Jesaja 40,2-11

Verheißung der Heimkehr

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Jesaja
Redet Jerusalem zu Herzen und verkündet der Stadt, dass ihr Frondienst zu Ende geht, dass ihre Schuld beglichen ist; denn sie hat die volle Strafe erlitten von der Hand des Herrn für all ihre Sünden. (Jes 40,2)

Der Trost für das Volk Israel, den das Buch Deuterojesaja zusagt, besteht zum einen darin, dass die Zeit der Strafe vorbei ist. Es war eine harte Strafe, die über Israel gekommen ist, die Heimat ist zerstört, das Volk lebt in der Fremde. Der Psalm 137 bringt diese Situation treffend zum Ausdruck: An den Strömen von Babel, da saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten. ... Wie könnten wir singen die Lieder des Herrn, fern auf fremder Erde? Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verdorren ... wenn ich an dich nicht mehr denke, wenn ich Jerusalem nicht zu meiner höchsten Freude erhebe.

In der Fremde richtet sich die Sehnsucht der Herzen nach Jerusalem. Und an diese Herzen ergeht die Zusage: Es wird nicht mehr schlimmer werden, von nun an geht es aufwärts, der Tiefpunkt ist durchschritten, die Zeit für einen Neuanfang ist gekommen. Gott wird sein Volk wieder in die Heimat führen. Es ist ein großer Trost, auf einem schweren Weg zu wissen, dass es keine Gefahr mehr gibt, dass alles gut werden wird, ja es wird nicht nur gut, sondern besser, als es zuvor gewesen ist.

Eine Stimme ruft: Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße für unseren Gott! Jedes Tal soll sich heben, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, und was hüglig ist, werde eben. (Jes 40,3-4)

Gott selbst wird sein Volk aus dem Exil führen, er wird ihm vorangehen, so wie er einst vorangezogen ist, als Israel aus Ägypten ausgezogen ist. Kein Hindernis wird es auf dem Weg geben, den Gott mit seinem Volk gehen wird. Eindrucksvoll ist hier die Übersetzung von Martin Buber:

In der Wüste bahnt SEINEN Weg, ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott!
Alles Tal soll sich heben, aller Berg und Hügel sich nieden,
das Höckrige werde zur Ebne und die Grate zum Gesenk! (Jes 40,3-4)

Für uns ist es heute nichts Außergewöhnliches mehr, dass Straßen und Eisenbahnlinien unser Land durchziehen und einen schnellen Verkehr zwischen den einzelnen Städten ermöglichen. Sie verlaufen oft in tiefen Einschnitten durch hügeliges Land, überspannen mit gewaltigen Brücken große Täler und durchbrechen mit Tunneln hohe Bergketten. Doch es ist noch nicht allzu lange her, seit der Mensch zu solchen Leistungen fähig ist.
Zu früheren Zeiten waren Brücken eine einmalige Sensation und Wege über das Gebirge waren mühsam und abenteuerlich, auch wenn schon die Römer über ein weit ausgebautes Straßennetz verfügten. Legendär ist auch die Persische Königsstraße, die von Susa in Mesopotamien bis nach Ephesus an der Küste Kleinasiens führte. Vielleicht denkt der Prophet bei seinen Worten an diese königliche Straße.
Es ist ein gewaltiger Weg, der für Gott gebahnt werden soll, Berge sollen abgetragen und Täler zugeschüttet werden, so dass ein ebener Weg ohne Hindernis entsteht. Ein Weg, der würdig ist, dass Gott auf ihm reist, ein Weg, auf dem Gott Einzug halten kann bei seinem Volk, ein Weg für das Kommen Gottes in diese Welt. Jetzt ist die Zeit gekommen für die Heimkehr Israels, und wenn Gott etwas beschlossen hat, dann macht er es richtig. Nichts kann sich ihm in den Weg stellen, kein Hindernis kann ihn aufhalten.
Gottes Weg mit seinem Volk. - Für Israel war das zuerst der Exodus, der lange Weg, auf dem der Herr sein Volk aus Ägypten befreit hat. Nun hofft Israel auf eine weitere Befreiung: den Weg aus dem babylonischen Exil. Jahrhunderte später bekommen diese Worte noch einmal eine ganz neue Bedeutung. In Jesus Christus kommt Gott selbst zu uns Menschen und Johannes der Täufer bereitet ihm den Weg. Gott findet immer einen Weg zu den Menschen, auch da, wo Menschen gesündigt haben und fern von Gott sind, Gott findet einen Weg durch die weglose Wüste, wo der Mensch keinen Ausweg mehr kennt.
Gottes Weg mit seinem Volk. - Auch Jahrhunderte nach Christi Geburt sucht Gott seinen Weg zu den Menschen. Gott will ankommen bei jedem einzelnen. Einen Weg bahnen für Gott, das ist auch unsere Aufgabe heute. Einen Weg, dass Gott ankommen kann bei mir und durch mich auch bei anderen Menschen.

Dann offenbart sich die Herrlichkeit des Herrn, alle Sterblichen werden sie sehen. Ja, der Mund des Herrn hat gesprochen. (Jes 40,5)

Gott offenbart seine Herrlichkeit, indem er sein Volk rettet. Gott ist Herr der Geschichte. Der Gott dieses kleinen Volkes Israel bestimmt die Geschicke der Welt. Wer ihm vertraut, der braucht sich nicht zu fürchten in den Wirren der Geschichte. Gott wird alle beschützen, die ihm vertrauen, damals wie heute.

Eine Stimme sagte: Verkünde! Ich fragte: Was soll ich verkünden? Alles Sterbliche ist wie das Gras und all seine Schönheit ist wie die Blume auf dem Feld. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, wenn der Atem des Herrn darüber weht. Wahrhaftig, Gras ist das Volk. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, doch das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit. (Jes 40,6-8)

Im Vergleich mit Gottes Herrlichkeit ist alles Irdische klein und vergänglich, wie Gras, das schnell verdorrt. Auch die größten Herrscher müssen sterben und ihre Macht vergeht. Gott aber bleibt und seine Worte bleiben, seine Zusage an sein Volk, dass er rettet und heilt bleibt ewig bestehen. Wenn Gott sein Wort wahr macht, dann herrscht Freude bei allen, mögen sie vorher auch noch so traurig gewesen sein, eine Freude, die nur der Herr schenken kann.

Steig auf einen hohen Berg, Zion, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme mit Macht, Jerusalem, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme, fürchte dich nicht! Sag den Städten in Juda: Seht, da ist euer Gott. Seht, Gott der Herr, kommt mit Macht, er herrscht mit starkem Arm. Seht, er bringt seinen Siegespreis mit: Alle, die er gewonnen hat, gehen vor ihm her. Wie ein Hirt führt er seine Herde zur Weide, er sammelt sie mit starker Hand. Die Lämmer trägt er auf dem Arm, die Mutterschafe führt er behutsam. (Jes 40,9-11)

Der Zug der Heimkehrer wird freudig angekündigt. Gott kehrt mit seinem Volk zurück, wie ein reicher Hirte mit seiner großen Herde. Diejenigen, die einst schmachvoll in die Verbannung geführt wurden, kehren heim wie Sieger.
Dieser Text regt an, auch über das Thema Sünde und Vergebung nachzudenken. Wir kennen die Freude, die davon kommt, wenn wir Vergebung erfahren haben, sei es in einer guten Beichte oder wenn wir uns dazu überwunden haben, jemand anderen um Vergebung zu bitten und wir endlich das ausgesprochen haben, was uns so lange bedrückt hat.
Aber ist das überhaupt noch zeitgemäß? Besteht die Freude in der heutigen Zeit nicht vielmehr darin, dass sich der Mensch frei gemacht hat von den Zwängen der Schuld? Die Sünde ist abgeschafft, der Mensch glücklich! Wirklich?
Die Menschen zur Zeit Jesu sehnten sich nach Erlösung. Wonach sehnen sich die Menschen heute? Ich würde sagen, nach einem erfüllten Leben. Was hindert aber an einem erfüllten Leben? Sind es nicht oft die Zusammenhänge von Schuld, die Menschen an ihrer Freiheit hindern? Wo Gewalt unter Menschen herrscht, zwischen Völkern und Familien, wo Menschen einander nicht vergeben können, kann da Freiheit und Glück herrschen? Wenn man andere nicht ausstehen kann, ständig unzufrieden ist über etwas oder jemanden, dann macht das krank, engt ein und steht einem erfüllten Leben im Wege.
Wie kann Gott da helfen? Ist es nicht an jedem einzelnen Menschen, das zu erkennen und sich davon zu befreien? Der Mensch kann sich selbst erlösen, wenn er nur bewusst lebt! Wirklich?
Viele Schuldzusammenhänge übersteigen die menschlichen Fähigkeiten. Der Mensch kommt nicht von selbst aus diesen heraus. Schon mit der Geburt wächst er in einem Gefüge von Schuld auf, undurchschaubar für den Einzelnen. Schrecklich? Nur, wenn man meint, das sei alles.
Gott möchte den Menschen das Leben in Fülle schenken. Es ist ja nicht die Bestimmung des Menschen, in Schuld und Elend zu leben, sondern der Mensch soll in Glück und Freude ein erfülltes Leben haben. Doch das kann der Mensch nur, wenn er sich dessen bewusst ist, dass er aus sich heraus nicht vollkommen ist. Jeder Mensch macht Fehler, jeder Mensch sündigt und darum muss sich jeder Mensch auch zu diesen Fehlern und Sünden bekennen. Aber er muss sie nicht alleine und ewig tragen. Er darf sie sich von Gott vergeben lassen. Der Sohn Gottes ist gekommen, um die Sünden der Menschen zu tragen, sie zu ertragen und sie wegzutragen.
Das wahre Glück kann der Mensch nicht aus eigener Kraft erreichen. Ein Glück, das dem Menschen wirklich genügen kann, das kann nichts von Menschenhand Gemachtes sein. Das wahre Glück hat allein in Gott seinen Grund. Doch dieses Glück ist dem Menschen nicht fern, es kommt ihm entgegen. Gott kommt jedem Menschen entgegen, um ihm das Glück als Geschenk anzubieten.
Ist das nicht alles nur ein schöner Traum, zu schön, um wahr zu sein? Fühlen wir uns nicht allzu oft wie in der Verbannung, in einer Welt, in der Gott keinen Platz mehr zu haben scheint und unser Leben ein Frondienst ist für den schnöden Mammon? Wo können wir die Anwesenheit dieses Gottes, der zu uns gekommen ist, in dieser Welt erfahren?
Das Volk Israel hat immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Gott sich seiner annimmt. Die Befreiung aus dem Exil in Babylon war eines der größten Wunder seiner Geschichte. Andere Völker wurden durch Krieg und Deportation vernichtet, an sie denkt niemand mehr, Israel aber hat sich bis heute als Volk behaupten können, obwohl es mehrmals am Abgrund stand, damals bei der Eroberung Jerusalems, bei der Ausbreitung der hellenistischen Welt, bei der Eroberung durch die Römer, durch die Judenverfolgungen zu allen Zeiten bis hin zum Holocaust und die Bedrohung durch die islamische Welt heute.
Gott beschützt die Seinen, er führt sie durch die Tiefpunkte der Geschichte und des eigenen Lebens hindurch. Wer Gott vertraut, für den gibt es immer einen Ausweg, auch wenn es vielleicht etwas länger dauert, bis er sichtbar wird. Wir brauchen Geduld. Wer zu früh aufgibt, wird nie das Schöne erfahren, das das Leben noch bereit hält.

Herr, gib uns Geduld
gib uns die Kraft zu Warten,
lass uns niemals verzweifeln
und lass uns nie die Hoffnung verlieren
dass nach jedem Leid eine Freude
und nach jeder Niederlage ein Sieg
auf uns wartet.
Schenke uns deinen Trost,
wenn wir am Boden sind
und lass uns die Freude
zusammen mit dir erfahren.
Amen.