat zwei Ruten, Noam (Freundlichkeit) und Hobelim (Verbindung). Zunächst zertrümmert er seine Rute Noam als Zeichen dafür, dass die Herde nun sich selbst überlassen ist, das keiner da ist, der sich um die Kranken und Sterbenden kümmert, keiner, der die Herde zur Weide führt, so dass sie sich schließlich selbst zerfleischen. Die Schafhändler aber geben ihm dreißig Silberstücke für diese verwahrloste Herde. Dann zerbricht der Prophet auch noch die zweite Rute Hobelim als Zeichen dafür, dass der brüderliche Bund zwischen Juda und Israel zerbrochen ist. Im Land aber wird ein nichtsnutziger Herrscher auftreten, der nur das Fleisch der Herde frisst, sich sonst aber nicht um sie kümmert.