Jeremia 36-45

Berichte Baruchs

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Im vierten Jahr Jojakims, des Sohnes Joschijas, des Königs von Juda, erging vom Herrn dieses Wort an Jeremia: Nimm dir eine Buchrolle und schreib darauf alle Worte, die ich zu dir über Israel und Juda und über alle Völker gesprochen habe, seitdem ich zu dir rede, von den Tagen Joschijas an bis heute. Vielleicht werden die Leute vom Haus Juda, wenn sie hören, wie viel Unheil ich ihnen antun will, umkehren von ihrem bösen Weg und ich kann ihnen Schuld und Sünde verzeihen. (Jer 36,1-3)

Das Buch des Propheten Jeremia hat eine komplizierte Überlieferungsgeschichte. Neben Sprüchen des Propheten sind auch viele Berichte über sein Leben überliefert. Einen solchen Geschichtsblock stellen die Kapitel 36-45 dar. Sie zeigen wichtige Ereignisse im Auftreten des Propheten unmittelbar vor der Eroberung Jerusalems im Jahr 586 v.Chr. Um diese Ereignisse besser zu verstehen, ist eine kurze historische Einordnung nötig.
Unter der langen Regierungszeit des Königs Joschija (640 bis 609 v.Chr.) erlebte das Reich Juda eine Phase des Aufschwungs. Grund dafür war die Schwäche des assyrischen Reiches. Dieses hatte im Jahr 722 v.Chr. das Nordreich Israel erobert und stellte seither auch eine Bedrohung Judas dar. Nun waren die Assyrer durch die aufkommende Macht des neubabylonischen Reiches selbst unter Druck geraten. Für Juda war eine Zeit des Aufatmens gekommen, die Joschija gewinnbringend nutzte. Unter ihm kam es auch du einer Reform des JHWH-Kultes und einer Vertiefung des jüdischen Glaubens. In diese Zeit fällt auch die Berufung des Propheten Jeremia und seine erste Phase der Verkündigung.
Das durch die Schwäche des assyrischen Reiches entstandene Machtvakuum währte indes nicht lange. Zunächst war es Ägypten, das seinen Einfluss nun wieder weiter in den Norden ausdehnen wollte. Ab etwa 612 v.Chr. kam es zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen Juda und Ägypten, in deren Folge König Joschija im Jahre 609 auf dem Schlachtfeld umkam. Joschijas Sohn Joahas wurde daraufhin König von Juda, jedoch bereits nach dreimonatiger Regierungszeit von Pharao Necho abgesetzt. Der Pharao setzte Eljakim, den Halbbruder des Joahas, zum neuen König ein. Eljakim nannte sich von nun an Jojakim und regierte in den Jahren 609 bis 598 v. Chr.
Hatten die Ägypter kurzzeitig die Kontrolle über Juda gewinnen können, so wurden sie bald von dem nun immer stärker werden neubabylonischen Reich zurückgedrängt. Nach ihrem Sieg über die Ägypter in der Schlacht von Karkemisch im Jahr 605 v.Chr. konnten die Neubabylonier unter Nebukadnezzar endgültig ihre Machtposition festigen und machten Juda zu einem Vasallenstaat. Mit dieser Situation wollte sich König Jojakim aber nicht abfinden und lehnte sich im Vertrauen auf ägyptische Hilfe gegen Nebukadnezzar auf. Da dieser zunächst an anderen Enden des Reiches seine Macht festigen musste, dauerte es bis zum Jahr 598 v.Chr., bis er vor Jerusalem erschien und die Stadt belagerte. Jojakim starb während dieser Belagerung, sein Sohn Jojachin öffnete Nebukadnezzar die Tore der geschwächten Stadt. Daraufhin kam es zur ersten Deportation der Juden in die babylonische Gefangenschaft, von der vor allem König Jojachin und die Oberschicht Jerusalems betroffen waren.
Nebukadnezzar setzte in Jerusalem Zidkija, einen Sohn Joschijas, als Vasallenkönig ein (597-587 v.Chr.). Er ist der letzte König des Reiches Juda und es wird von vielen Zusammentreffen zwischen ihm und dem Propheten Jeremia berichtet. Die Warnung des Propheten missachtend lehnte er sich im Vertrauen auf ägyptische Hilfe gegen Nebukadnezzar auf. Dies führte zur erneuten Eroberung und Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezzar und zum Ende des Reiches Juda im Jahr 587 v.Chr. Nun wurde ein Großteil der Bevölkerung nach Babylon ins Exil verschleppt. Nur wenige einfache Leute blieben im Land zurück. Viele weitere flohen nach Ägypten. Auch Jeremia wurde wohl gegen seinen Willen dazu gezwungen, nach Ägypten zu gehen. Dort verliert sich seine Spur und wir erfahren nichts über seine weiteren Lebensjahre bis zu seinem Tod.

Jer 36 Jeremia und Jojakim

Das Kapitel 37 zeigt uns das Auftreten des Propheten Jeremia unter König Jojakim. Baruch, der Schreiber des Propheten, nach dem auch ein eigenständiges Buch der Bibel benannt ist, soll alle Worte Jeremias in einer Buchrolle zusammenschreiben. Diese Buchrolle verliest er dann öffentlich im Tempel. Vertraute des Königs Jojakim berichten dem König davon, woraufhin er sich die Buchrolle bringen lässt. Der König lässt sich daraus vorlesen und verbrennt sie Stück für Stück im Feuer.
Die Worte des Propheten schmeicheln ihm nicht. Im Buch Jeremia erfahren wir, dass der König viele Hofpropheten hatte, die genau das taten. Jeremia aber übte Kritik. Er prangert die Missstände im Innern des Reiches an und hat zudem einen Blick für die außenpolitische Situation. Er erkennt die Schwäche Ägyptens und die neue Macht der Neubabylonier, die vom Norden her unweigerlich auf Jerusalem zukommen wird. Jeremia erkennt, dass Juda zu schwach ist, um sich gegen dieses Großreich zu stellen und dass auch Ägypten keine Hilfe sein wird. Doch Jojakim ist weder bereit, im Innern für Gerechtigkeit zu sorgen, noch die außenpolitische Lage anzuerkennen. Stattdessen will er die ihm unlieben Worte vernichten. Doch Gottes Wort lässt sich nicht vernichten. Baruch fertigt im Auftrag des Jeremia eine neue Buchrolle mit den Worten des Propheten an.

Jer 37-38 Jeremia und Zidkija

König Zidkija wird in den Geschichtsbüchern der Bibel sehr negativ beschrieben. Kein Wunder wenn man bedenkt, dass sein Tun letztlich zum Untergang Judas geführt hat. Er war ein schwacher König, der nicht viel vermochte gegen seine mächtigen Beamten. Es ist aber immer leicht, aus der Ferne zu urteilen. Hätte man doch damals so und so gehandelt. Warum hat man so lange auf Ägypten gesetzt, warum gerade auf Ägypten, das doch selbst Israel und Juda so geknechtet hat. Große geschichtliche Linien kann man immer erst im Abstand der Jahrhunderte ziehen. Wenn man selbst mitten in die komplexen Ereignisse der Geschichte verwoben ist, sieht die Lage ganz anders aus. Und wer weiß, was spätere Generationen über unsere Zeit sagen werden. Warum haben sie damals nicht erkannt, dass ...
Zu fest war damals das Vertrauen auf Ägypten, als dass die Worte Jeremias den König und seine Berater davon hätten abbringen können, auf ägyptische Hilfe zu vertrauen. Und der Pharao scheint ja tatsächlich ein Heer gesandt zu haben und die Neubabylonier, in der Bibel auch Chaldäer genannt, zogen erst einmal ab.

Aus Ägypten war damals das Heer des Pharao aufgebrochen, und als die Chaldäer, die Jerusalem belagerten, davon Nachricht erhielten, rückten sie von Jerusalem ab. Nun erging das Wort des Herrn an den Propheten Jeremia: So spricht der Herr, der Gott Israels: Antwortet dem König von Juda, der euch zu mir gesandt hat, um mich zu befragen: Fürwahr, das Heer des Pharao, das aufgebrochen ist, um euch Hilfe zu bringen, wird in sein Land Ägypten zurückkehren. Dann werden die Chaldäer wieder umkehren, gegen diese Stadt kämpfen, sie erobern und in Brand stecken. So spricht der Herr: Täuscht euch nicht selbst mit dem Gedanken: Die Chaldäer ziehen endgültig von uns ab. Nein, sie ziehen nicht ab. Selbst wenn ihr das ganze Heer der Chaldäer, die gegen euch kämpfen, schlagen könntet und nur einige Verwundete von ihnen übrig blieben, sie würden, jeder in seinem Zelt, aufstehen und diese Stadt in Brand stecken. (Jer 37,5-10)

Es gibt manchmal Ereignisse in der Geschichte, die unabwendbar eintreten. Es gibt eine Zeit der Entscheidung, in der noch alles offen ist. Doch dann fallen gewisse Entscheidungen, Fronten verhärten sich und dann nimmt die Geschichte ihren Lauf. Warum musste ein so starkes Reich wie das Römische Reich untergehen? Warum fand das große christliche byzantinische Reich ein so trauriges Ende? Warum kamen die Türken bis an die Tore Wiens? Warum kam es zur Hölle der beiden Weltkriege? Wir könnten diese Liste unendlich fortsetzen.
Wir fühlen uns heute auf der Seite der Sieger. Europa und allen europäischen Ländern voran Deutschland zählt zu den reichsten Gegenden der Welt. Wir leben in einer Umgebung von Freiheit und Wohlstand, wie es sie in diesem Ausmaß wohl noch nie gegeben hat. Doch immer stärker werden die Bedrohungen dieses Zustandes erfahrbar. Im Innern bröckelt die Solidarität unter den Menschen. Wenige Menschen werden immer reicher, während viele immer ärmer werden. Viele Menschen wissen nicht mit ihrer Freiheit umzugehen und öffnen so die Tür für neue Formen der Unfreiheit. Von außen drängen die Menschen heran, auf deren Kosten wir uns so lange bereichert haben. Unsere Verschwendung und Gier zerstören die Erde. Wo führt uns diese Entwicklung hin?
Zu allen Zeiten treten Mahner auf, deren Blick über den eigenen Tellerrand hinausgeht. Sie warnen vor Fehlentwicklungen, solange diese noch revidiert werden können. Doch ihnen wird nur selten Gehör geschenkt. Der Blick der Menschen geht oft nur in eine Richtung und ist blind für Alternativen. Die politischen Führer bleiben ihrer Linie treu, solange es irgendwie geht. Erst eine Katastrophe kann diese Linie stoppen.
Eine solche Katastrophe war auch das Ende Jerusalems. Doch wir wissen heute, dass es nicht das Ende war. Jede Katastrophe birgt in sich auch die Möglichkeit zu einem Neuanfang. Nach dem Untergang traten Propheten auf, die dem Volk neuen Mut machten. Auch wenn es damals keiner geglaubt hätte, aber nach einigen Jahren werden die Juden freudig aus dem Exil in Babylon zurückkehren und die Trümmer Jerusalems wieder aufbauen. Aber zunächst kam eine schwere Zeit über Juda und seine Bewohner. Viele verloren alles, was sie hatten, viele mussten sterben.
Es ist eine dunkle Zeit, in der Jeremia auftritt. Viel Klage steckt in seinen Worten, aber auch immer wieder die Hoffnung auf das neue Heil. Jeder Tod birgt neues Leben, jeder Untergang auch einen Neuanfang. Aber der Weg dahin ist schwer. Jeremia hat nicht vom bequemen Divan aus schöne Worte gesprochen, sondern hat das Leid und die Dunkelheit seiner Zeit am eigenen Leib erfahren. Jeremia ruft die Bewohner Jerusalems offen dazu auf, zum Feind überzulaufen, um ihr Leben zu retten. Wehrkraftzersetzung würde man das mit modernen Worten bezeichnen oder gar Hochverrat. Das können die Beamten des Königs nicht dulden. Bei aller Sympathie des Königs für Jeremia, er kann sein Leben nicht beschützen. Man wirft ihn in eine Zisterne, in der nur noch Schlamm ist, damit der dort unten jämmerlich stirbt.

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Jeremia
Schefatja, der Sohn Mattans, Gedalja, der Sohn Paschhurs, Juchal, der Sohn Schelemjas, und Paschhur, der Sohn Malkijas, hörten von den Worten, die Jeremia zum ganzen Volk redete, indem er sagte: So spricht der Herr: Wer in dieser Stadt bleibt, der stirbt durch Schwert, Hunger und Pest. Wer aber zu den Chaldäern hinausgeht, der wird überleben; er wird sein Leben wie ein Beutestück gewinnen und davonkommen. So spricht der Herr: Diese Stadt wird ganz sicher dem Heer des Königs von Babel in die Hände fallen und er wird sie erobern.
Darauf sagten die Beamten zum König: Dieser Mann muss mit dem Tod bestraft werden; denn er lähmt mit solchen Reden die Hände der Krieger, die in dieser Stadt noch übrig geblieben sind, und die Hände des ganzen Volkes. Denn dieser Mensch sucht nicht Heil, sondern Unheil für dieses Volk. Der König Zidkija erwiderte: Nun, er ist in eurer Hand; denn der König vermag nichts gegen euch.
Da ergriffen sie Jeremia und warfen ihn in die Zisterne des Prinzen Malkija, die sich im Wachhof befand; man ließ ihn an Stricken hinunter. In der Zisterne war kein Wasser, sondern nur Schlamm und Jeremia sank in den Schlamm.
Der Kuschiter Ebed-Melech, ein Höfling, der im königlichen Palast bedienstet war, hörte, dass man Jeremia in die Zisterne geworfen hatte. Während der König sich am Benjamintor aufhielt, verließ Ebed-Melech den Palast und sagte zum König: Mein Herr und König, schlecht war alles, was diese Männer dem Propheten Jeremia angetan haben; sie haben ihn in die Zisterne geworfen, damit er dort unten verhungert. Denn es gibt in der Stadt kein Brot mehr.
Da befahl der König dem Kuschiter Ebed-Melech: Nimm dir von hier drei Männer mit und zieh den Propheten Jeremia aus der Zisterne herauf, bevor er stirbt. Ebed-Melech nahm die Männer mit sich und ging zum Königspalast in die Kleiderkammer des Vorratshauses. Dort holte er Stücke von abgelegten und zerrissenen Kleidern und ließ sie an Stricken zu Jeremia in die Zisterne hinunter. Dann rief der Kuschiter Ebed-Melech Jeremia zu: Leg die Stücke der abgelegten und zerrissenen Kleider in deine Achselhöhlen unter die Stricke! Jeremia tat es. Nun zogen sie Jeremia an den Stricken hoch und brachten ihn aus der Zisterne herauf. Von da an blieb Jeremia im Wachhof. (Jer 38,1-13)

Deutlich zeigt der Text, wie der König ohne eignen Willen von dem, was um ihn herum geschieht, hin und her gerissen wird. Zunächst muss er seinen Beamten den Wunsch erfüllen, Jeremia in die Zisterne werfen zu lassen. Das wäre der sichere Tod des Propheten gewesen, wenn er nicht einen Fürsprecher gehabt hätte. Der Kuschiter Ebed-Melech, wahrscheinlich ein Farbiger, ein Ausländer aus dem mächtigen, südlich von Ägypten gelegenen Reich der Nubier, tritt für Jeremia ein. Er macht den König auf das Unrecht aufmerksam, das Jeremia wiederfahren ist. Detailliert wird die Rettungsaktion für den Propheten beschrieben.
Der König befiehlt Ebed-Melech, drei Männer mitzunehmen. In der königlichen Kleiderkammer suchen sie brauchbare Kleidungsreste, die sie an Stricken befestigen und zu Jeremia in die Zisterne herunterlassen. Jeremia soll sich den Stoff in die Achselhöhlen unter die Stricke legen. Somit wird verhindert, dass Jeremia sich verletzt, während ihn die vier Männer aus der Zisterne ziehen.
Blicken wir auf den Mut des Ebed-Melech. Im Gegensatz zu den Beamten, hatte er nur eine untergeordnete Stellung am Königshof. Was genau seine Aufgabe war, wissen wir nicht. Wir wissen auch nicht, in welchem Verhältnis er zu Jeremia stand. Was lag ihm an dem Propheten? Mit seinem Eintreten für Jeremia riskiert er sein eigenes Leben. Man hätte ihn zu Jeremia in die Zisterne werfen können, damit beide dort sterben. Aber der König hört auf ihn. So wird das Leben des Propheten gerettet. Der Name von Ebed-Melech bleibt durch die Jahrhunderte hindurch ein Zeichen dafür, wie auch kleine Menschen etwas bewegen können.
Es ist eben nicht so, dass einfache Menschen als kleines Rädchen im großen Getriebe eines Staates nichts ausrichten könnten. Das wird allzu leicht als Entschuldigung dafür hergenommen, weil man sich nicht traut, den Mund aufzumachen. Die da oben entscheiden doch, was geschieht, ich kann nichts machen. Wie oft hört man auch heute diesen Satz. Dabei kann ein einfacher Mensch, wenn er nur den Mut hat, für seine Überzeugung einzutreten, den Lauf der Geschichte verändern. Vielleicht kann uns das des sogenannte Gelassenheitsgebet, das wahrscheinlich auf den Theologen Reinhold Niebuhr zurückgeht, hier eine Hilfe sein:

Gott, gib mir die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.