Jesaja 36-39

Hiskija und Jesaja

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Im vierzehnten Jahr des Königs Hiskija zog Sanherib, der König von Assur, gegen alle befestigten Städte Judas und nahm sie ein. Der König von Assur sandte den Rabschake mit einer großen Streitmacht von Lachisch aus nach Jerusalem gegen König Hiskija. Er stellte sich an der Wasserleitung des oberen Teiches auf, der an der Walkerfeldstraße liegt. (Jes 36,1-2)

Die letzte Zeit des Auftretens des Propheten Jesaja fällt in die Regierungszeit des Königs Hiskija (725-696 v Chr.). Am Beginn der Regierungszeit dieses Königs steht der Fall Samarias. Die Stadt Samaria und mit ihr das Nordreich Israel wurden 722 v.Chr. vom Assyrer Salmanassar V. zerstört und 720 von Sargon II. noch einmal eingenommen. Daraufhin kam es zu massiven Deportationen unter der Bevölkerung und viele Juden aus dem Nordreich flohen in das Südreich Juda, das wegen seiner Loyalität gegenüber den Assyrern von Angriffen verschont geblieben ist.
Der enorme Bevölkerungszuwachs und die Tatsache, dass nun das Reich Juda mit seiner Hauptstadt Jerusalem der einzige souveräne Repräsentant des jüdischen Volkes war, führte zu einem enormen Bedeutungszuwachs für Juda und Jerusalem. Bisher war das Nordreich sowohl politisch als auch wirtschaftlich stärker gewesen. Es hatte auch bedeutende Kultorte. Nun aber war man bestrebt, den Tempel in Jerusalem als einzigen Ort der Verehrung des Gottes Israels zu etablieren. Wir finden diese Konzentration auf Jerusalem auch im Jesajabuch wieder. Die Geschichte Israels wurde zu einer Geschichte des auserwählten Reiches Juda und des sowohl politisch als auch religiös abtrünnigen Nordreichs Israel umgeschrieben, wie wir sie in den Geschichtsbüchern der Bibel wiederfinden. Wahrscheinlich hatten die Israeliten aus dem Nordreich aber ihre eigenen religiösen Traditionen. Große Propheten wie Elija und Elischa kamen aus dem Nordreich. Man war nun bestrebt, diese Traditionen mit einem jerusalemzentrierten Geschichtsbild in Einklang zu bringen.
Nach dem enormen politischen, wirtschaftlichen und religiösen Aufschwung Jerusalems wagte König Hiskija den Aufstand gegen die Assyrer. Die Antwort bestand in einem Feldzug König Sanheribs. Alle Städte Judas sind ihm zum Opfer gefallen und im Jahr 701 v.Chr. kam es zur Belagerung Jerusalems. Wie durch ein Wunder wurde Jerusalem gerettet. Wegen Intrigen im Reich wurde das Heer der Assyrer abgezogen und kehrte nicht zurück. Es war eine großartige Rettungstat, die man dem Wirken Gottes zuschrieb.

Das Kapitel 38 berichtet von einer Krankheit Hiskijas, an dessen Heilung Jesaja maßgeblich beteiligt ist. Zu seiner Genesung beglückwünscht König Hiskija auch eine Gesandtschaft aus Babel:

Damals sandte Merodach-Baladan, der Sohn Baladans, der König von Babel, einen Brief und Geschenke an Hiskija; denn er hatte von seiner Krankheit und von seiner Genesung gehört. Hiskija freute sich darüber und zeigte den Gesandten sein Schatzhaus, das Silber und das Gold, die Vorräte an Balsam und feinem Öl, sein ganzes Waffenlager und alle anderen Schätze, die er besaß. Es gab nichts in seinem Haus und in seinem ganzen Herrschaftsbereich, das er ihnen nicht gezeigt hätte. Danach kam der Prophet Jesaja zu König Hiskija und fragte ihn: Was haben diese Männer gesagt? Woher kamen sie? Hiskija antwortete: Sie sind aus einem fernen Land, aus Babel, zu mir gekommen. Er fragte weiter: Was haben sie in deinem Haus gesehen? Hiskija antwortete: Sie haben alles gesehen, was in meinem Haus ist. Es gibt nichts in meinen Schatzkammern, das ich ihnen nicht gezeigt hätte.
Da sagte Jesaja zu Hiskija: Höre das Wort des Herrn der Heere: Es werden Tage kommen, an denen man alles, was in deinem Haus ist, alles, was deine Väter bis zum heutigen Tag angesammelt haben, nach Babel bringt. Nichts wird übrig bleiben, spricht der Herr. Auch von deinen eigenen Söhnen, die du noch bekommen wirst, wird man einige mitnehmen und sie werden als Kämmerer im Palast des Königs von Babel dienen müssen.
Hiskija sagte zu Jesaja: Das Wort des Herrn, das du mir gesagt hast, ist gut. Und er dachte: Zu meinen Lebzeiten herrscht ja noch Friede und Sicherheit. (Jes 39,1-8)

Jesaja wird hier als Vertrauter des Königs gezeigt, der ungehindert Zugang zum König besitzt und der das Recht dazu hat, dem König Fragen zu stellen und ihm auch Ratschläge zu geben. Mit dieser Episode endet der erste Hauptteil des Buches Jesaja. Die letzten Verse dieses Abschnitts weisen darauf hin, was geschehen wird: Ein Nachfolger des Königs von Babel, der sich jetzt als Freund Hiskijas zeigt, wird einst Jerusalem erobern und all die Schätze, die Hiskija vorgezeigt hat, nach Babel holen. Bis dahin wird es aber noch über hundert Jahre hin sein. Wir befinden uns in der Zeit um 700 v.Chr., das Exil in Babylon fällt in die Zeit zwischen 587 und 539 v.Chr. So wird deutlich, dass die folgenden Kapitel, die eindeutig das Exil in Babel voraussetzen, nicht von Jesaja selbst stammen können.
Nur mit dieser Anspielung geht das Buch Jesaja auf das Exil in Babylon ein. Der zweite Teil des Jesajabuches, Deuterojesaja, der nun beginnt, spricht nicht so sehr vom Exil, als vielmehr von der Heimführung der dorthin Verschleppten. Juda und Jerusalem stehen klar im Zentrum des ganzen Jesaja-Buches. Die Verheißungen der Propheten gelten diesem Land und dieser Stadt. Das Exil in Babylon ist nur eine Episode, wichtig ist, wie es danach in Juda und Jerusalem weitergeht. Tritojesaja wird dann in noch späterer Zeit Worte an das Volk richten, das nach dem Exil wieder im Land Juda heimisch geworden ist und erneut in Gefahr steht, wie seine Vorfahren zur Zeit des ersten Jesaja seiner Berufung als Volk Gottes untreu zu werden.