Genesis 18,1-15

Gott bei Abraham

.
Heilige Schrift
Der Herr erschien Abraham bei den Eichen von Mamre, während er bei der Hitze des Tages am Eingang des Zeltes saß. Er erhob seine Augen und schaute auf, siehe, da standen drei Männer vor ihm. Als er sie sah, lief er ihnen vom Eingang des Zeltes aus entgegen, warf sich zur Erde nieder und sagte: Mein Herr, wenn ich Gnade in deinen Augen gefunden habe, geh doch nicht an deinem Knecht vorüber! Man wird etwas Wasser holen; dann könnt ihr euch die Füße waschen und euch unter dem Baum ausruhen. Ich will einen Bissen Brot holen, dann könnt ihr euer Herz stärken, danach mögt ihr weiterziehen; denn deshalb seid ihr doch bei eurem Knecht vorbeigekommen. Sie erwiderten: Tu, wie du gesagt hast!
Da lief Abraham eiligst ins Zelt zu Sara und rief: Schnell drei Sea feines Mehl! Knete es und backe Brotfladen! Er lief weiter zum Vieh, nahm ein zartes, prächtiges Kalb und übergab es dem Knecht, der es schnell zubereitete. Dann nahm Abraham Butter, Milch und das Kalb, das er hatte zubereiten lassen, und setzte es ihnen vor. Er selbst wartete ihnen unter dem Baum auf, während sie aßen. (Gen 18,1-8)

Die Eichen von Mamre werden bereits in Gen 13,18 als Ort erwähnt, an dem Abraham sich niedergelassen und dem Herrn einen Altar erbaut hat. Dieser nichtmehr genau lokalisierbare Ort liegt in der Nähe von Hebron. Ihm gegenüber liegt Machpela, wo Abraham ein Grundstück gekauft hat, in dessen Höhle er zunächst Sara bestattet hat (Gen 23,16-20) und die später sein eigener Begräbnisort wurde (Gen 25,9-10). Wir können daraus schließen, dass die Gegend um Mamre ein bedeutsamer Ort im Leben Abrahams gewesen ist. Genau hier geschieht auch eine der mysteriösesten Begegnungen zwischen Gott und Mensch.
Gott, der Herr, erschien Mamre in Gestalt von drei Männern. Diese drei Männer oder auch Engel, als die sie teilweise vorgestellt werden, wurden schon früh als ein Hinweis auf die Dreifaltigkeit Gottes gedeutet. Denn obgleich sie als drei erscheinen, ist es der eine Herr, der durch sie spricht. Andrej Rublev hat diese Begebenheit zu seiner berühmten Dreifaltigkeitsikone inspiriert. Und diese Ikone wiederum wurde für Henri Nouwen zu einem Bild für das Haus der Liebe. Er sagt:

Für mich wurde die Betrachtung dieser Ikone immer mehr ein Weg, tiefer in das Geheimnis des göttlichen Lebens einzutreten und gleichzeitig ganz und gar engagiert zu bleiben in dem Ringen unserer hass- und angsterfüllten Welt. (Henri Nouwen)

Wenn wir die drei göttlichen Personen auf der Ikone betrachten, so sehen wir sie in einem vertrauten Gespräch vereint, in vollkommener Liebe, Ruhe und Harmonie. Und doch ist der Kreis der drei Personen nicht in sich geschlossen, sondern der Betrachter fühlt sich eingeladen, in diesen Kreis einzutreten und dort selbst Vertrautheit und Liebe zu erfahren. Henri Nouwen sagt:

Während ich lange Stunden vor Rublevs Dreifaltigkeit saß, merkte ich, wie allmählich mein Schauen zum Gebet wurde. Dieses schweigende Gebet ließ nach und nach meine innere Unrast hinwegschmelzen und hob mich empor in den Kreis der Liebe, einen Kreis, der von den Mächten der Welt nicht durchbrochen werden konnte. ... Ich wusste, dass das Haus der Liebe, in das ich eingetreten war, keine Grenzen hat und jeden umgibt, der dort wohnen will. (Henri Nouwen)

Es muss nicht Rublevs Ikone sein. Es gibt viele Bilder und Texte, die uns zu unserer Wohnung im Haus der Liebe führen können. Gerade in den Stunden der Unruhe und der Angst ist es wichtig, dass wir uns diese Texte und Bilder in Erinnerung rufen und uns durch sie zu unserer Mitte führen lassen. Nicht Angst und Hass sind der Ort, an dem wir das Leben finden, sondern allein das Haus der Liebe.
Manchmal spüren wir, dass uns unser Haus verloren gegangen ist, wir fühlen uns schutzlos dem ausgeliefert, was auf uns einströmt, winden uns hin und her und finden keinen Ort, an dem wir Ruhe und Geborgenheit erfahren. Diese Not quält uns, sosehr dass wir meinen, dass unser Leben keinen Sinn mehr zu haben scheint. Und die Menschen, deren Nähe wir suchen, scheinen sich noch weiter von uns zu entfernen.
Ich weiß nicht, ob es uns gelingen kann, allein mit unseren Kräften in der Welt uns dieses Haus der Liebe zu bauen. Wir dürfen darauf vertrauen, dass dieses Haus der Liebe bereits existiert. Seine Tür steht weit offen für jeden, der eintreten möchte. Den Weg dahin gilt es zu finden, die Wegweiser gilt es zu erkennen und zu deuten.
Kehren wir noch einmal zur Ikone zurück und versuchen wir, ihren Wegweiser zum Haus der Liebe zu deuten. Drei Engel sitzen an einem Tisch beieinander. Ihre Haltung drückt Verbundenheit aus, sie scheinen einen Kreis zu bilden, der von tiefer Vertrautheit Zeugnis gibt. Und doch scheint dieser Kreis nicht geschlossen, sondern offen für den Betrachter, der somit eingeladen ist, in diese liebevolle Vertrautheit einzutreten. In der Mitte des Tisches steht in einer Schale das Lamm, das Abraham für die drei zubereiten ließ und das zugleich ein Symbol ist für den Opfertod Christi.

Dieses Opferlamm ist die Mitte der Ikone. Die Hände von Vater, Sohn und Geist deuten seinen Sinn auf verschiedene Weise: Der Sohn in der Mitte weist mit zwei Fingern darauf und deutet so auf seinen Auftrag hin, Opferlamm zu werden, und zwar durch die Menschwerdung menschliches und göttliches Opferlamm zugleich. Der Vater zur Linken ermutigt den Sohn mit einem Segensgestus. Und der Geist, der den gleichen Herrscherstab trägt wie Vater und Sohn, zeigt dadurch, dass er auf die viereckige Öffnung vor dem Altar deutet, an, dass dieses göttliche Opfer ein Opfer ist für die Erlösung der Welt. (Henri Nouwen)

Wir glauben, dass uns Christus durch sein Leben und seinen Tod den Weg in die Mitte des göttlichen Lebens erschlossen hat. Durch ihn sind wir hineingenommen in diese liebevolle Vertrautheit, die in der Ikone zum Ausdruck kommt. Jesus selbst nennt sich den Weg, der zum Vater führt. Er hat uns gezeigt, wie wir leben sollen, damit wir zum Haus der Liebe gelangen.
Aber diesen Weg zu gehen ist nicht allein unsere Anstrengung. Es ist ein Geschenk, das Gott uns macht. Daher das Opfer. In seiner Liebe hat Christus sich für uns hingegeben. Er hat damit für uns alle den Eintrittspreis bezahlt in das Haus der Liebe. Wenn wir sein Geschenk annehmen, dürfen wir kostenlos eintreten. Wir sind gerufen, in diese Mitte der göttlichen Liebe einzutreten und von dort auf die Welt zu blicken, von dieser Mitte aus in der Welt zu handeln. Nur wenn wir so in Gottes Liebe sind, können wir ganz bei uns und ganz bei den Menschen sein.

Kehren wir von dieser Betrachtung der Nähe Gottes wieder zu dem Geschehen zurück, das sich in Mamre ereignet hat. Auch hier wird ja die besondere Gegenwart Gottes deutlich, die das ganze Leben Abrahams durchzieht. Und nun ist Gott gekommen, um Abraham anzukündigen, dass er und seine Frau Sara noch in ihrem hohen Alter einen Sohn bekommen werden, in dem Gott die Verheißung an Abraham erfüllt, dass seine Nachkommen so zahlreich wie der Sand am Meer und die Sterne am Himmel sein werden.

Sie fragten ihn: Wo ist deine Frau Sara? Dort im Zelt, sagte er. Da sprach er: In einem Jahr komme ich wieder zu dir. Siehe, dann wird deine Frau Sara einen Sohn haben. Sara hörte am Eingang des Zeltes hinter seinem Rücken zu.
Abraham und Sara waren schon alt; sie waren hochbetagt. Sara erging es nicht mehr, wie es Frauen zu ergehen pflegt. Sara lachte daher still in sich hinein und dachte: Ich bin doch schon alt und verbraucht und soll noch Liebeslust erfahren? Auch ist mein Herr doch schon ein alter Mann!
Da sprach der Herr zu Abraham: Warum lacht Sara und sagt: Sollte ich wirklich noch gebären, obwohl ich so alt bin? Ist denn beim Herrn etwas unmöglich? Nächstes Jahr um diese Zeit werde ich wieder zu dir kommen; dann wird Sara einen Sohn haben.
Sara leugnete: Ich habe nicht gelacht. Denn sie hatte Angst. Er aber sagte: Doch, du hast gelacht. (Gen 18,9-15)

Wie gern würden wir in die Zukunft blicken und wissen, was uns erwartet, gerade dann, wenn es um unsere tiefsten Wünsche und Sehnsüchte geht. Abraham und Sara wünschten sich ein Kind. Sie waren schon alt, es schien so, als könnte dieser Wunsch nie mehr in Erfüllung gehen. Und doch hatte Gott einst zu Abraham gesagt, dass er der Vater vieler Völker sein werde. Doch wie sollte das möglich sein, ohne Nachkommen?
Zwar haben wir keine so großen Verheißungen von Gott bekommen wie Abraham, aber doch wünschen wir uns, einfach glücklich zu sein. Viele Menschen möchten den Partner für das Leben finden, mit dem eine gemeinsame Zukunft möglich ist, wünschen sich Kinder, und wünschen sich, dass auch beruflich im Leben alles soweit in Ordnung geht, dass die Familie ein gutes Leben haben kann.
Viele spüren die Sehnsucht danach, mehr aus ihrem Leben zu machen, als einfach nur arbeiten zu gehen und eine geregelte Existenz zu haben. Ein erfülltes Leben, darunter stellen sich viele Menschen unterschiedliche Dinge vor. Aber wie kann ich dieses erfüllte Leben finden? Wo ist mein Platz in dieser Welt? Wann ist die Zeit dafür da, dass endlich eintrifft, was ich ersehne?
Wie schön wäre es zu wissen, dass nächstes Jahr um diese Zeit im Leben eine entscheidende Wendung eingetreten ist, dass ich in einem Jahr um diese Zeit mit einem lieben Menschen zusammen bin, dass ich in einem Jahr um diese Zeit mich nicht mehr mit diesem und jenem Problem herumschlagen muss, dass in einem Jahr um diese Zeit ein entscheidender Schritt in der Berufswahl getan ist und ich meinem Platz in dieser Welt gefunden habe.
Kann ich mit dieser Hoffnung leben, oder überkommt mich die Hoffnungslosigkeit, wenn ich daran denke, dass wieder aus eine Bekanntschaft mit einem lieben Menschen keine Beziehung geworden ist, dass ich im Beruf keinen Schritt vorwärts komme, dass ich immer noch nicht weiß, wohin ich in meinem Leben gehen soll?
Manchmal möchten wir aus lauter Verzweiflung viel lieber den Kopf in den Sand stecken, jammern und Trübsal blasen, einfach nichts mehr tun, weil wir denken, es hat doch alles keinen Sinn, es bringt uns nicht weiter und wir werden nie das finden, wonach wir im tiefsten Grund unseres Herzens suchen.
Vielleicht kann uns in solchen Situationen die Geschichte von Abraham Mut machen. Plötzlich kamen da drei Männer, ein seltsamer Besuch. Und schweigsame Leute scheinen es gewesen zu sein. Als Abraham sie sieht, steht er auf und geht ihnen entgegen, obwohl es zur Zeit der Mittagshitze viel angenehmer gewesen wäre, im Schatten des Zeltes sitzen zu bleiben. Ohne langes Fragen tut Abraham, was das Gebot der Gastfreundschaft verlangt, er bittet sie zu bleiben und lässt schnell ein sättigendes Mahl zubereiten. Es soll ihnen an nichts fehlen und sie sollen ausgeruht und gestärkt von ihm aufbrechen können.
Das Leben weiterleben und offen sein für Begegnungen, aufstehen und etwas tun, wenn die Zeit dafür da ist, das ist eine Weisung, die uns diese Geschichte geben kann. Abraham hat nicht resigniert, er hat sein Leben einfach weitergelebt, obwohl seine Sehnsucht ungestillt blieb. Manch einer hätte da schon längst gefragt, was das alles bringen soll, hätte in den Tag hinein gelebt, wäre gar einer Sucht verfallen und hätte so noch mehr kaputt gemacht.
Abraham aber hat seine Hoffnung nie aufgegeben. Er hätte ja seine Sehnsucht vergessen können und es sich in seinem Leben schön einrichten können. Viele können nicht warten, bis ihre tiefste Sehnsucht erfüllt wird, sondern geben sich mit vordergründigem zufrieden. Wenn der Partner nicht kommt, mit dem ich eine innige Verbundenheit spüre, dann nehme ich halt jemand, bei dem es auch irgendwie passt. Wenn ich im Beruf nicht die Stelle finde, bei der ich mich ganz einbringen kann, dann mache ich halt das, was mir auch einigermaßen gefällt. Leben auf Sparflamme. Und was bleibt am Ende?
Wir machen im Leben oft die Erfahrung, dass unser Streben nach Glück bedroht wird von unseren eigenen Ängsten, die uns daran hindern, das zu tun, wonach wir Verlangen haben. Auch von außen werden wir ständig bedroht von Stimmen, die uns niederdrücken wollen. So werden wir leicht mutlos und gewinnen gar den Eindruck, dass wir letztlich zu nichts taugen. Doch das ist eine Täuschung, die es zu überwinden gilt. Auch hierzu kann uns die Erzählung von der Begegnung Abrahams mit den drei Männern eine Hilfe sein.

Ich will mich stets nach dem Größeren mich ausstrecken, bis ich wirklich merke, dass meine Sehnsucht erfüllt ist. Auch wenn es lange dauert und ich so manche Durststrecke zu durchleben habe. Aber ich will nicht nur das halbe Glück, nicht nur das halbe Leben. Und wenn ich stets die Sehnsucht in mir wach halte und sie nicht mit vordergründigem verdecke, wenn ich offen bin für das, was das Leben mir bringt, dann wird auch in meinem Leben der Moment kommen, in dem ich spüre: Ja, jetzt ist die Erfüllung ganz nahe und in einem Jahr werde ich ein ganz neuer Mensch sein, dann ist das Alte vergangen und etwas Neues geworden. Und es wird ein Glück sein, das ich mir jetzt kaum vorstellen kann.