Jeremia 20,1-18

Prophetenschicksal

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Jeremia
Der Priester Paschhur, der Sohn des Immer, der Oberaufseher im Haus des Herrn, hörte, wie Jeremia diese prophetischen Worte verkündete. Da ließ Paschhur den Propheten Jeremia schlagen und in den Block spannen, der im oberen Benjamintor beim Haus des Herrn war. (Jer 20,1-2)

Es ist Krieg in Jerusalem, ein furchtbarer Krieg. Die Stadt wird von den Feinden eingeschlossen, das Elend ist groß, Hunger und Krankheiten fordern täglich mehr Opfer. Doch die Menschen verstehen nicht, was geschieht. Das Volk und seine Anführer glauben weiterhin daran, dass Gott sein auserwähltes Volk verschonen wird, dass die Stadt mit dem Tempel des Herrn niemals von Feinden eingenommen werden kann.
Doch sie täuschen sich. Längst hat der Herr schon durch die Propheten das Unheil der Stadt vorausgesagt, weil ihre Bewohner nicht mehr nach dem Willen des Herrn leben. Sie geben zwar noch vor, fromm zu sein, aber es ist äußerer Schein. In ihrem Inneren werden sie bestimmt von der Grier nach Reichtum und Genuss. Die Oberschicht bereichert sich auf Kosten der Armen und der Gottesdienst ist zu einem leeren Ritual geworden.
Jeremia redet offen vom bevorstehenden Unheil. Deshalb soll er aus dem Weg geschafft werden. Der Priester Paschhur lässt Jeremia festnehmen. Dafür wird er mit einer eigenen Prophezeiung Jeremias "belohnt". Er und sein ganzes Haus werden in die Verbannung nach Babylon ziehen und auf fremder Erde begraben werden.

Als ihn Paschhur am nächsten Morgen aus dem Block entließ, sagte Jeremia zu ihm: Nicht mehr Paschhur nennt dich der Herr, sondern: "Grauen ringsum". Denn so spricht der Herr: Ja, ich gebe dich dem Grauen preis, dich und alle deine Freunde. Sie werden unter dem Schwert ihrer Feinde fallen und du musst mit eigenen Augen zusehen. Ganz Juda aber gebe ich in die Hand des Königs von Babel; er wird sie nach Babel wegführen und mit dem Schwert erschlagen. Auch allen Besitz dieser Stadt, all ihre Habe, alles Kostbare und alle Schätze der Könige von Juda gebe ich in die Hand ihrer Feinde; sie werden alles rauben, wegschleppen und nach Babel bringen. Du aber, Paschhur, und alle deine Hausgenossen, ihr werdet in die Verbannung ziehen; nach Babel wirst du kommen, dort wirst du sterben und dort begraben werden, du und alle deine Freunde, denen du Lügen geweissagt hast. (Jer 20,3-6)

Immer wieder sagt Jeremia im Namen Gottes der Stadt Jerusalem und dem Königreich Juda den Untergang voraus. Doch in der Stadt herrscht Sorglosigkeit. Die Menschen ahnen nichts von dem Unheil, das über sie kommen soll. Zwar wurde das Nordreich Israel vor einiger Zeit erobert, ein Teil der Bevölkerung hat sich in alle Winde verstreut, ein anderer Teil ist nach Juda geflohen. Doch es herrschte schon immer Feindschaft zwischen den Königreichen Juda und Israel. Allein Jerusalem war die Stadt Davids und der Tempel in Jerusalem der Ort der Wohnung Gottes auf Erden. Man sah im Nordreich Israel Abgefallene, die nun durch die Eroberung die gerechte Strafe erlangt haben.
In Jerusalem aber vertraute man auf den Tempel. Kann Gott denn die Stadt im Stich lassen, in der sein Tempel steht? Dabei nahm man es aber nicht so genau mit der Verehrung Gottes. Äußerlich hielt man natürlich zum Gott Israels, aber an seine Gebote hielt man sich nicht wirklich. Man fand nichts dabei, auch anderen Göttern zu opfern, mit dem Sabbatgebot nahm es auch nicht so genau, und vor allem galt in der Gesellschaft das Recht des Stärkeren und die Oberschicht beutete die einfache Bevölkerung gnadenlos aus.
Jeremia muss im Namen Gottes reden, muss Worte sagen, die niemand hören will, Worte, die keiner verstehen will. Er sagt der Stadt und dem Tempel den Untergang voraus. Das ist doch Gotteslästerung! Rufen die Priester im Tempel und die Vornehmen können es nicht ertragen, dass er ihr Streben nach Reichtum und Luxus kritisiert. Sie alle verfolgen Jeremia, er wird mit Redeverbot belegt, eingesperrt, man will ihn sogar töten, doch Jeremia lässt sich nicht einschüchtern, sobald er wieder auf freien Fuß ist, beginnt er wieder, prophetisch zu reden. Er muss reden, weil Gott es ihm aufgetragen hat.
Doch all die Anfeindungen gehen nicht spurlos an Jeremia vorbei. Er kommt in die Not, in die alle Menschen kommen, die Gott nahe sind, sie erfahren die größte Gottferne und Verlassenheit. Jeremia beginnt mit sich und seinem Geschick zu hadern, er fragt sich, wer dieser Gott ist, in dessen Namen er auftritt. Wie erfahren von Jeremia wie von keinem anderen Propheten, wie sehr er unter der Last leidet, die ihm sein Prophetenamt aufbürdet. Er ist aus der Gesellschaft ausgegrenzt, sogar seine Familie distanziert sich von ihm. Kaum jemand hält zu ihm. Fünf Abschnitte gibt es im Buch Jeremia, in denen der Prophet über sein Schicksal klagt, mit Gott hadert, sein Unverständnis darüber zum Ausdruck bringt, wie Gott mit ihm umgeht. Wie kann Gott seinen Propheten in solch ausweglose Situationen bringen, in eine solche Verzweiflung?

Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören; du hast mich gepackt und überwältigt. Zum Gespött bin ich geworden den ganzen Tag, ein jeder verhöhnt mich. Ja, sooft ich rede, muss ich schreien, "Gewalt und Unterdrückung!" muss ich rufen. Denn das Wort des Herrn bringt mir den ganzen Tag nur Spott und Hohn. Sagte ich aber: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen sprechen!, so war es mir, als brenne in meinem Herzen ein Feuer, eingeschlossen in meinem Innern. Ich quälte mich, es auszuhalten, und konnte nicht. (Jer 20,7-9)
Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören.

Der Prophet Jeremia spricht diesen Satz, als er sich in der größten Not von allen Menschen verlassen fühlt und wegen seines Dienstes für Gott von den Menschen geschmäht wird. Es gibt mehrere Möglichkeiten, diesen Satz zu übersetzen.

Du, Herr, hast mich betört.
Du, Herr, hast mich getäuscht.
Du, Herr hast mich betrogen.
Du, Herr, hast mich verführt.

Von Gott betrogen? Kann Gott einen Menschen betrügen? Gott betrügt nicht, er hält ewig die Treue. Aber er handelt anders, als wir Menschen es erwarten. Uns fällt es nicht leicht, den Willen Gottes zu verstehen. Wer könnte es Jeremia verdenken, wenn er an Gottes Treue zweifeln würde. Ähnlich fühlte sich auch der Prophet Jona von Gott betrogen, als Gott das Strafgericht nicht Wirklichkeit werden ließ, dass er prophezeit hatte. Wie stand der Prophet nun da. Er wartete auf den Untergang der Stadt und nichts geschah, und doch ist in den Augen Gottes sehr viel geschehen. Die Menschen haben sich bekehrt und Gott hat die Stadt nicht vernichtet.
Doch den Worten Jeremias glaubt keiner, Jerusalem rast blindlings auf sein Verderben zu. Die späteren Kapitel des Buches Jeremia berichten von der Belagerung Jerusalems, seiner Eroberung und der Verschleppung der Bevölkerung in das Exil nach Babylon. Vielleicht hätte die Geschichte ein anderes Ende genommen, wenn sich die Menschen auf Jeremias Ruf hin bekehrt hätten. Doch im Exil macht Israel eine ganz neue Erfahrung. Auch im fernen Land, fern vom Tempel, der nun zerstört ist, ist Gott seinem Volk nahe.

Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören.

Hat Gott Jeremia etwa getäuscht? Wozu musste Jeremia das alles ertragen, wenn doch keiner auf seine Worte hört, wenn Gott doch einen ganz anderen Plan hat, um seine Liebe zu seinem Volk zum Ausdruck zu bringen? Ist es dann nicht besser, wie die anderen zu feiern, solange es noch Wein gibt. Irgendwie geht es ja doch weiter. Sollen wir auch heute alle Mahnungen zur Umkehr in den Wind schießen, es uns einfach gut gehen lassen und nicht an morgen denken? Umweltzerstörung, Klimawandel, Hungersnöte, Krankheiten, Katastrophen, alles egal, solange es uns nicht trifft und wenn es uns trifft, dann hatten wir wenigstens eine schöne Zeit?
Wie viele Menschen mögen so denken? Auch Psalm 73 setzt sich mit dieser Frage auseinander. Dort heißt es:

Wahrhaftig, so sind die Frevler: Immer im Glück, häufen sie Reichtum auf Reichtum. Also hielt ich umsonst mein Herz rein und wusch meine Hände in Unschuld. ...
Da sann ich nach, um das zu begreifen; es war eine Qual für mich, bis ich dann eintrat ins Heiligtum Gottes und begriff, wie sie enden. Ja, du stellst sie auf schlüpfrigen Grund, du stürzt sie in Täuschung und Trug. Sie werden plötzlich zunichte, werden dahingerafft und nehmen ein schreckliches Ende. ...
Ich aber bleibe immer bei dir, du hältst mich an meiner Rechten. Du leitest mich nach deinem Ratschluss und nimmst mich am Ende auf in Herrlichkeit. Was habe ich im Himmel außer dir? Neben dir erfreut mich nichts auf der Erde. Auch wenn mein Leib und mein Herz verschmachten, Gott ist der Fels meines Herzens und mein Anteil auf ewig.

Es gibt einen Unterschied zwischen denen, die sich um ein rechtschaffenes Leben bemühen und denen, die einfach sorglos in den Tag hinein leben, es sich gut gehen lassen und nicht nach Gott und ihren Mitmenschen fragen. Wer mit Gott lebt, der lebt aus einer anderen Zuversicht heraus. Auch Jesus sagt ja: "Sorgt euch um nichts." - Fügt aber hinzu: "Euch muss es zuerst um Gottes Reich und um seine Gerechtigkeit gehen" (vgl. Mt 6,31.33). Und an anderer Stelle: "Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen. Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen?" (Mt 16,25f.).
Wer bereit ist, Gottes Willen zu tun, geht nicht auf dem weiten Weg des Überflusses und der Macht, sondern geht auf den engen Weg der Demut, der ihm auch Schmerz und Bedrängnis bringen kann. Aber trotzdem ist es der Weg des inneren Glücks, denn Gott ist überall bei ihm.

Man soll sich ganz den Armen Gottes überlassen. Will uns Gott in den Himmel heben, so sei es; will er uns in den Abgrund hinabführen, so empfinden wir darüber keinen Schmerz, wenn wir nur zusammen mit unserem höchsten Gut dorthin gehen. (Teresa von Avila)
Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören.

Am ehesten drückt dieser Satz also die Leidenschaft aus, mit dem der Prophet seinem Gott folgt. Vor einigen Jahren lief der Film "Die große Stille" und der Vers des Propheten Jeremia wurde darin zum Schlüsselwort. Der Mönch geht in die Einsamkeit, entsagt der Welt und lebt ein einfaches Leben in Gebet und Stille, weil er von dieser Leidenschaft nach Gott gezogen wird. Er lässt sich von Gott verführen, wie ein Mann von einer schönen Frau.
In der Geschichte Israels erscheint Gott oft als liebender Bräutigam, der sein Volk, die Braut, verführen möchte. Ganz besonders wird dies im Hohenlied deutlich oder auch beim Propheten Hosea. Gott will uns verführen, will uns verzaubern, dass wir so den Weg zu unserem höchsten Glück finden, auf ewig bei Gott zu sein.
Gott will uns verführen. Er will uns das ewige Leben "schmackhaft" machen. Nachfolge ist keine fade Angelegenheit, keine Sache für Menschen, die es sonst im Leben zu nichts gebracht haben. Nachfolge ist eine Herausforderung, ein Liebesspiel der ganz besonderen Art für Menschen, die das Leben suchen. Gott will den Menschen für sich gewinnen. Der Mensch soll erkennen, dass er bei Gott mehr findet, als die Welt ihm zu bieten hat. Gott allein kann den Lebens- und Liebeshunger des Menschen stillen.
Wir müssen aufmerksam sein, die zarten Verführungen Gottes in unserem Leben zu entdecken. Wenn ein Mensch sich aber einlässt auf das Werben Gottes, wenn er sich einlässt auf das Liebesabenteuer mit Gott, dann wird er erkennen, wie sehr sich Gott nach jedem einzelnen Menschen sehnt und wie sehr er uns beschenken möchte.

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Jeremia
Ich hörte das Flüstern der Vielen: Grauen ringsum! Zeigt ihn an! Wir wollen ihn anzeigen. Meine nächsten Bekannten warten alle darauf, dass ich stürze: Vielleicht lässt er sich betören, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.
Doch der Herr steht mir bei wie ein gewaltiger Held. Darum straucheln meine Verfolger und kommen nicht auf. Sie werden schmählich zuschanden, da sie nichts erreichen, in ewiger, unvergesslicher Schmach. Aber der Herr der Heere prüft den Gerechten, er sieht Herz und Nieren. Ich werde deine Rache an ihnen erleben; denn dir habe ich meine Sache anvertraut. Singt dem Herrn, rühmt den Herrn; denn er rettet das Leben des Armen aus der Hand der Übeltäter.
Verflucht der Tag, an dem ich geboren wurde; der Tag, an dem meine Mutter mich gebar, sei nicht gesegnet. Verflucht der Mann, der meinem Vater die frohe Kunde brachte: Ein Kind, ein Knabe ist dir geboren!, und ihn damit hoch erfreute. Jener Tag gleiche den Städten, die der Herr ohne Erbarmen zerstört hat. Er höre Wehgeschrei am Morgen und Kriegslärm um die Mittagszeit, weil er mich nicht sterben ließ im Mutterleib. So wäre meine Mutter mir zum Grab geworden, ihr Schoß auf ewig schwanger geblieben. Warum denn kam ich hervor aus dem Mutterschoß, um nur Mühsal und Kummer zu erleben und meine Tage in Schande zu beenden? (Jer 20,10-18)

Jeremia tritt im Namen Gottes auf, er hält den führenden Männern der Stadt ihr Unrecht vor Augen, sagt ihnen deutlich, dass es die Folge ihrer Vergehen ist, was nun mit der Stadt geschieht, und er macht ihnen klar, dass Gott sie nicht retten wird. Gott hat einen Neuanfang beschlossen und damit dieser geschehen kann, muss erst die alte Stadt untergehen. Das bevorstehende Exil in Babylon wird das Denken Israels und seine Beziehung zu Gott entscheidend verändern.
Jeremia ist den führenden Männern lästig. Sie können es nicht ertragen, dass da einer die Wahrheit sagt und noch dazu, dass er im Namen Gottes den Untergang der Stadt prophezeit. Sie sperren Jeremia ein, er sitzt in einem finsteren Loch und ist kurz vor dem Verhungern. Er denkt an seinen Dienst für Gott und wohin ihn dieser Dienst nun geführt hat. Vielleicht zweifelt er auch an diesen Gott, in dessen Namen er aufgetreten ist. Behandelt Gott so seine Diener?
Doch der Prophet ist durch und durch von Gott ergriffen. Er kann Gott nicht verleugnen und kann nicht aufhören, von dem zu reden, was Gott ihm gezeigt hat. Er wird die Worte Gottes verkünden, egal was seine Gegner ihm antun mögen. Dabei ist er sich sicher, dass Gott ihn retten wird. Gott wird seinen Propheten nicht verlassen. Auch wenn er jetzt in der Dunkelheit des Kerkers dahinschmachtet, er kann das Licht der Rettung sehen und glaubt an die Größe Gottes, der sein Wort in Erfüllung gehen lässt.

Herr, ich habe dir meine Sache anvertraut.
Du wirst nicht säumen, Herr,
wenn ich hoffend auf dich warte.
(Hl. Johannes vom Kreuz)