Jesaja 40,1-11

Verheißung d. Heimkehr

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Jesaja

Deuterojesaja

Die Kapitel 40-55 des Jesajabuches werden nicht mehr dem Propheten Jesaja zugeschrieben, der im 8. Jahrhundert aufgetreten ist, sondern einem uns namentlich unbekannten Propheten, der zur Zeit des babylonischen Exils (587-539 v.Chr.) unter den dorthin verschleppten Juden aufgetreten ist. Dieser Prophet stellte sich selbst bewusst in die Tradition des Jesaja. Vermutlich hat ein Schülerkreis des Propheten die Sprüche zusammengestellt, die später zusammen mit Tritojesaja zur festen Überlieferung des Jesajabuches gehörten.
Deuterojesaja stellt den persischen König Kyrus, dessen Siegeszug über die damalige Welt im Jahre 553 v.Chr. begann, als Retter des Volkes heraus, der Israel wieder die Heimkehr aus der Verbannung ermöglichen wird. Deuterojesaja weiß, dass er in der Reihe der großen vorexilischen Propheten steht. Er lebt in voller Schicksalsgemeinschaft mit dem Volk im Exil. Seine Aufgabe ist es, dem Volk das Heil anzusagen, das Gott seinem Volk schenken wird. Dies wird schon in den ersten Versen des Deuterojesaja deutlich.

Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott. Redet Jerusalem zu Herzen und verkündet der Stadt, dass ihr Frondienst zu Ende geht, dass ihre Schuld beglichen ist; denn sie hat die volle Strafe erlitten von der Hand des Herrn für all ihre Sünden.
Eine Stimme ruft: Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße für unseren Gott! Jedes Tal soll sich heben, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, und was hüglig ist, werde eben. Dann offenbart sich die Herrlichkeit des Herrn, alle Sterblichen werden sie sehen. Ja, der Mund des Herrn hat gesprochen.
Eine Stimme sagte: Verkünde! Ich fragte: Was soll ich verkünden? Alles Sterbliche ist wie das Gras und all seine Schönheit ist wie die Blume auf dem Feld. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, wenn der Atem des Herrn darüber weht. Wahrhaftig, Gras ist das Volk. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, doch das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit.
Steig auf einen hohen Berg, Zion, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme mit Macht, Jerusalem, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme, fürchte dich nicht! Sag den Städten in Juda: Seht, da ist euer Gott. Seht, Gott der Herr, kommt mit Macht, er herrscht mit starkem Arm. Seht, er bringt seinen Siegespreis mit: Alle, die er gewonnen hat, gehen vor ihm her. Wie ein Hirt führt er seine Herde zur Weide, er sammelt sie mit starker Hand. Die Lämmer trägt er auf dem Arm, die Mutterschafe führt er behutsam. (Jes 40,1-11)

Eindrucksvoll ist die Übersetzung Martin Bubers:

In der Wüste bahnt SEINEN Weg, ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott!
Alles Tal soll sich heben, aller Berg und Hügel sich nieden,
das Höckrige werde zur Ebne und die Grate zum Gesenk!" (Jes 40,3f)

Für uns ist es heute nichts Außergewöhnliches mehr, dass Straßen und Eisenbahnlinien unser Land durchziehen und einen schnellen Verkehr zwischen den einzelnen Städten ermöglichen. Sie verlaufen oft in tiefen Einschnitten durch hügeliges Land, überspannen mit gewaltigen Brücken große Täler und durchbrechen mit Tunneln hohe Bergketten. Doch es ist noch nicht allzu lange her, seit der Mensch zu solchen Leistungen fähig ist.
Zu früheren Zeiten waren Brücken eine einmalige Sensation und Wege über das Gebirge waren mühsam und abenteuerlich, auch wenn schon die Römer über ein weit ausgebautes Straßennetz verfügten. Legendär ist auch die Persische Königsstraße, die von Susa in Mesopotamien bis nach Ephesus an der Küste Kleinasiens führte. Vielleicht denkt der Prophet Jesaja bei seinen Worten an diese königliche Straße.
Es ist ein gewaltiger Weg, der für Gott gebahnt werden soll, Berge sollen abgetragen und Täler zugeschüttet werden, so dass ein ebener Weg ohne Hindernis entsteht. Ein Weg, der würdig ist, dass Gott auf ihm reist, ein Weg, auf dem Gott Einzug halten kann bei seinem Volk, ein Weg für das Kommen Gottes in diese Welt.
Gottes Weg mit seinem Volk. - Für Israel war das zuerst der Exodus, der lange Weg, auf dem der Herr sein Volk aus Ägypten befreit hat. Zur Zeit des Propheten Jesaja hofft Israel auf eine weitere Befreiung: den Weg aus dem babylonischen Exil.
Jahrhunderte nach Jesaja bekommen diese Worte eine ganz neue Bedeutung. In Jesus Christus ist Gott Mensch geworden unter Menschen. Johannes der Täufer ist es nun, der Jesus den Weg bereitet (vgl. Mt 1,1-8).
Gott findet einen Weg, einen Weg durch die weglose Wüste, einen Weg, wo der Mensch keinen Ausweg mehr kennt. Gott findet einen Weg zu den Menschen, auch da, wo Menschen Gott fern zu sein scheinen.
Gottes Weg mit seinem Volk. - Auch Jahrhunderte nach Christi Geburt sucht Gott seinen Weg zu den Menschen. Gott will ankommen bei jedem einzelnen. Einen Weg bahnen für Gott, das ist auch meine Aufgabe heute. Einen Weg, dass Gott ankommen kann bei mir und durch mich auch bei anderen Menschen.
Die Worte des Deuterojesaja sind Worte des Trostes, gerichtet an Israel, gerichtet auch an uns heute. Das Volk Israel hatte gesündigt, die Feinde haben Jerusalem zerstört und das Volk in die Gefangenschaft verschleppt. Ohne große Hoffnung müssen sie nun in einem fremden Land Frondienst für fremde Herren verrichten. Doch ihre Herzen verlangen nach Jerusalem, den Ort, von dem sie wissen, dass dort die Herrlichkeit Gottes wohnt.
Der Psalm 137 bringt diese Situation treffend zum Ausdruck:

An den Strömen von Babel, da saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten. ... Wie könnten wir singen die Lieder des Herrn, fern auf fremder Erde? Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verdorren ... wenn ich an dich nicht mehr denke, wenn ich Jerusalem nicht zu meiner höchsten Freude erhebe.

In diese Trauer und Sehnsucht des Volkes hinein spricht der Prophet Jesaja die Worte Gottes:

Tröstet, tröstet mein Volk! Redet Jerusalem zu Herzen und verkündet der Stadt, dass ihr Frondienst zu Ende geht, dass ihre Schuld beglichen ist.

Jetzt ist die Zeit da für die Heimkehr Israels, und wenn Gott etwas beschlossen hat, dann macht er es richtig. Nichts kann sich ihm in den Weg stellen, kein Hindernis kann ihn aufhalten: "Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße für unseren Gott! Jedes Tal soll sich heben, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, und was hüglig ist, werde eben."
Dann herrscht Freude bei allen, mögen sie vorher auch noch so traurig gewesen sein, eine Freude, die nur der Herr schenken kann:

Steig auf einen hohen Berg, Zion, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme mit Macht, Jerusalem, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme, fürchte dich nicht! Sag den Städten in Juda: Seht, da ist euer Gott.

"Tröstet, tröstet mein Volk!" Diese Worte des Propheten Jesaja finden sich wunderbar vertont in Händels Messias. Wir erkennen in Ihnen noch eine weitere Bedeutung, die über die Heimkehr Israels aus der Gefangenschaft hinausgeht. Gott selbst wird kommen, sein Volk zu trösten. Was Jesaja vorausgesehen hat, erfüllt sich in Jesus Christus. Johannes, der Vorläufer des Messias, bereitet die Menschen auf sein Kommen vor - mit den Worten des Propheten Jesaja.

Redet Jerusalem zu Herzen und verkündet der Stadt, dass ihr Frondienst zu Ende geht, dass ihre Schuld beglichen ist; denn sie hat die volle Strafe erlitten von der Hand des Herrn für all ihre Sünden.

Strafe, Schuld und Sünde, was hat das mit Freude zu tun? Besteht die Freude in der heutigen Zeit nicht darin, dass sich der Mensch frei gemacht hat von diesen Zwängen? Die Sünde ist abgeschafft, der Mensch glücklich! Wirklich?
Die Menschen zur Zeit Jesu sehnten sich nach Erlösung. Wonach sehnen sich die Menschen heute? Ich würde sagen, nach einem erfüllten Leben. Was hindert aber an einem erfüllten Leben? Sind es nicht oft die Zusammenhänge von Schuld, die Menschen an ihrer Freiheit hindern? Wo Gewalt unter Menschen herrscht, zwischen Völkern und Familien, wo Menschen einander nicht vergeben können, kann da Freiheit und Glück herrschen? Wenn man andere nicht ausstehen kann, ständig unzufrieden ist über etwas oder jemanden, dann macht das krank, engt ein und steht einem erfüllten Leben im Wege.
Wie kann Gott da helfen? Ist es nicht an jedem einzelnen Menschen, das zu erkennen und sich davon zu befreien? Der Mensch kann sich selbst erlösen, wenn er nur bewusst lebt! Wirklich?
Viele Schuldzusammenhänge übersteigen die menschlichen Fähigkeiten. Der Mensch kommt nicht von selbst da heraus. Schon mit der Geburt wächst er in einem Gefüge von Schuld auf, undurchschaubar für den Einzelnen. Schrecklich? Nur, wenn man meint, das sei alles.
Gott möchte den Menschen das Leben in Fülle schenken. Es ist ja nicht die Bestimmung des Menschen, in Schuld und Elend zu leben, sondern der Mensch soll in Glück und Freude ein erfülltes Leben haben. Doch das kann der Mensch nur, wenn er sich dessen bewusst ist, dass er aus sich heraus nicht vollkommen ist. Jeder Mensch macht Fehler, jeder Mensch sündigt und darum muss sich jeder Mensch auch zu diesen Fehlern und Sünden bekennen. Aber er muss sie nicht alleine und ewig tragen. Er darf sie sich von Gott vergeben lassen. Der Sohn Gottes ist gekommen, um die Sünden der Menschen zu tragen, sie zu ertragen und sie wegzutragen.
Das wahre Glück kann der Mensch nicht aus eigener Kraft erreichen. Ein Glück, das dem Menschen wirklich genügen kann, das kann nichts von Menschenhand Gemachtes sein. Das wahre Glück hat allein in Gott seinen Grund. Doch dieses Glück ist dem Menschen nicht fern, es kommt ihm entgegen. Gott kommt jedem Menschen entgegen, um ihm das Glück als Geschenk anzubieten.
Ist das nicht alles nur ein schöner Traum, zu schön, um wahr zu sein? Fühlen wir uns nicht allzu oft wie in der Verbannung, in einer Welt, in der Gott keinen Platz mehr zu haben scheint und unser Leben ein Frondienst ist für den schnöden Mammon? Wo können wir die Anwesenheit dieses Gottes, der zu uns gekommen ist, in dieser Welt erfahren?