Daniel 10-12

Letzte Offenbarungen

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Im dritten Jahr des Königs Kyrus von Persien empfing Daniel, der auch Beltschazzar heißt, eine Offenbarung. Das Wort ist zuverlässig und kündigt große Not an. Er suchte das Wort zu verstehen und das Verständnis wurde ihm in einer Vision gegeben. (Dan 10,1)

Die letzte Vision des Propheten, die das Buch Daniel uns überliefert, handelt vom Untergang der Völker und der Rettung der Kinder Gottes. Nach der einleitenden Schilderung der Begleitumstände der Vision folgt eine groß angelegte Geschichtsschau, die sich historisch gut zuordnen lässt. Ab Dan 11,40 beginnt mit dem Hinweis "zur Zeit des Endes" die eigentliche Vorausschau in die Zukunft. Wichtiger als die Vision vom Untergang der Völker ist die in Dan 12 zum Ausdruck kommende Hoffnung auf die Auferstehung derer, die unschuldig gestorben sind.
Der Zeitpunkt der Vision wird auf den Anfang der Regierungszeit des Perserkönigs Kyros gelegt. Der Einleitung nach war Daniel unter den Juden, die bei der Eroberung Jerusalems nach Babylon verschleppt wurden. Er bekam eine hohe Stellung unter den Königen von Babel, hat die Zeit des Exils überlebt und ist nun in den Dienst des Persers Kyros getreten. Er soll dort maßgeblich an dem Edikt beteiligt gewesen sein, das den Juden die Heimkehr in ihre Heimat erlaubt hat.
Es ist jedoch zweifelhaft, ob der folgende Text auch wirklich in dieser Zeit entstanden ist. Vielleicht ist die historische Vorausschau in die Zukunft vielmehr eine Geschichtsdeutung aus späterer Zeit. Auch der Glaube an eine Auferstehung ist im Judentum erst spät entstanden. Wir begegnen ihm im Alten Testament in dieser Form sonst nur in den Büchern der Makkabäer. Diese sind im 2. Jahrhundert v. Chr. entstanden, zu einer Zeit, als sich gläubige Juden gegen die Einflüsse des Hellenismus wehrten und dafür verfolgt und getötet wurden. Die Vision des Propheten Daniel passt gut in diese Zeit, in der die Griechen als das vierte der vier Weltreiche (Dan 2) auf dem Höhepunkt ihrer Macht und zugleich kurz vor ihrem Untergang sind. Die Vision ist ein Trost für alle, die in dieser Zeit treu zu ihrem Glauben stehen und dafür Drangsal erleiden müssen und auch getötet werden.

In jenen Tagen hielt ich, Daniel, drei Wochen lang Trauer. Nahrung, die mir sonst schmeckte, aß ich nicht; Fleisch und Wein kamen nicht in meinen Mund; auch salbte ich mich nicht, bis drei volle Wochen vorbei waren. Am vierundzwanzigsten Tag des ersten Monats stand ich am Ufer des großen Flusses, des Tigris. Ich blickte auf und schaute. Und siehe, da war ein Mann, der in Leinen gekleidet war und seine Hüfte war mit einem Gürtel aus feinstem Gold gegürtet. Sein Körper glich einem Chrysolith, sein Gesicht leuchtete wie ein Blitz und die Augen waren wie brennende Fackeln. Seine Arme und Beine glänzten wie polierte Bronze. Seine Worte waren wie das Getöse einer großen Menschenmenge. Nur ich, Daniel, sah diese Erscheinung; die Männer, die bei mir waren, sahen die Erscheinung nicht; doch ein großer Schrecken befiel sie, sodass sie wegliefen und sich versteckten. So blieb ich allein zurück und sah diese gewaltige Erscheinung. Meine Kräfte verließen mich; ich wurde totenbleich und konnte mich nicht mehr aufrecht halten. (Dan 10,2-8)

Nach Tagen der Trauer und des Fastens hat Daniel eine Vision, die nur ihm zu Teil wird. Seine Begleiter spüren diesen Moment, hören und sehen aber nichts davon. Eine Lichtgestalt tritt vor Daniel hin, der erschrocken zu Boden fällt. Doch der Bote Gottes richtet Daniel auf und weiht ihn ein in Gottes Plan.

Ich hörte den Schall seiner Worte; beim Schall seiner Worte fiel ich betäubt zu Boden und blieb, mit dem Gesicht am Boden, liegen. Doch eine Hand fasste mich an und half mir auf Knie und Hände. Dann sagte er zu mir: Daniel, du geliebter Mann, achte auf die Worte, die ich dir zu sagen habe! Stell dich aufrecht hin; denn ich bin jetzt zu dir gesandt. Als er so mit mir redete, erhob ich mich zitternd.
Dann sagte er zu mir: Fürchte dich nicht, Daniel! Schon vom ersten Tag an, als du dich um Verständnis bemühtest und dich deswegen vor deinem Gott beugtest, wurden deine Worte gehört und wegen deiner Worte bin ich gekommen. Der Fürst des Perserreiches hat sich mir einundzwanzig Tage entgegengestellt, aber Michael, einer der ersten unter den Fürsten, kam mir zu Hilfe und ich wurde dort bei den Königen von Persien gelassen. Und jetzt bin ich gekommen, dich verstehen zu lassen, was deinem Volk am Ende der Tage widerfahren wird, denn es wird noch eine Vision geben für jene Tage. (Dan 10,9-14)
Während er das zu mir sagte, blickte ich zu Boden und blieb stumm. Da berührte eine Gestalt, die aussah wie ein Mensch, meine Lippen. Nun konnte ich den Mund wieder öffnen und sprechen. Ich sagte zu dem, der vor mir stand: Mein Herr, als ich die Vision sah, wand ich mich in Schmerzen und verlor alle Kraft. Wie kann ich, der Knecht meines Herrn, mit meinem Herrn reden? Mir fehlt seitdem jede Kraft, selbst der Atem stockt mir.
Da berührte mich die Gestalt, die wie ein Mensch aussah, von Neuem, stärkte mich und sagte: Fürchte dich nicht, du geliebter Mann! Friede sei mit dir. Sei stark, ja, sei stark! Als er so mit mir redete, fühlte ich mich gestärkt und sagte: Nun rede, mein Herr, denn du hast mich gestärkt!
Er sagte: Weißt du, warum ich zu dir gekommen bin? Ich muss bald zurückkehren und mit dem Fürsten von Persien kämpfen. Wenn ich von dort weggegangen bin, dann wird der Fürst von Jawan kommen. Aber ich will dir mitteilen, was im Buch der Wahrheit aufgezeichnet ist. Es gibt aber niemanden, der sich mit mir gegen diese starkmacht, außer eurem Fürsten Michael. (Dan 10,15-21)
In jener Zeit tritt Michael auf, der große Fürst, der für die Söhne deines Volkes eintritt. (Dan 12,1a)

Im Buch Daniel wandelt sich die Vorstellung vom Gott Israels zum Gott aller Völker. Der Gott des Himmels, der Gott des Volkes Israel, ist Herrscher der ganzen Welt. Die Völker werden regiert von Engelsfürsten, die untereinander im Kampf sind, die aber letztlich alle dem Gott des Himmels unterstehen. Der Krieg der Völker auf der Erde hat sein Gegenstück im Kampf der Engelsfürsten im Himmel, ein Bild, das uns auch in der Offenbarung des Johannes begegnet. Dort geht der Verfolgung der Gläubigen auf Erden der Kampf gegen im Himmel voraus. Michael ist der Engelsfürst des Volkes Israel, der dieses gegen die Völker verteidigt, indem er gegen die Fürsten der Völker kämpft.

Dann kommt eine Zeit der Not, wie noch keine da war, seit es Völker gibt, bis zu jener Zeit. (Dan 12,1b)

Der Kampf ist hart und fordert seine Opfer, dies ist die Zeit der Not, von der im Buch Daniel ebenso wie in anderen apokalyptischen Büchern die Rede ist. Aber Michael wird siegreich sein und die Gläubigen werden gerettet werden.

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Daniel
Doch zu jener Zeit wird dein Volk gerettet, jeder, der im Buch verzeichnet ist. (Dan 12,1c)

Hier begegnet uns das Buch des Lebens, in dem alle verzeichnet sind, die gerettet werden. Über die Offenbarung des Johannes hat der Gedanke vom Buch des Lebens auch in das Christentum Eingang gefunden. Was in einem Buch verzeichnet ist, steht fest und ist sicher dokumentiert. Was im Staub geschrieben ist, verfliegt mit dem Wind, Gedanken können sich ändern, aber was in einem Buch steht, kann immer wieder nachgelesen werden. Gott vergisst seine Getreuen nicht, so hören wir oft im Alten Testament. Wenn er nun seine Getreuen auch noch zusätzlich in seinem Buch festhält, ist dies eine doppelte Sicherheit dafür, dass Gott sich ihrer annehmen wird.

Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu. Die Verständigen werden glänzen wie der Glanz der Himmelsfeste und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben, wie die Sterne für immer und ewig. (Dan 12,2-3)

Daniel versucht zu beschreiben, wie das sein wird, wenn die Toten zu neuem Leben auferweckt werden. Deutlich wird hier, dass die Auferstehung alle betrifft, die Guten und die Bösen. Die Bösen werden in ewiger Schmach enden, ein Gedanke, aus dem sich das Bild von der Hölle entwickelt hat. Daniel beschreibt diesen Zustand nicht. Sein Augenmerk gilt vielmehr dem Schönen und Strahlenden, das die Gerechten erwarten wird. Sie werden Licht sein und glänzen, leuchtend hell strahlen wie die Sterne in alle Ewigkeit.
Daher braucht uns irdische Not nicht zu erschrecken, solange wir Gott treu bleiben. Mögen die Gläubigen auch im finsteren Kerker eingesperrt sein, das Licht, das sie erwartet, wird heller sein als alle Sonnen. Nur kurz ist die Zeit der Not, ewig aber die Zeit des Heils.

Herr Jesus Christus,
lass mich standhaft sein in dunklen Zeiten
und stets in der Gewissheit leben
dass du das Licht der Welt bist und
dass du uns führen willst in jenes Licht,
das du selbst bist.
Hilf mir zu leben als Kind des Lichtes
und gib mir die Kraft
gegen die Finsternis zu kämpfen
in deinem Namen.
Amen.