Micha 1,1

Einführung

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Micha
Das Wort des Herrn, das an Micha aus Moreschet erging in den Tagen des Jotam, des Ahas und des Hiskija, der Könige von Juda, das er schaute über Samaria und Jerusalem. (Mi 1,1)

Die Michaschrift ist Teil des Zwölfprophetenbuches und daher streng genommen kein eigenes Buch der Heiligen Schrift. Die Überschrift datiert das Auftreten des Propheten Micha in das 8. Jahrhundert v.Chr. Er ist somit ein Zeitgenosse des Propheten Jesaja, der ihn allerdings nicht erwähnt, genauso wenig wie das Buch der Könige und andere biblische Bücher. Nur beim Propheten Jeremia finden wir in Jer 26,18 einen Hinweis auf die Weissagung des Micha vom Untergang Jerusalems. Da die erwähnte Regierungszeit der Könige Jotam, Ahas und Hiskija den durchaus beträchtlichen Zeitraum zwischen etwa 750 und 700 v.Chr. umfasst, ist die genaue Abgrenzung der Zeit des Auftretens Michas umstritten.
Der Name Micha (von Michael: "Wer ist wie Gott") ist einer der häufigsten Namen des Alten Testaments. Dementsprechend wird der Träger dieses Namens hier näher bestimmt. Es handelt sich um Micha aus Moreschet. Diesen Beinamen bekam der Prophet sicherlich erst, als er seinen Heimatort verlassen hatte, vielleicht während seines Auftretens in Jerusalem. Der sonst außerhalb des Micha-Buches nicht erwähnte Ort Moreschet lag wahrscheinlich südwestlich von Jerusalem. Möglicherweise stammt Micha aus der Bauernschaft dieses Ortes.
Seine Berufung zum Propheten erhielt Micha, als er vom wirkmächtigen Wort des Gottes Israel getroffen wurde. Das, was er sagt, hat er nicht aus sich selbst, sondern er verkündet das, was Gott seinem Volk, dem Nordreich um die Stadt Samaria und dem Südreich um die Stadt Jerusalem, sagen möchte.
Die Propheten Israels unterscheiden sich deutlich von denen der anderen Völker. Die dort geübten prophetische Praktiken, das Auftreten von Wahrsagern an den Königshöfen, Tierbeschauung, Astrologie und Geistesbeschwörung wurden in Israel massiv abgelehnt und bekämpft, was aber nicht verhindern konnte, dass sie immer wieder zutage traten. Auch in Israel kannte man Propheten am Königshof, die natürlich möglichst für den Herrscher günstige Visionen erzählen sollten. Wir werden diese im Folgenden öfter als Gegner Michas sehen.
Die wahren Propheten Israels aber sind die, die allein auf Gott hören und sich auf ihn verlassen und wirklich die Worte Gottes verkünden. Und diese sind eben oft gegen den König und die führenden Leute des Volkes gerichtet. Sie kritisieren deren ungerechtes Tun, das die Ordnung Gottes mit seinem Volk stört. Daher haben diese Propheten meist Verfolgungen zu erdulden, man denke nur an Elija und Jeremia. Als ein solcher, von Gott berufener Prophet versteht sich Micha. Er tritt als Mahner auf, aber er verheißt auch das Heil, denn die Drohungen Gottes bleiben nicht beim Untergang stehen, sondern eröffnen immer auch eine neue Zukunft, die Chance eines Neuanfangs auf dem Weg des Volkes mit seinem Gott.
Der Inhalt der Verkündigung Michas wechselt zwischen Drohreden und Verheißungen. Vor allem gegen die beiden Hauptstädte Samaria und Jerusalem richtet sich der Zorn Gottes, gegen die Habsucht der Reichen, die dort leben und das gesetzlose Treiben der Mächtigen, gegen die falschen Propheten, die den Mächtigen nach dem Mund reden und die Bestechlichkeit der Führer. Eine zunehmend dekadent werdende Oberschicht lässt es sich auf Kosten der Armen gut gehen und führt durch Vernachlässigung ihrer Pflichten den Untergang des Staatswesens herbei. Doch Gott wird das Heil wirken, denn er ist der Herr seines Volkes und wird nicht zulassen, dass sein Volk zu Grunde geht.
Man wird sicher sein können, dass das Buch in seiner heutigen Gestalt so nicht vom Propheten selbst geschrieben wurde. Vielmehr kann man davon ausgehen, dass das Buch bis zu seiner Endkonzeption mehrmals überarbeitet wurde, wobei die ursprünglichen Worte des Propheten durch neue Deutungen und Erweiterungen ergänzt wurden. Der Prophet hatte wohl die Zerstörung Samarias im Jahre 722 v.Chr. und die anschließende Bedrohung des Reiches Juda vor Augen. Jedoch ist Jerusalem damals noch mit dem Schrecken davongekommen. Erst im Jahre 586 v.Chr. wurden Jerusalem und der Tempel zerstört und das Volk ins babylonische Exil geführt. Man kann davon ausgehen, dass aus dieser Erfahrung heraus die Worte Michas neu gedeutet wurden und diese neuen Gedanken mit in den jetzigen Michatext eingeflossen sind.